Die Frage, wie KonsumentInnen dazu ermutigt werden können, auf Elektroautos umzusteigen, hat von den europäischen politischen EntscheidungsträgerInnen erhebliche Aufmerksamkeit erhalten. Doch es besteht die Gefahr, dass die Umstellung auf Elektrofahrzeuge entgleist, wenn die Interessen bestehender Automobilunternehmen und deren ArbeitnehmerInnen ignoriert werden.
Von der Vermarktung hin zur Herstellung von Elektroautos
Wenn wir den grünen Wandel wirklich ernst nehmen, wird sich unsere Beziehung zum Verkehr erheblich verändern müssen: weniger Personenkilometer, aber auch die Elektrifizierung privater Verkehrsmittel. Der Großteil des Denkens und Handelns in diesem Bereich war bis dato darauf gerichtet, wie man KonsumentInnen überzeugen kann, von Autos mit Verbrennungsmotoren zu batteriebetriebenen Fahrzeugen (kurz gesagt: Elektroautos) zu wechseln. Reichweitenangst – kann ich mit dem Auto lange Strecken zurücklegen, ohne dass mir der Saft ausgeht? – hat die Debatte bisher weitgehend dominiert. Das erklärt auch, warum bisher viel von unserem kollektiven wirtschaftlichen und politischen Denken in die Batterie- und Ladenetzwerkentwicklung geflossen ist.
Diese fast ausschließliche Aufmerksamkeit für die KonsumentInnenseite kehrt jedoch ganz andere, ebenso wichtige Überlegungen unter den Teppich: Elektroautos müssen hergestellt werden, und das Produktdesign sowie die Herstellungsprozesse unterscheiden sich grundlegend von Standardautos, wie wir sie heute kennen. ArbeitnehmerInnen (und Unternehmen), die tief in traditionellen Automobiltechnologien verwurzelt sind, laufen Gefahr, ihren Arbeitsplatz und ihre Überlebensgrundlagen zu verlieren.
Die Herstellung von Elektroautos kreiert ein politökonomisches Problem
Die Herstellung von E-Autos führt zu einem politökonomischen Problem aus drei Gründen. Erstens haben Elektroautos ungefähr 20 (oft einfachere, standardisierte) bewegliche Teile in ihrem Antriebsstrang, während Verbrenner über 2.000 Teile und zusätzliche komplexe Systeme aufweisen. Das Design und die Montage der Letzteren erfordern zunehmend mehr kontextuelle Fähigkeiten, während viele Teile für Elektrofahrzeuge fast von der Stange gekauft werden können – mit potenziell fatalen Folgen für bestehende Arbeitskräfte.
Zweitens: Wenn die Aufgaben und das Design einfacher werden, verkürzt sich die Lieferkette. Anstatt sich auf eine breite Menge fähiger Zulieferer mit umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zu verlassen, können die Automobilhersteller einfach auf technologische Entwicklungen in wenigen Kernbereichen setzen. Namhafte Erzeuger haben bereits jetzt Exklusivverträge oder Joint Ventures mit Batterieproduzenten abgeschlossen, während einige, zuvor ausgelagerte einfachere Prozesse wieder in interne Fertigungsoperationen eingebettet wurden.
Drittens ist der Wechsel von einer Basistechnologie zur anderen ein disruptiver Prozess. Man kann nicht einfach schrittweise Elektroautos zu einer bestehenden Montagelinie für Verbrenner hinzufügen, bis ein Fahrzeugtyp durch den anderen gänzlich ersetzt wird. Normalerweise wird die Produktion an einem Standort eingestellt, ein Teil der Belegschaft umgeschult und/oder redundant gemacht und in einer Greenfield-Fabrik neu begonnen. Sogenannte Brownfield-Umstellungen (innerhalb eines existierenden Produktionmodells) sind sogar für kleine Veränderungen schwierig umzusetzen, und verbundene Schwierigkeiten in einer viel tiefgreifenderen Konversion kann man sich leicht ausmalen.
Konservative Produzentenkoalitionen und regionale Auswirkungen des Wandels
Politische EntscheidungsträgerInnen sind sich zwar mittlerweile der Bedeutung einer gerechten sozio-ökologischen Transformation bewusst, aber die Debatte über die Herstellung von Elektroautos war bis jetzt zu statisch. Technologische Veränderungen werden großteils als exogene Schocks abgetan, die mit leicht veränderten Produkten im bestehenden Arbeits- und Organisationsumfeld bewältigt werden können. Dass die Verteilung von Gewinnen und Verlusten auch zu Vetokoalitionen innerhalb der Automobilindustrie führen kann, ist eine gefährliche, jedoch fast völlig ignorierte Schattenseite der E-Mobilität.
Weder die großen europäischen Automobilunternehmen – trotz aller Elektrifizierungsvorstöße – noch ihre Zulieferer werden alle ihre spezifisch auf Verbrenner ausgelegten Investitionen in Maschinen und Fabriken einfach so abschreiben wollen. Die mächtigen Metall- und Ingenieursgewerkschaften auf der anderen Seite werden Massenkündigungen und die folgenden sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen nicht akzeptieren. Eine konservative Koalition dieser schlagkräftigen Vetomächte ist also denkbar und könnte den Übergang zu umweltfreundlicheren Autos ernsthaft verlangsamen.
Zusätzlich werden viele regionale Volkswirtschaften mit einer noch starken Automobilindustrie, einschließlich Zulieferern, tiefgreifenden Anpassungsproblemen entgegensehen, wenn sich Lieferketten verkürzen und die technische Raffinesse weitgehend durch leistungsstarke, aber standardisierte Teile ersetzt wird. Die erweiterte Automobilindustrie in Süddeutschland und Österreich beschäftigt heute mehr als eine halbe Million Menschen. Viele der Zulieferer, die sich auf Funktionen im Zusammenhang mit Verbrennungsmotoren spezialisiert haben (welche aber in Elektroautos fehlen), stehen vor einer bestenfalls ungewissen Zukunft, und regionale Regierungen sehen ihre Beschäftigungs-, Wachstums- und Einkommensaussichten schwinden. Ohne eine aktive Gestaltung der Umstellung könnten sie von den reichsten Regionen der Welt zu einigen der ärmsten verkommen, wie die Schicksale von Detroit in den USA oder Humberside in Großbritannien zeigen. Die konservative Produzentenvetokoalition hat also potenziell mächtige politische Verbündete.
Fazit: Wir müssen Bedrohungen erkennen und sie in Chancen verwandeln
Während manche Unternehmen den Umstieg auf Elektroautos als einen Weg sehen, ihre Beziehungen mit Zulieferern und ArbeitnehmerInnen neu zu ordnen, erkennen viele Gewerkschaften zunehmend die Problematik einer solchen Verlagerung. Derartige Verwerfungen legen den Grundstein für einen gescheiterten Wandel, ein „soziales Blutbad“ oder das Aussterben der europäischen Automobilindustrie. Ein gerechter Wandel ist daher nicht nur hinsichtlich moralischer und sozio-ökologischer Gesichtspunkte richtig, sondern auch aufgrund der politischen Ökonomie von Gewinnen, Verlusten und den damit potenziell verbundenen Verzögerungen eine Notwendigkeit.
Firmen, ArbeitnehmerInnen und (regionale) Regierungen müssen auf die Null- oder Negativsummennatur des Spiels und die damit verbundenen (sozio-ökologischen und -ökonomischen) Ausfallrisiken aufmerksam gemacht werden. Die institutionalisierte Zusammenarbeit im industriellen System des Sektors und ein stärker regulierter Arbeitsmarkt in Deutschland und Österreich, der auch Unternehmen Anpassungskosten auferlegt, sind notwendige Voraussetzungen für die grüne Transformation. Aber um die ausreichenden Bedingungen für einen erfolgreichen Wandel bereitzustellen, braucht es einen politischen Anstoß, damit Bedrohungen in chancenreiche Alternativen in Technologie, Organisation und regionaler politischer Ökonomie umgewandelt werden.
Lösungsansätze sind reichlich vorhanden. Die Reintegration von traditionellen Zuliefererleistungen in die Endmontage zum Beispiel erhöht die Kompetenzbasis der ArbeitnehmerInnen und ermöglicht gleichzeitig eine Neuverteilung der Beschäftigung ohne große Arbeitsplatzverluste. Ein zusätzlicher Verzicht auf Fließbandarbeit zugunsten von stationärer, zellenförmiger Montage in kleinen Gruppen, wie bei Volvo in Uddevalla in den frühen 1990ern, könnte die Investitionskosten drastisch senken und gleichzeitig Beschäftigungszahlen, MitarbeiterInnenpartizipation und möglicherweise Löhne erhöhen.
Weiters werden globale Lieferketten mit ihren hohen sozialen und ökologischen Kosten dynamischen regionalen Produktionssystemen weichen. Die Bindung von Unternehmen an ihren Niederlassungsort hängt stark von der unternehmerischen Zusammenarbeit ab, die Unternehmen erlaubt, Innovationen, F&E und Ausbildung zu bündeln. Regionale politische Akteure müssen deshalb diese externen Netzwerkeffekte ermöglichen und sie hinsichtlich der Anforderungen der grünen Konversion erneuern, um die Attraktivität und den Erfolg ihrer Volkswirtschaften in der Zukunft sicherzustellen.
Kollektive Handlungsprobleme treten in unseren komplexen politökonomischen Systemen immer wieder auf und können die industrielle Transformation erheblich negativ beeinflussen. Es liegt deshalb in unserer Hand, sie zu erkennen und durch konkrete kooperative Alternativlösungen die Elektrifizierung der Automobilindustrie in eine Erfolgsgeschichte zu verwandeln.
Dies ist eine leicht veränderte und übersetzte Version des ursprünglichen Artikels. Die englische Originalversion wurde am 16.12.2020 auf LSE EUROPP publiziert: