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Frage der sozialen Teilhabe verschärft sich
Diese grobe Zusammenschau zeigt ein stark verändertes Konsumverhalten in den vergangenen Wochen. Zugleich wurden rasch viele Ersatz- und Alternativhandlungen gefunden, auch das Angebot adaptierte sich erstaunlich schnell, wozu die Möglichkeiten der Digitalisierung wesentlich beitrugen. Dies verdeutlicht eine zumindest kurzfristige Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft. Was von diesen Veränderungen bestehen bleiben wird, ist schwierig zu prognostizieren und auch abhängig von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung. Bestimmte Praktiken, die mittlerweile im Alltag eingeübt sind und dabei positiv erlebt wurden, haben gute Aussichten, auch künftig Bestand zu haben – dies ist z. B. eine Chance für regionaleres Kaufverhalten. Ereignisse wie im Kunst- und Kulturbereich leben natürlich auch von der direkten Erfahrung und dem Gemeinschaftserlebnis, das digitale Angebot kann hier nur ein kurzfristiger Ersatz sein. In der Krise ist vielen Menschen bewusst geworden, dass nicht jedes Konsumgut unbedingt notwendig ist. Laut einer Umfrage planen mehr als ein Viertel der Befragten, in den nächsten Monaten weniger einzukaufen. Tendenzen zu bewussterem Konsum wurden in den letzten Jahren bereits sichtbar und haben jetzt eine gute Chance, mehrheitsfähig zu werden. Gleichzeitig ist diese Reduktion aber für viele Menschen nicht freiwillig, sondern aufgrund von Arbeitsplatzverlust und damit einhergehenden großen finanziellen Einschränkungen entstanden. Für viele wird es schwierig sein, allein die monatlichen Fixkosten wie Miete oder Kreditzahlungen abzudecken. Die soziale Ungleichheit wird sich auch verschärft anhand künftiger Konsummöglichkeiten zeigen, die über soziale Teilhabe und Integration mitentscheiden. Der soziale Druck, sich bestimmte Dinge kaufen zu können, ist in der bestehenden Konsumgesellschaft nach wie vor hoch. Mit gleichzeitigem Blick auf die Klimakrise ist eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Konsumgesellschaft, in der wir leben, notwendiger denn je.
Ambivalente Erfahrungen durch Einschränkungen
Im Tourismus werden die beiden Seiten der Medaille besonders deutlich. Einerseits sind von „Overtourism“ betroffene Regionen durch Lärmreduktion und geringere Luftverschmutzung entlastet, was sich auch positiv auf die ansässige Bevölkerung auswirken kann. Andererseits fehlen durch die ausbleibenden Gäste Einnahmen für die Unternehmen und dadurch Arbeitsplätze. Die Krise öffnet weiters den Blick auf die Abhängigkeit von ausländischen Arbeitskräften, die zu niedrigsten Löhnen und fragwürdigen Arbeitsbedingungen Konsumgüter für den europäischen bzw. österreichischen Markt produzieren, wie beispielsweise die Situation der Erntehelfer*innen in der Lebensmittelbranche zeigte. Auch anderswo tritt ein Dilemma in Erscheinung: Die Modeindustrie klagt über massive Einbußen und zeigt damit gleichzeitig auf, wie sehr Bekleidung zu einem Wegwerfprodukt verkommen ist, weil die Mode des heurigen Frühjahrs sich nächstes Jahr nicht mehr verkaufen lasse. Ebenso verdeutlichen sich globale Auswirkungen: Wird in Europa weniger Kleidung gekauft, leiden vor allem Menschen im globalen Süden durch den Verlust ihrer Arbeitsplätze.
Was ist jetzt möglich und nötig?
Es werden aktuell viele Ideen eingebracht, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. „Öko-Prämien“, um den Autoverkauf zu steigern oder Fluglinien ohne einschneidende Klimaschutzmaßnahmen zu retten, sind ökologisch und gesellschaftlich die falsche Richtung. Gerade im Hinblick auf die Klimakrise, die jetzt nicht in den Hintergrund rücken darf, ist eine einfache Rückkehr zum Vorkrisenniveau nicht erstrebenswert. Es braucht genau jetzt einen anderen Weg, der – so abgedroschen das klingt – im Einklang mit Mensch und Natur steht. Das heißt, dass es aktuell die Chance gibt, bezüglich Massentourismus, Mobilitätsverhalten, Ernährungsweise, Produktionsbedingungen etc. auf wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ebene etwas zu ändern. Auch das Konsumniveau insgesamt muss thematisiert werden. Im Kontext des „guten Lebens für alle“ braucht es einen breiten gesellschaftlichen Dialog, wie viel und welcher Konsum für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Gesellschaft notwendig und erstrebenswert ist. Die Verantwortung darf jedoch nicht auf die individuellen Konsument*innen abgewälzt werden. Es bedarf eines Umbaus unserer gesamten Lebens- und Wirtschaftsweise im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation – wie z. B. durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und nachhaltiger Energiepolitik. Auch die Bestrebungen auf europäischer Ebene im Kontext der Nachhaltigkeit, die durch den „Green Deal“ und das „Kreislaufwirtschaftspaket“ eingeleitet wurden, dürfen jetzt nicht der Gesundheitskrise zum Opfer fallen.
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