Arbeiten in der Wissenschaft – ein Drahtseilakt ohne Netz?

23. November 2021

Kollektive Interessenvertretung an den Universitäten kommt einer Herkulesaufgabe gleich: heterogene Beschäftigtengruppen, hohe Befristungsquoten und Kettenvertragsprobleme, begleitet von niedriger Identifikation mit der Gewerkschaft. Um eine starke Stimme für die Arbeitnehmer:inneninteressen in dem Sektor zu erzielen, ist es daher umso wichtiger, das kollektive „Wir“ der Uni-Beschäftigten zu stärken.

Wer steht hinter den an Universitäten erbrachten Leistungen?

Die wichtigste Ressource einer Universität ist das Personal. Dazu zählen neugierige, kreative und methodisch gut ausgebildete Wissenschafter:innen oder Künstler:innen. Die Bandbreite reicht von Spitzenforscher:innen zu Newcomern. Sie tragen durch Forschung, Wissens- und Technologietransfer dazu bei, dass Österreich ein prosperierender Staat ist, und teilen zudem als didaktisch geschulte Lehrende ihr Wissen mit Studierenden. Die Belegschaft an den österreichischen Universitäten umfasst also heterogene, bunte, breite und diverse Berufsgruppen.

Nicht nur im Vorfeld der Universitätsgesetz-Novelle 2020/21 wurde und wird über die im deutschsprachigen Wissenschaftsraum weit verbreitete hohe Befristungsquote gesprochen. In Österreich liegt laut dem aktuellen Universitätsbericht das derzeitige Verhältnis zwischen unbefristeten und befristeten Stellen bei rund 20 zu 80. Diese Personalpolitik wirkt zunehmend abschreckend und frustrierend. Dem Universitätsgesetz (UG 2002) und dem Uni-Kollektivvertrag (Uni-KV 2009) als den gesetzlichen Vorgaben wird oft zugeschrieben, der Grund dafür zu sein, weshalb Befristungen an vielen Standorten dominieren. Das trifft aus Sicht der Gewerkschaft nicht zu. Beide verbieten für keine Berufsgruppe das Ausstellen von unbefristeten Arbeitsverträgen.

Risikoabwälzung auf Arbeitnehmer:innen

Dennoch setzt das Universitätsgesetz Regelungen des österreichischen Arbeitsrechts außer Kraft. Die Arbeitszeitregelung in § 110 UG erlaubt trotz Arbeitszeitaufzeichnung Selbstausbeutung und die Regelungen zur Dauer von Beschäftigungsverhältnissen in § 109 UG das sachlich unbegründete Befristen von Arbeitsverträgen bis zu bestimmten Höchstgrenzen. Zusätzlich werden Expert:innenwissen und die Kompetenzen im Forschen, Publizieren und Lehren, welche bei der Arbeit als Hochschullehrer:in erworben werden, außerhalb des Wissenschaftsbereichs zu wenig nachgefragt. Die Risiken liegen damit bei den Arbeitnehmer:innen: Das Erreichen einer dauerhaften Stelle gleicht einem Glücksspiel, da Universitäten es vorziehen, die Höchstgrenzen auszureizen, anstatt Arbeitsverträge zu entfristen. Noch immer wird Wissenschaft als „Lebensform“ angesehen, die mit einer nahezu bedingungslosen Hingabe dafür gleichgesetzt wird – aber diese Haltung hat sich durch zunehmende Unsicherheit in der neuen Wissenschafter:innengeneration verändert.

Die Universitäten zeichnen sich durch Mutlosigkeit für längerfristige Personalstrukturen und -planung aus. Die Budget-Steuerinstrumente des Wissenschaftsministeriums ändern nichts daran, dass Universitäten ihr Personal nicht dauerhaft anstellen. Budgetsteuerung und UG sollten den Entwicklungen im Bildungsbereich wie auch den Neuerungen im Arbeitsrecht und den Anforderungen der Beschäftigten nach Karriereperspektiven Rechnung tragen. Das tun sie aber nicht.

Gemeinsamer Kampf für Alternativen

Angesichts des niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrades, der Wissenschafter:innen zu Einzelkämpfer:innen macht, und der empfundenen individualisierten Problemlagen fehlt das Bewusstsein für eine starke kollektive Interessenvertretung. Auch wird ein breiterer innerbetrieblicher Zusammenhalt durch implizite Konkurrenzlogiken im Ringen um wenige entfristete Stellen unterminiert. Wir nehmen wahr, es fehlt der Austausch der Beschäftigten und die gemeinsame Wahrnehmung, dass eine starke kollektive Interessenvertretung ihre Probleme lösen könnte. Dazu braucht es die Bereitschaft der verschiedenen Berufsgruppen, sich als Teil des kollektiven „Wir“ der Uni-Beschäftigten zu sehen und auch am Austausch- und Organisierungsprozess teilzunehmen – sowie in der Folge: eine starke Gewerkschaft.

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