In Städten sind zunehmend mehr Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen und viele gehen nicht zur Wahl, obwohl sie es dürften. Diese Entwicklungen sind aus demokratiepolitischer Sicht bedenklich, hier braucht es Lösungen.
Wahlberechtigte in europäischen Städten Städte sind dynamische Orte, deren Bevölkerung durch häufigen Zuzug und Wegzug in und aus dem umliegenden Staatsgebiet oder dem Ausland gekennzeichnet ist. Städtische Räume weisen hier strategisch wichtige Funktionen auf, da sie relativ offen und durchlässig für Neu-Ankommende sind. Kommunen haben große Inklusionsaufgaben zu bewältigen: Sie müssen Wohnraum bereitstellen, für soziale Absicherung sorgen, und nicht zuletzt müssen Möglichkeiten der politischen Teilhabe überlegt werden. Hier liegt häufig eine besonders große Herausforderung, da in vielen Städten der Anteil der Menschen ohne die entsprechende StaatsbürgerInnenschaft hoch ist und so häufig für große Teile der Bevölkerung das Wahlrecht entfällt, und auch Wien ist in diesem Fall nicht anders.
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WienerInnen ohne Wahlberechtigung: Nationalratswahl 2019 In Wien haben etwa 28 Prozent der wahlfähigen Bevölkerung nicht die Möglichkeit, an Wahlen teilzunehmen. Wenn man etwas genauer hinschaut, liegt der Anteil in zwölf Wiener Bezirken sogar über diesem Wert. Besonders hoch sind die Zahlen von Nicht-Wahlberechtigten in den Bezirken 5, 10, 15, 16 und 20. In elf Bezirken hingegen liegt der Anteil der Nicht-Wahlberechtigten unter dem Wiener Durchschnitt und ist besonders niedrig in den Bezirken 1, 13, 22 und 23.
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Ein Blick auf die soziale Struktur in den Wiener Bezirken zeigt, dass der Anteil der Nicht-Wahlberechtigten in den Bezirken mit den höchsten Zahlen an ausländischen StaatsbürgerInnen am höchsten ist. Nicht überraschend, da es sich bei den Nicht-Wahlberechtigten fast ausschließlich um ausländische StaatsbürgerInnen handelt, die nicht gleich verteilt in den Wiener Bezirken leben. Die soziale Zusammensetzung in den Wiener Bezirken zeigt weiter, dass der Anteil der Nicht-Wahlberechtigten tendenziell besonders hoch ist in den Bezirken mit niedrigem Einkommen, mit einem hohen Anteil an Personen mit maximal Pflichtschulabschluss und mit einem hohen Anteil an Arbeitslosen.
Nicht-WählerInnen Neben den Menschen, die nicht an der Wahl teilnehmen können, weil sie kein Wahlrecht besitzen, gibt es auch einen beträchtlichen Anteil an StadtbewohnerInnen, die nicht zur Wahl gehen. Der Anteil der Nicht-WählerInnen an den Wahlberechtigten liegt im Schnitt in Wien bei 28 Prozent. Auch die Nicht-WählerInnen sind jedoch nicht gleichmäßig über das Wiener Stadtgebiet verteilt. In zehn Wiener Bezirken liegt der Anteil über 28 Prozent und in fünf sogar über 34 Prozent (10, 11, 12, 15 und 20). In 13 Bezirken hingegen liegt der Anteil an Nicht-WählerInnen unter 28 Prozent und ist besonders niedrig in den Bezirken: 7, 8, 13 und 18 (unter 22 Prozent).
Die soziale Zusammensetzung der Bezirke zeigt, dass der Anteil an Nicht-WählerInnen tendenziell besonders hoch ist in Bezirken, die ein geringeres durchschnittliches Einkommen haben und einen hohen Anteil an arbeitslosen Personen. Ein besonders deutlicher Zusammenhang zeigt sich mit der durchschnittlichen formalen Ausbildung der BezirksbewohnerInnen: Der Anteil der Nicht-WählerInnen ist besonders hoch in den Bezirken mit vielen Personen mit maximal Pflichtschulabschluss und geringen Zahlen an AkademikerInnen.
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Nicht-Wahlberechtigte und Nicht-WählerInnen Fast die Hälfte der WienerInnen ist nicht in den Ergebnissen der Nationalratswahl 2019 repräsentiert, weil sie entweder nicht wahlberechtigt sind oder nicht gewählt haben. Dies ist kein isolierter Trend der Nationalratswahlen, ähnliche Zahlen lassen sich auch für die Gemeinderatswahlen seit längerer Zeit feststellen. Betrachtet man nun die Anteile von Nicht-Wahlberechtigten und Nicht-WählerInnen in allen Wiener Bezirken, so wird deutlich, dass es einige Bezirke gibt, die sowohl einen sehr hohen Anteil an Nicht-Wahlberechtigten als auch an Nicht-WählerInnen aufweisen: Es handelt sich hier als Spitzenreiter um die Bezirke 10, 15 und 20. Eben diese Bezirke sind auch die drei am niedrigsten gereihten Bezirke in Bezug auf das durchschnittliche Einkommen, den Anteil der Arbeitslosen und den durchschnittlichen formalen Bildungsstand. Das bedeutet, dass in den drei sozioökonomisch schwächsten Bezirken die geringste demokratische Beteiligung an den Nationalratswahlen herrscht. Um die 60 Prozent der BewohnerInnen dieser Bezirke sind nicht durch die Wahlen repräsentiert.
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Sozialräumliche Effekte Die sozioökonomisch schwächsten Bezirke Wiens sind im demokratischen Prozess der Wahlen nur in geringem Maße repräsentiert. Dies liegt erstens an dem relativ hohen Anteil an ausländischer Bevölkerung in diesen Bezirken und deren formalem Ausschluss aus der Wahlberechtigung. Zweitens weisen diese Bezirke aber auch unter den Wahlberechtigten eine hohe Zahl von Nicht-WählerInnen auf. Unter anderem wird hier ein sozialräumlicher Effekt angenommen: Wer von vielen nicht wählenden Menschen umgeben ist, wählt auch selbst eher nicht. So hat also die hohe Zahl an Nicht-Wahlberechtigten in manchen Bezirken auch einen Einfluss auf die Entscheidung zum Nicht-Wählen vieler eigentlich Wahlberechtigter.
Verteilungsgerechtigkeit unter Druck Es zeigt sich eine demokratiepolitisch hoch bedenkliche Entwicklung: Sind nämlich besonders sozioökonomisch schlechter gestellte Bevölkerungsteile im Rahmen von Wahlen nicht repräsentiert, gerät zunehmend auch verteilungsgerechte Politik unter Druck, da genau jene Bevölkerungsschichten, die auf Umverteilung und soziale Sicherungssysteme angewiesen sind, in Wahlergebnissen zunehmend nicht repräsentiert sind.
Kommunale Handlungsmöglichkeiten Viele Städte versuchen auf einen zunehmend hohen Anteil an nicht wahlberechtigten Bewohnerinnen, aber auch auf die Politikverdrossenen mit Maßnahmen auf kommunaler Ebene zu reagieren. Wenn es um das Wahlrecht geht, sind Städte in ihren Handlungsmöglichkeiten limitiert. Dieses ist meist an Staatsbürgerschaft gekoppelt und liegt damit im Hoheitsbereich nationaler Gesetzgebung. Möglichkeiten, die von Städten ausgelotet werden, konzentrieren sich auf das Thema der Stadtbürgerschaft (urban citizenship). StadtbewohnerInnen sollen unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft in der Stadt mehr Rechte zukommen, beispielsweise über die Einführung von kommunalen Ausweisdokumenten. Vor allem für illegalisierte Menschen und Personen in prekären Aufenthaltssituationen soll dadurch der Zugang zu sozialen Dienstleistungen, Rechten und Ressourcen geschaffen werden.
Deliberative Beteiligung Um die politische Beteiligung auf kommunaler Ebene zu erhöhen, wird auch vermehrt auf deliberative Beteiligungsformen gesetzt. Im Rahmen von offenen Prozessen, Befragungen oder partizipativen Budgets wird versucht, BürgerInnen verstärkt einzubinden. Problematisch ist allerdings, dass auch diese Prozesse oft sozioökonomisch bessergestellte BewohnerInnen ansprechen. In deliberativen Beteiligungsprozessen engagieren sich also häufiger Menschen mit hohem Einkommen, viel frei verfügbarer Zeit und mit höherer Bildung. Es besteht also die Gefahr, schon bestehende Schieflagen weiter zu verstärken, da ressourcenarme Teile der Bevölkerung auch in diesen Prozessen nicht repräsentiert sind.
Städte als demokratische Innovationstreiber Städte sind in diesem Spannungsfeld wichtige Orte, da sich hier besonders hohe Bevölkerungsanteile ohne demokratische Repräsentation befinden. Vor allem einer strukturellen Benachteiligung in der demokratischen Repräsentation von ohnehin bereits sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen muss entgegengearbeitet werden. Bei ergänzenden Formen der Beteiligung durch partizipative Prozesse müssen neue Wege beschritten werden, dem strukturellen Ausschluss von ressourcenarmen BewohnerInnen muss aktiv entgegengearbeitet werden. Dafür braucht es breite thematische Rahmen, aufsuchende und aktivierende Arbeit um Demokratie lebendig und lernbar zu machen. Wünschenswert sind Beteiligungsformate, die soziale Lagen der BezirksbewohnerInnen ins Zentrum stellen. Auch sollten Überlegungen zur Ausdehnung des Wahlrechts auf kommunaler Ebene als auch rund um die Möglichkeiten einer Stadtbürgerschaft mutig ausgelotet werden. In Zusammenschluss und europäischen Kooperationen könnten Städte hier Ideen vordenken und auf den Weg bringen, um demokratische Strukturen gerecht zu erneuern!
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