Schöne neue Welt? COVID-19 und die Risiken des Homeoffice

21. Mai 2020

Die rasche und weltweite Ausbreitung von COVID-19 bedeutete für viele ArbeitnehmerInnen in Österreich mit einem Bürojob einen Wechsel ins Homeoffice. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien gewährleisten die Erreichbarkeit von ArbeitnehmerInnen auch zu Hause – und das praktisch rund um die Uhr. Die Umstellung auf Telearbeit erfolgte teils von einem Tag auf den anderen – und wirft mit Blick auf Arbeitszeit- und Arbeitsschutzbestimmungen sowie Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre große Herausforderungen auf.

Risiken

Das Arbeiten von zu Hause lässt die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen. ArbeitgeberInnen befürchten oftmals, die Kontrolle darüber zu verlieren, ob und wie lange bzw. wie viel gearbeitet wird. Für ArbeitnehmerInnen mit Betreuungsaufgaben wiederum bringt das durch die Corona-Krise beförderte Homeoffice besondere Risiken mit sich: Hier steht nicht nur die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben auf dem Spiel, es besteht auch die Gefahr, dass es zu einem (Wieder-)Aufleben von Geschlechterstereotypen und zu (geschlechtsbezogener) Diskriminierung kommt.

Big Brother is watching you?

Durch die vorübergehende Verlegung des Arbeitsplatzes an den Wohnort der ArbeitnehmerInnen verlagert sich auch die Arbeit in die virtuelle Welt. Ein wesentliches Kennzeichen unselbstständiger Erwerbstätigkeit ist es (bislang gewesen), dass ArbeitgeberInnen den ArbeitnehmerInnen innerhalb der vereinbarten bzw. gesetzlich geregelten Arbeitszeiten arbeitsbezogene Anweisungen erteilen können. ArbeitgeberInnen können außerdem kontrollieren, ob die (vertraglich vereinbarte) Arbeit und die damit zusammenhängenden Aufgaben erbracht werden. Weisungsbefugnis wie auch Kontrollmaßnahmen sind herkömmlich mit dem gemeinsamen Arbeitsort verbunden, an dem ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen zusammentreffen. Dieser gemeinsame Arbeitsort fehlt aber gerade bei einer Verlagerung der Arbeitstätigkeit ins Homeoffice. ArbeitgeberInnen bleiben damit nur zwei Möglichkeiten: Sie vertrauen den ArbeitnehmerInnen, dass sie ihre Tätigkeiten weiterhin so ausüben, als wären sie an der Arbeitsstätte, oder sie setzen technische Mittel ein, um die ArbeitnehmerInnen zu überwachen. Die Corona-bedingte Verlagerung weiter Teile der Arbeitswelt ins Homeoffice hat die Nachfrage nach Kontrollsoftware bei Arbeitgeber*innen steigen lassen.

Derartige „Überwachungsmöglichkeiten“ werden in Österreich jedoch zum Schutz der Arbeitnehmer*innen durch das Arbeitsrecht stark eingeschränkt. § 96 Abs. 1 Z 3 ArbVG (Arbeitsverfassungsgesetz) regelt die Zulässigkeit von Kontrollmaßnahmen und gilt auch für Tätigkeiten im Homeoffice. Für die Einführung technischer Systeme zur Kontrolle der Arbeitnehmer*innen, die die Menschenwürde berühren, verlangt § 96 Abs. 1 Z 3 ArbVG die Zustimmung des Betriebsrates. Maßnahmen, die die Menschenwürde nicht nur berühren, sondern diese verletzen, sind absolut unzulässig. Existiert kein Betriebsrat, dann sieht § 10 AVRAG (Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz) eine einzelvertragliche Zustimmung vor. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob Arbeitgeber*innen ein gelinderes Mittel zur Kontrolle der Arbeitnehmer*innen zur Verfügung steht. Verwenden Arbeitnehmer*innen im Homeoffice private Geräte, sind Nutzungseinschränkungen aufgrund des Rechts auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK)]) sowie des Grundrechts auf Eigentum (Art. 5 StGG [Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger]; Art. 1 1. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention) jedenfalls unzulässig.

Datenschutz im Homeoffice

Für Kontrollmaßnahmen im Homeoffice gelten also dieselben Maßstäbe wie bei der Erbringung der Arbeitsleistung im Betrieb. Ob Kontrollmaßnahmen durch den/die ArbeitgeberIn bzw. diese vertretende Personen durchgeführt werden oder aber durch – wie bei einer Tätigkeit im Homeoffice anzunehmen – technische Systeme, spielt dabei keine Rolle. Auch wenn zum Beispiel Logfile-Daten überprüft oder sonstige arbeitnehmerInnenbezogene Daten ausgewertet werden, stellt dies eine (zustimmungsbedürftige) Kontrollmaßnahme dar. In diesem Zusammenhang ist nicht nur das Arbeitsrecht, sondern sind auch die Vorgaben des Datenschutzrechts zu beachten. So genießen z. B. jene personenbezogenen Daten, „aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person“ (Art. 9 DSGVO) besonderen Schutz. Ausnahmen bestehen lediglich dort, wo ArbeitnehmerInnen ihre „freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene“ Zustimmung zur Verarbeitung der Daten ausdrücklich erteilt haben (Art. 4 Abs. 11 DSGVO) oder wenn die Verarbeitung notwendig ist, um Verpflichtungen zu erfüllen bzw. Rechte auszuüben, insbesondere im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts.

Aufgrund der Fülle digitaler Kontrollmöglichkeiten ist daher gerade auch bei der Anwendung von Homeoffice sicherzustellen, dass ArbeitnehmerInnen vor übersteigerter Kontrollintensität geschützt werden. Eine zunehmende Rolle bei der Kontrolle von ArbeitnehmerInnen durch Software spielen Algorithmen, die Daten sammeln und auf individueller (d. h. einzelne ArbeitnehmerInnen) oder Gruppenebene auswerten. Über die Auswertung der gesammelten Daten lässt sich feststellen, wie lange eine Person das Virtual Private Network (VPN) des Arbeitgebers genutzt hat, ob und wie lange jemand an einer virtuellen Besprechung teilgenommen hat oder wie häufig und rasch ArbeitnehmerInnen E-Mails beantworten. Eine solche Auswertung mitunter zweckfremder Daten käme einer für den/die ArbeitnehmerInnen unbewussten Zeiterfassung gleich, bei der durchaus auch Fehler passieren könnten. Ob und wie lange ArbeitnehmerInnen die durch ArbeitgeberInnen bereitgestellten Softwareprogramme genutzt haben, darf grundsätzlich nur überprüft werden, wenn Geräte verwendet werden, die der/die ArbeitgeberIn bereitgestellt hat. Private Geräte der ArbeitnehmerInnen dürfen, nicht überwacht werden, es sei denn, deren Verwendung zu Arbeitszwecken inklusive der Nutzung arbeitsspezifischer Software und entsprechende Zugriffe und Kontrollen wurden zwischen ArbeitnehmerIn und ArbeitgeberIn ausdrücklich vereinbart.

Geschlechtsspezifische Auswirkungen von COVID-19

Für Arbeitnehmerinnen bestehen die Risiken des Homeoffice nicht nurim Hinblick auf Privatsphäre und Datenschutz: Während Männer offenbar eine höhere Mortalität und Anfälligkeit für COVID-19 aufweisen, werden Frauen vor allem durch die sozialen Auswirkungen des Virus stärker belastet. Viele derjenigen, die an vorderster Front und gleichzeitig meist am unteren Ende der Einkommensskala arbeiten, sind einem großen Infektionsrisiko ausgesetzt, und ein erheblicher Teil von ihnen ist weiblich. Zahlreiche Frauen arbeiten als Krankenschwestern, Verkäuferinnen im Supermarkt oder in anderen systemrelevanten Berufen. Eine Verlagerung der Arbeitstätigkeit ins Homeoffice kommt für sie nicht in Betracht. Arbeitnehmerinnen, die von zu Hause aus arbeiten können, sehen sich wiederum einem doppelten Risiko ausgesetzt: Zum einen werden durch den Lockdown Geschlechterstereotype verstärkt. Zum anderen besteht die Gefahr, dass Kontrollmechanismen durch ArbeitgeberInnen im Homeoffice diskriminierende Wirkung entfalten. Selbst wenn beide Elternteile im Homeoffice arbeiten, zeigt sich, dass Haushalt und Kinderbetreuung überwiegend von Frauen übernommen werden. Arbeitnehmerinnen, deren Arbeitstag durch Kinderbetreuung und/oder Heimunterricht unterbrochen wird, laufen damit Gefahr, als weniger „produktiv“ und weniger „verfügbar“ wahrgenommen zu werden. Für Frauen besteht somit ein deutlich höheres Risiko, dass ihre Arbeit unterbewertet wird.

Der Lockdown als Vergrößerungsglas für Geschlechterverhältnisse

Seit 1. Mai 2020 sind die Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen aufgehoben. Für zahlreiche ArbeitnehmerInnen bedeutete dies die Rückkehr an ihre Arbeitsstätte, während andere (vorerst) weiter im Homeoffice tätig sind. Bei den Herausforderungen, die eine Tätigkeit im Homeoffice für ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen darstellt, handelt es sich nicht um neue, erst durch den Lockdown hervorgerufene Phänomene: Die durch die Pandemie bewirkte hastige und (relativ) übergangslose Verlagerung weiter Teile der Arbeitstätigkeit ins Homeoffice hat diese Phänomene allerdings wie unter einem Vergrößerungsglas sichtbar werden lassen. Die Tätigkeit im Homeoffice lässt die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen. Werden Arbeitsleistungen von ArbeitnehmerInnen in ihren eigenen Räumlichkeiten erbracht, lässt dies außerdem ein Spannungsfeld zwischen ihrem Recht auf Privatsphäre (Art. 8 EMRK und Art. 7 der Grundrechtecharta [GRC]) und dem Interesse der ArbeitgeberInnen an der Überprüfung der tatsächlichen Arbeitsleistung entstehen. Dieses Spannungsfeld adressieren sowohl das Arbeitsrecht als auch das Datenschutzrecht. Auch bei einer Tätigkeit im Homeoffice kann es zu Diskriminierung der ArbeitnehmerInnen kommen – zum Beispiel durch eine geschlechtsspezifisch unterschiedliche Bewertung der Arbeitstätigkeit. Der Schutz vor Diskriminierung in der Arbeitswelt, der durch das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) verwirklicht wird, gilt auch für Tätigkeiten im Homeoffice. Er erstreckt sich insbesondere auch auf Diskriminierungen, die auf einer automatisierten Verarbeitung von Daten beruhen, wie sie etwa durch den Einsatz (zulässiger) technischer Kontrollsysteme gewonnen werden. Gleichgültig, ob die „Produktivität“ oder „Verfügbarkeit“ von ArbeitnehmerInnen durch menschliche Beobachtung oder den Einsatz von Algorithmen gemessen werden, besteht die Gefahr, dass (geschlechtsspezifische) Vorurteile zu Diskriminierung führen. Diesen Risiken lässt sich am effektivsten durch einen menschenrechtsbasierten Ansatz entgegenwirken, der die materiellen Ziele des Antidiskriminierungsrechts in den Mittelpunkt rückt.

Die Autorinnen danken Marianne Hrdlicka und Christoph Winkler für ihre Recherchetätigkeit.

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