Autoritäre Politik gefährdet die Zivilgesellschaft – Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft müssen geschützt werden

05. Februar 2020

Eine aktuelle Untersuchung zeigt, wieunter Türkis-Blau die Bedingungen für die kritische Zivilgesellschaft massiveingeschränkt wurden. Das allgemeine politische Klima in Bezug auf dieZivilgesellschaft, die Möglichkeiten der politischen Partizipation haben sichverschlechtert und kritische Organisationen wurden finanziell ausgehungert.

Populismus, Rechtspopulismus und autoritäre Politik

Es gibt eine globale Tendenz zustärker autoritär agierenden Regierungen. Autoritäre Regime entstehen immerseltener durch Militärputsch oder andere Formen massiver Gewalt, sondern ineinem schleichenden Prozess oft kleiner Schritte. In diesem Prozess sind diekritische Zivilgesellschaft und unabhängige NGOs oft unter den ersten Zielen.

Populismus meint Politik, die sich aufsimple, archaische Formen der Identifikation bezieht, Gesellschaft damitrhetorisch teilt (wir versus die anderen) und simple Lösungen anbietet.Rechtspopulismus ist eine Form davon, die ethnisch, religiös oder nationalexklusive Solidarität vertritt. Autoritäre Politik wiederum ist illiberal,schränkt jegliche Form von Partizipation und Kritik ein und zeichnet sich durcheine Schwächung demokratischer Institutionen aus. Wir finden autoritäreTendenzen zunehmend auch in konsolidierten Demokratien wie Frankreich,Deutschland, Schweden, Norwegen oder Österreich bzw. den USA. Es besteht eindeutlicher Zusammenhang zwischen Rechtspopulismus und autoritärem Regieren (Müller2017; Urbinati 2016). DieEinschränkungen von politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten gehören oftzu den ersten Handlungen von populistisch-autokratischen Regierungen.

Autoritäres Regieren und die Zivilgesellschaft

Der Prozess der Entwicklungautoritärer Regierungen in Bezug auf die Zivilgesellschaft folgt meistdemselben Muster: Zunächst wird eine diskursive Delegitimierung derregierungskritischen Zivilgesellschaft versucht. Danach wird die politischePartizipation eingeschränkt, und es folgen Änderungen der öffentlichenFinanzierung, im Zuge deren öffentliche Gelder entlang einer Polarisierung von„guter“ und „schlechter“ Zivilgesellschaft weg von politisch unabhängigen zuabhängigen CSOs gelenkt werden. Dann werden auch rechtliche Rahmenbedingungengeändert, insbesondere Grundrechte eingeschränkt. Die Zivilgesellschaft istsomit meist unter den ersten Zielen autoritärer Regime. Dieser Prozess wird alscivil society capture bezeichnet (Moder & Pranzl, 2019).

Für das Funktionieren vonZivilgesellschaft sind politische und sozialstaatliche Rahmenbedingungenentscheidend. Abgesehen von allgemeinen Bürgerrechten, wie Vereins- oderMeinungsfreiheit, spielen Möglichkeiten der Partizipation inGesetzgebungsverfahren, die Informationspolitik der Regierung, die Qualität desSozialstaates und die finanzielle Unterstützung zivilgesellschaftlicherOrganisationen durch die öffentliche Hand eine wichtige Rolle.

Die Erhebung in Österreich

In Österreich führte die Nationalratswahl 2017 zueiner Koalition zwischen ÖVP und FPÖ, die beide einen polarisierenden, starkauf das Flüchtlingsthema bezogenen Wahlkampf gemacht hatten. Auch klassischeSozialthemen wurden mit dem Asylthema verbunden, das „Nationale“ wurde betont.Die Regierungskoalition kann daher als rechtspopulistisch bezeichnet werden.

In einer empirischen Erhebung wurde daher untersucht, ob und in welcher Form sich Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliche Organisationen (CSO) in den letzten Jahren verändert haben und inwieweit damit auch von einer autoritären Politik gesprochen werden kann.

MethodischeGrundlage bildeten vor allem 53 Interviews, die zwischen August 2018 undFebruar 2019 mit ExpertInnen sowie mit VertreterInnen von Organisationen derZivilgesellschaft geführt wurden. Zudem wurde im Februar 2019 eine quantitativeErhebung bei 310 Führungskräften von CSOs durchgeführt. Die Ergebnisse wurdenin zwei Fokusgruppen mit CSO-VertreterInnen diskutiert. Die Erhebung ist ein Update des 2014durchgeführten Civil-Society-Index (More-Hollerwegeret al., 2014), daher können auch aktuelle Veränderungenanalysiert werden.

Ergebnisse: Zivilgesellschaft unter Beschuss

InBezug auf das allgemeine Klima lässt sich eine deutliche Polarisierung desDiskurses feststellen, Versuche der gezielten Einschüchterung sowie einezunehmende Delegitimierung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten in Medien undvonseiten der Politik: „Klimatisch ist eseine Eruption.“ Delegitimierung zivilgesellschaftlichen Handelns erfolgt z. B.durch Unterstellung von Profitinteressen, Abwertung der Arbeit, auch dieZunahme einer allgemein negativen, ausgrenzenden Rhetorik: „Da kommen eben dann diese Ausdrücke wie NGO-Wahnsinn im Mittelmeer,(…) Asyl-Industrie (…). Da wird schon bewusst (…) ein gewisses Feindbildzivilgesellschaftlicher Organisationen aufgebaut.“ Es gibt eine konstanteAbwertung bestimmter zivilgesellschaftlicher Organisationen, vor allem solcher,die sich mit vulnerablen Zielgruppen beschäftigen. Der Begriff derGemeinnützigkeit gerät damit unter Druck. Damit einher geht die Unterscheidungvon Zivilgesellschaft in einen wünschenswerten und einen unerwünschten Teil:„Es gibt plötzlich die Guten und die Schlechten in der Zivilgesellschaft.“

In Bezug auf Demokratie undPartizipation zeigt sich, dass CSOs deutlich weniger in Gesetzgebungsverfahreneinbezogen werden. Begutachtungsfristen werden verkürzt, Initiativanträgeverhindern Stellungnahmen etc. Stellvertretend für viele Interviewaussagenmeinte eine Befragte: „Wir sind am Beginnvon einem massiven Wandel hin zu einer Demokratie ohne Partizipation, ohneEinbindung.“ Die Politik ist intransparenter geworden, und sie kommuniziertkaum noch mit AkteurInnen der Zivilgesellschaft: „Die reden nicht mit uns. Die wollen nicht mit uns reden. Das ist dasNeue. Bis jetzt habe ich immer das Gefühl gehabt, man kann noch mit jemandemreden.“

Grundrechte sind in Österreich im internationalen Vergleich gut ausgeprägt. Allerdings wurde die Versammlungsfreiheit in den letzten Jahren eingeschränkt, vor allem durch die Ausweitung der Anzeigefrist für Versammlungen, die Einrichtung von sogenannten Schutzbereichen. Indirekte Auswirkung auf die Ausübung von Grundrechten haben zunehmende Bürokratisierung und Einschränkungen der Rechtssicherheit in der Praxis: „Bei der Versammlungsfreiheit sind die Einschränkungen ja offensichtlich, und vor allem ist es schon eine Tendenz, die wir in den letzten Jahren sehen, […] dass sie so formuliert werden, dass sie gesetzeskonform oder nicht konform ausgelegt werden können.“

Bei der öffentlichen Finanzierung gab esVeränderungen, die offensichtlich kritische und an Diversität orientierte CSOsbetreffen. Vor allem in den Bereichen Migration, Kunst, Frauen-, Arbeitsmarkt-und Entwicklungspolitik haben diese CSOs zum Teil existenzbedrohende Einschränkungenerfahren. Eine Vertreterin arbeitsmarktpolitischer Organisationen beschreibtdies: „Das ist ja schon das zweite Jahrder Kürzungen. Das heißt, 2018 gab es auch schon Kürzungen, (…) jetzt siehtman, wie die Betriebe beginnen zu schließen. Also im ersten Jahr haben sich alleirgendwie gerettet, Umstrukturierung, anderes Förderbudget usw.“ EinBefragter verweist auf den strategischen Aspekt der Kürzungen: „Und das ist eigentlich ein Aushungern.Also so ein systematisches Aushungern von Einrichtungen.“

Resümee

Die Veränderungen ergeben in ihrer Gesamtheit ein klares Muster: Sie entsprechen den aus der Literatur bekannten Prozessen der Entwicklung autoritärer Regierungen. Es gibt klar beobachtbare Tendenzen, das kritische Potenzial der Zivilgesellschaft sowie ihre Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen einzuschränken. Diese Politik des systematischen Zurückdrängens von Widerspruch, Protest und Vielfalt durch unterschiedlichste ineinandergreifende Maßnahmen widerspricht der österreichischen Tradition. Sie ist Ausdruck einer zunehmend autoritären, rechtspopulistischen Politik. Es gilt in Zukunft, die Zivilgesellschaft mit ihren vielfältigen Funktionen zu schützen und für die Bewahrung geeigneter Rahmenbedingungen einzutreten.

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