Was ist uns Pressefreiheit wert? Wie ernst nehmen wir die gesellschafts- und demokratiepolitische Leistung von Journalist*innen? Wie ist sie zu honorieren – und von wem?
“So sind wir nicht!” Diese Aussage von Bundespräsident Alexander van der Bellen nach Bekanntwerden der Ibiza-Affäre hat international Schlagzeilen gemacht – und vielen Österreicher*innen und allen, die in diesem Land leben, Mut zugesprochen. Nein, eine Politik dieser Art wollen wir nicht.
Mehr als zwei Jahre später, als das Bekanntwerden von Chat-Verläufen, in denen es auch um die Vergabe von Inseraten der Bundesregierung ging, zu einer Regierungskrise führen sollte, da kam dieser Satz Van der Bellen nicht mehr über die Lippen. Es sah ganz danach aus, als seien einige doch so (es gilt die Unschuldsvermutung; möglicherweise wären diese einigen dann eh nicht so).
Wie auch immer, eine grundsätzliche Frage ist zu stellen: „Wie sind wir denn?“ Die Antwort muss eine Klarstellung sein – darüber, welche Rolle unabhängiger Journalismus in einer demokratischen Gesellschaft hat. Was also ist uns die gesellschafts- und demokratiepolitische Leistung von Journalist*innen wert? Wie ist diese Leistung messbar? Warum ist es irreführend, wenn wir von einer Medienförderung sprechen, auch wenn das ein gängiger Begriff ist, der auch in den meisten anderen Ländern üblich ist?
Ein irreführender Begriff
Beginnen wir mit letzterem. Medienförderung. Wenn wir den seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlich gewordenen bergmännischen Wortsinn („Rohstoff fördern“) ausklammern, dann bietet uns das Etymologische Wörterbuch unter anderem „voranbringen, vorwärtsbringen, beschleunigen“ an.
Da sind wir schon nah dran, was wir heute gemeinhin unter „Förderung“ verstehen – eine Unterstützung nämlich für etwas, dessen Zeit noch nicht gekommen ist, aber – aus welchen Gründen auch immer – kommen soll. Das gilt etwa sehr oft für Technologie-Förderung, als Starthilfe gewissermaßen. Oder für die Natur und deren Unversehrtheit. Und insgesamt wohl dann, wenn die wirtschaftlichen Vernetzungen, die gemeinhin als „Markt“ bezeichnet und als unabänderlich hingestellt werden, wenn also dieser Markt die Leistung nicht in ausreichendem Ausmaß bewertet und bepreist.
Es bieten sich zwei Auswege an. Entweder wir stellen die Bewertung des Markts in Frage. Oder wir schließen das Defizit mit Förderungen. Die haben jedoch einen großen Nachteil: Sie müssen erst von jemandem freigegeben werden und sind außerdem den wogenden Wellen des Zeitgeists ausgeliefert.
Wenn die Assoziationen um Förderungen kreisen, dann kommt vieles in den Sinn. Belassen wir‘s bei drei Beispielen: Denkmalschutz oder Kultur, oder eben auch Journalismus. Über jeden dieser Bereiche ließen sich ausführlichere Erörterungen anstellen, doch konzentrieren wir uns hier auf den Journalismus.
Warum ist Förderung der falsche Begriff? Wenn Förderung als Starthilfe verstanden wird, dann kann das auf den Journalismus nicht zutreffen – dem Stadium der ersten Schritte ist diese Profession längst entwachsen, die liegen Hunderte von Jahren zurück. Also doch Ausgleich eines Marktversagens? Auch nicht: Denn den Kern der Leistungen des Journalismus bildet der Markt nicht ab.
Mehr als nur Marktteilnehmer
Die jüngste Entwicklungen haben das vorgeführt: Das Abwandern vieler Inserate ins Internet und in soziale Medien sei nur als Stichwort gegeben. Wer damit gleich das gesamte „Geschäftsmodell“ von Medien in Frage stellt, reduziert allerdings die redaktionelle Arbeit auf einen Lückenfüller zwischen bezahlten Werbe- und P.R.-Einschaltungen. Der Verweis auf den Markt greift zu kurz. Medien sind mehr als Marktteilnehmer.
Warum? Spielen wir gedanklich einmal eine Welt durch, in der es keine Medien gäbe. Wie sähe die aus?
- Es gäbe keinen Platz, an dem sich die Teilnehmer*innen am Markt austauschen könnten, an dem grundsätzlich der Streit der Meinungen im besten Sinne des Wortes aufeinander trifft.
- Es gäbe keine Plattform, auf der die Ergebnisse von Recherchen präsentiert werden können, die den Unterschied von Behauptung und Tatsachen darstellen. Wir wären Fake News hiflos ausgeliefert.
- Es gäbe keinen Kanal zu einer breiten Öffentlichkeit, über den der Missbrauch von Macht aufgezeigt werden kann.
- Es gäbe keine Möglichkeit, dass sich einzelne und kleine Gruppen Gehör verschaffen könnten, um einen Diskurs zu starten oder zu erweitern.
- Die Vielfalt der Medien ist ein Wert an sich (für die Demokratie, nicht zwingend für den Markt), gewährleistet sie doch eine möglichst hohe Pluralität an Meinungen.
Ohne Medien gäbe es die Demokratie nicht.
Ein Modewort unserer Zeit ist „Standortqualität“. Mit dem Vokabel wird viel Schindluder getrieben, und meistens wird die Bedeutung reduziert darauf, dass Ideen und Vorhaben der Wirtschaft wie geschmiert umgesetzt werden, ohne Brösel, Rumpeln und Festfahren. Standortqualität ist freilich mehr, eine intakte Demokratie die Grundvoraussetzung.Wenn die Demokratie Basis für die Standortqualität ist, dann sind funktionierende, freie Medien der Blutkreislauf der Demokratie.
Wer fördert, fordert
Herumzudoktern ist gefährlich, auch wenn es für eine Politik, die es mit der Standortqualität nicht so genau nimmt, verführerisch sein mag, Medien am Gängelband zu halten und den Fluss des Geldes nicht selbstverständlich und nach transparenten Regeln fließen zu lassen. Wer am Hahn drehen kann, hat Macht und kann mit Gegenleistungen kokettieren. Anders ausgedrückt: Wer fördert, fordert.
Wenden wir uns der nächsten Frage zu: Wie ist diese Leistung des Journalismus messbar? An Kriterien. Sie müssen Mindestanforderung sein, inhaltliche und wirtschaftliche Komponenten enthalten und zum Ziel haben, dass dem qualitätsvollen Zugang Bahn gebrochen und möglichst hohe Vielfalt gewährleistet wird.
Journalist*innen müssen Möglichkeit zu einer profunden Ausbildung und zu einer profunden Recherche haben. Zeit ist eine wichtige Zutat und sie bedeutet im redaktionellen Alltag, dass es ausreichend Personal gibt. Also: keine Ausdünnung der Redaktionen, sondern mehr Kolleg*innen in die Redaktionen, sodass sich mehr Spezialisierung entwickeln kann. Mehr Spezialisierung mündet in höherer Qualität. Die inhaltliche Unabhängigkeit ist durch Redaktionsstatute verbindlich zu machen, zu schärfen und abzusichern.
Zeit, Zahl, Spezialisierung, Statute, Compliance. Fehlt noch was? Natürlich: Bezahlung. Im Journalismus darf es keine Prekariate geben, Kollektivverträge müssen Mindeststandards sein. In Verlagen, die nicht Mitglied eines Herausgeber-Verbandes sind, muss es jedenfalls vergleichbare, verbindliche Vereinbarungen geben. Was für Angestellte gilt, muss in gleichem Maẞe für freie Journalist*innen gelten, die einen wichtigen Bereich im Journalismus abdecken. Keine Prekariate, kein Augenzwinkern bei vereinbarten Regelungen. Fulltime-Journalist*innen müssen mit dem Entgelt dafür einen Fulltime-Lebensunterhalt bestreiten können.
Transparenz und Kriterien
Anhand dieser Bedingungen wird berechnet und ausbezahlt – eben keine „Förderung“, sondern eine „Abgeltung der gesellschafts- und demokratiepolitischen Aufgaben“ (AgdA). Damit klar ist, worum es geht. Wie viel? Es kann sicher keine Anlehnung an bisherige Summen und Konzepte sein. Presseförderung wurde zuletzt in einstelliger Millionen-Höhe verteilt – an Medien, die sich an allgemeines Publikum richten, ebenso wie an Medien von Volksgruppen, auch an Einrichtungen für Aus- und Weiterbildung.
Zur Absicherung der Demokratie muss es mehr als ein Gießkannenprinzip geben. 150 Millionen Euro, wertgesichert, sind ein Mehrwert für die Gesellschaft. Ausbezahlt werden sie nach einem transparenten Schlüssel und nur an jene, die die Kriterien erfüllen. Verstöße gegen journalistische Compliance, gegen ethische Grundsätze und gegen Gesetze müssen Folgen für die Höhe der AgdA haben, bis zu deren kompletter Streichung. All das Signale, dass uns Demokratie etwas wert ist.
Haben wir etwas vergessen? Natürlich. Da gibt’s ja noch ein paar 100 Millionen, die an Inseratenvolumina vergeben worden, und die in Chats eine Rolle gespielt haben sollen (wenn sie nicht aus dem Zusammenhang gerissen worden sind, es gilt auch hier die Unschuldsvermutung). Die notwendigen dieser Inserate soll es natürlich weiter geben. Die Vergabe hat in voller Transparenz zu erfolgen (insbesondere in Krisen wie dieser Pandemie oder bei nötigen Erläuterungen der staatlichen Verwaltung) , die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen sind detaillierter zu gestalten. Nachvollziehbar muss sein, warum Inserate geschaltet werden, welches Zielpublikum erreicht werden will. Inserate dürfen nur in Verlagen geschaltet werden, die den AgdA-Kriterien gerecht werden.
Den ersten Anstoß zur Umsetzung all dessen liefert die Journalistengewerkschaft in der GPA, die am Mittwoch zu einem „runden Tisch“ einlädt. Es startet also die Detail-Diskussion für eine zeitgemäße und zukunftsorientierte Regelung.
„Wie sind wir denn?“ Diese Eingangsfrage ist zu präzisieren: Was wollen wir für die Sicherung der Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft tun, was ist sie uns wert? Darum geht’s, um nicht mehr und nicht weniger. Die Abgeltung der demokratiepolitischen Leistungen ist eine Antwort, aber nicht die einzige. Eine andere ist, wie wir sicherstellen, dass qualitätsvoller Journalismus möglich bleibt: Das beginnt mit einem echten Informationsfreiheitsgesetz und mündet auch darin, dass es unmöglich sein muss, Journalist*innen zu belangen, wenn sie dem demokratiepolitischen Auftrag gerecht werden – und Akten zitieren, um Missstände aufzuzeigen.
Wenn all das zufriedenstellend gelöst ist, dann hat diese eine Feststellung wieder eine fundierte Basis: „So sind wir nicht.“