Eine verlässliche und vergleichsweise günstige Versorgung mit Elektrizität war für Österreichs Haushalte und Industrie in den letzten Jahrzehnten zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Als Russland im Sommer 2021 begann, die EU durch Lieferzurückhaltungen zur Genehmigung der Nordstream-2-Pipeline zu drängen, stiegen die Großhandelspreise aus Sorge vor Gasknappheit im bevorstehenden Winter sprunghaft an. Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 trieb die Preise weiter nach oben. Hohe Preise für (importiertes) Erdgas führten aufgrund des Merit-Order-Preissetzungssystems – das teuerste noch zum Decken der Stromnachfrage benötigte Kraftwerk setzt den Großhandelspreis – zu explodierenden Stromkosten für Endverbraucher:innen. Die hohen Energiepreise setzten vor allem (vulnerable) Haushalte und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie unter Druck.
Reformvorschlag der EU-Kommission
Aufgrund der sozialen (Energiearmut) und ökonomischen (Wettbewerbsfähigkeit) Auswirkungen der energiepreisgetriebenen Inflation wendeten die Regierungen der Mitgliedsländer EU-weit über 650 Mrd. Euro an (meist) unkoordinierten Hilfsleistungen auf, um die Effekte der hohen Energiepreise abzufedern. Dabei waren die Strategien der einzelnen Mitgliedsstaaten teilweise deutlich unterschiedlich – Spanien und Portugal griffen durch die Subventionierung des Gaspreises für Kraftwerke direkt in den Markt ein, während Österreich auf Einmalzahlungen und Zuschüsse setzte. Außerdem wurde durch die hohen Strompreise aufgrund der gestiegenen Gaspreise die Forderung nach einer Reform des EU-Strommarktdesigns laut. Mehrere Regierungen veröffentlichten inoffizielle Non-Papers, worin Pläne und Vorschläge für eine Reform skizziert wurden. Während die südeuropäischen Länder eine weitreichende Reform des Strommarktdesigns befürworteten, standen Mitgliedsstaaten aus dem nördlichen Europa eher auf der Bremse und wollten nur geringe Änderungen des derzeitigen Marktdesigns. Polen und Ungarn setzten sich für mehr nationalstaatliches Handeln ein.
Nachdem die Präsidentin der EU-Kommission bei ihrer Rede zur Lage der Union eine „umfassende Reform“ des europäischen Strommarktes ankündigte, wurde Mitte März 2023 der Reformvorschlag der EU-Kommission präsentiert. Dieser sah neben einer Vielzahl an Maßnahmen – Verbesserungen im Verbraucherschutz, Power Purchase Agreements (PPAs) für längerfristige Lieferverträge zwischen Erzeugern und (Groß-)Verbrauchern etc. – die Einführung von Contracts for Differences (CfDs) vor. Diese erweitern Einspeisetarife, die den Kraftwerksbetreibern einen garantierten Preis pro Megawattstunde (MWh) bieten und damit ihre Investition vor mangelnder Rentabilität bei zu niedrigen Großhandelspreisen absichern sollen, um die Möglichkeit zur Abschöpfung von hohen Erträgen, wenn die Marktpreise für Strom stark ansteigen, wie dies ab Herbst 2021 der Fall war.
Contracts for Differences
Die Funktionsweise von CfDs wird in der untenstehenden Grafik beispielhaft für den Zeitraum 14.5.2023 bis 21.5.2023 dargestellt: Die blaue Linie entspricht dem Großhandelspreis in Euro pro MWh für Strom in Österreich. Die rot-strichlierte Linie entspricht dem behördlich in der Marktprämienverordnung festgesetzten und damals gültigen Strike-Preis für Windkraft von 79,80 Euro. Der dunkelgrüne Bereich darunter sind die Erträge der Energieerzeuger aus dem Marktpreis. Die hellgrüne Fläche entspricht den Förderungen, die vom Staat an die Energieversorger gezahlt werden, wenn der Marktpreis unter dem festgesetzten Preis liegt. Der rote Bereich entspricht der Menge an Erträgen, wo der Referenzpreis über dem Strike-Preis von 79,80 Euro liegt und die vom Erzeuger an den Staat abgeführt werden müssen. Die behördlich festgelegten Strike-Preise wurden der Marktprämienverordnung des BMK vom Oktober 2022 entnommen.