Die Reform des EU-Strommarktdesigns – der doch nicht so große Wurf

02. April 2024

Eine verlässliche und vergleichsweise günstige Versorgung mit Elektrizität war für Österreichs Haushalte und Industrie in den letzten Jahrzehnten zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Als Russland im Sommer 2021 begann, die EU durch Lieferzurückhaltungen zur Genehmigung der Nordstream-2-Pipeline zu drängen, stiegen die Großhandelspreise aus Sorge vor Gasknappheit im bevorstehenden Winter sprunghaft an. Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 trieb die Preise weiter nach oben. Hohe Preise für (importiertes) Erdgas führten aufgrund des Merit-Order-Preissetzungssystems – das teuerste noch zum Decken der Stromnachfrage benötigte Kraftwerk setzt den Großhandelspreis – zu explodierenden Stromkosten für Endverbraucher:innen. Die hohen Energiepreise setzten vor allem (vulnerable) Haushalte und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie unter Druck.

Reformvorschlag der EU-Kommission

Aufgrund der sozialen (Energiearmut) und ökonomischen (Wettbewerbsfähigkeit) Auswirkungen der energiepreisgetriebenen Inflation wendeten die Regierungen der Mitgliedsländer EU-weit über 650 Mrd. Euro an (meist) unkoordinierten Hilfsleistungen auf, um die Effekte der hohen Energiepreise abzufedern. Dabei waren die Strategien der einzelnen Mitgliedsstaaten teilweise deutlich unterschiedlich – Spanien und Portugal griffen durch die Subventionierung des Gaspreises für Kraftwerke direkt in den Markt ein, während Österreich auf Einmalzahlungen und Zuschüsse setzte. Außerdem wurde durch die hohen Strompreise aufgrund der gestiegenen Gaspreise die Forderung nach einer Reform des EU-Strommarktdesigns laut. Mehrere Regierungen veröffentlichten inoffizielle Non-Papers, worin Pläne und Vorschläge für eine Reform skizziert wurden. Während die südeuropäischen Länder eine weitreichende Reform des Strommarktdesigns befürworteten, standen Mitgliedsstaaten aus dem nördlichen Europa eher auf der Bremse und wollten nur geringe Änderungen des derzeitigen Marktdesigns. Polen und Ungarn setzten sich für mehr nationalstaatliches Handeln ein.

Nachdem die Präsidentin der EU-Kommission bei ihrer Rede zur Lage der Union eine „umfassende Reform“ des europäischen Strommarktes ankündigte, wurde Mitte März 2023 der Reformvorschlag der EU-Kommission präsentiert. Dieser sah neben einer Vielzahl an Maßnahmen – Verbesserungen im Verbraucherschutz, Power Purchase Agreements (PPAs) für längerfristige Lieferverträge zwischen Erzeugern und (Groß-)Verbrauchern etc. – die Einführung von Contracts for Differences (CfDs) vor. Diese erweitern Einspeisetarife, die den Kraftwerksbetreibern einen garantierten Preis pro Megawattstunde (MWh) bieten und damit ihre Investition vor mangelnder Rentabilität bei zu niedrigen Großhandelspreisen absichern sollen, um die Möglichkeit zur Abschöpfung von hohen Erträgen, wenn die Marktpreise für Strom stark ansteigen, wie dies ab Herbst 2021 der Fall war.

Contracts for Differences

Die Funktionsweise von CfDs wird in der untenstehenden Grafik beispielhaft für den Zeitraum 14.5.2023 bis 21.5.2023 dargestellt: Die blaue Linie entspricht dem Großhandelspreis in Euro pro MWh für Strom in Österreich. Die rot-strichlierte Linie entspricht dem behördlich in der Marktprämienverordnung festgesetzten und damals gültigen Strike-Preis für Windkraft von 79,80 Euro. Der dunkelgrüne Bereich darunter sind die Erträge der Energieerzeuger aus dem Marktpreis. Die hellgrüne Fläche entspricht den Förderungen, die vom Staat an die Energieversorger gezahlt werden, wenn der Marktpreis unter dem festgesetzten Preis liegt. Der rote Bereich entspricht der Menge an Erträgen, wo der Referenzpreis über dem Strike-Preis von 79,80 Euro liegt und die vom Erzeuger an den Staat abgeführt werden müssen. Die behördlich festgelegten Strike-Preise wurden der Marktprämienverordnung des BMK vom Oktober 2022 entnommen.

© A&W Blog


Ein gewichtiger Wermutstropfen des Vorschlags der EU-Kommission ist, dass nur neu errichtete Kraftwerke, die mit erneuerbaren Energieträgern betrieben werden und staatliche Förderungen erhalten, Teil dieses CfD-Abschöpfungsmechanismus sind. Dies bedeutet, dass besonders in Ländern wie Österreich, die bereits über einen hohen Anteil an erneuerbaren Energieträgern in der Stromerzeugung verfügen, weiterhin ein Großteil der erneuerbaren Erzeugungskapazität – zum Beispiel bereits amortisierte Wasserkraftwerke mit niedrigen Betriebs- und Erzeugungskosten – nicht von der Ertragsabschöpfung umfasst ist. Damit sind aufgrund des Merit-Order-Prinzips bei der Strompreissetzung weiterhin hohe Übergewinne für Kraftwerksbetreiber möglich, obwohl die Kosten nur minimal ansteigen. Dies ist vor allem zum Nachteil für einkommensschwache Haushalte und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie.

Grundsatzeinigung in Trilogverhandlungen

Nach den Verhandlungen in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments kam es im Spätherbst zu den Trilogverhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Europäischem Rat. Am 14. Dezember 2023 wurde eine vorläufige Grundsatzeinigung zwischen den drei Institutionen erzielt. Diese muss nun noch in den jeweiligen Gremien des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates beschlossen werden. Die Einigung enthält im Wesentlichen die Punkte des Kommissionsvorschlages vom März 2023, wie die Verbesserung des Konsument:innenschutzes durch eine größere Auswahl an Vertragsarten, ein verpflichtender Versorger letzter Instanz (Supplier of last resort) für Verbraucher:innen in Zahlungsschwierigkeiten, die Möglichkeit für Mitgliedsstaaten, die Strompreise für Haushalte in einer zukünftigen Energiepreiskrise zu regulieren, die Einführung von CfDs als Förderinstrument, das die Abschöpfung von hohen Erträgen ermöglicht, und die Möglichkeit der EU-Institutionen, unter bestimmten Kriterien eine Energiepreiskrise ausrufen zu können.

Fazit

Grundsätzlich sind Maßnahmen wie die Verbesserung des Konsument:innenschutzes durch einen Versorger letzter Instanz und eine größere Auswahl an langfristigen Verträgen zu begrüßen. Sie erhöhen den Schutz vor volatilen Preisen und schaffen höhere Standards für viele EU-Bürger:innen. Auch die Einführung von CfDs als Förderinstrument ist grundsätzlich als positive Weiterentwicklung zu werten. Jedoch geht die Reform nicht weit genug, da nur neu errichtete und staatlich geförderte Kraftwerke, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden, von dieser Maßnahme umfasst sind.

Dies bedeutet, dass weiterhin der Großteil der erneuerbaren Erzeugungskapazität keinerlei Preisdeckelung aufweist, obwohl die meisten bestehenden erneuerbaren Kraftwerke in Österreich (v. a. Laufkraftwerke an den größeren Flüssen) nur geringe Stromgestehungskosten haben. Dadurch bleibt die inhärente Eigenschaft des aktuellen europäischen Strommarktdesigns nach dem Merit-Order-Prinzip, dass extreme Preisanstiege einer Erzeugungskomponente (z. B. Erdgas) zu Verwerfungen am gesamten Strommarkt inklusive Übergewinne für Energiekonzerne, Wettbewerbsnachteilen für den heimischen Wirtschaftsstandort und sozialen Verwerfungen aufgrund von Energiearmut führen, unangetastet. Außerdem entsteht durch die Einführung von CfDs eine nachteilige Anreizstruktur für Stromproduzenten, da immer ein gewisser Strompreis garantiert wird und Erzeuger nicht mehr schwankenden Preissignalen ausgesetzt sind.

Überdies werden die Kosten für den Stromnetzausbau in der Reform nicht diskutiert, obwohl die Finanzierung des Ausbaus der Übertragungs- und Verteilnetzinfrastruktur für das Gelingen der Energiewende von essenzieller Bedeutung ist. Aktuell zahlen in Österreich die Haushalte anteilig am Stromverbrauch deutlich höhere Netzabgaben als Großabnehmer aus Industrie und Gewerbe. Es ist eine Grundbedingung für die Akzeptanz und den erfolgreichen Ausbau der erneuerbaren Energieträger, die Finanzierung der Netzinfrastruktur gerechter zu gestalten.

Abschließend kann gesagt werden, dass diese Strommarktreform bestimmt nicht die letzte ist, ist der europäische Strommarkt doch auch nach über 30 Jahren Integration weiterhin ein „Work in progress“. Jedoch gilt es, bei Reformen von Energiemärkten immer zu begreifen, dass es sich bei der Versorgung mit Elektrizität nicht um perfekt kompetitive Märkte handelt, sondern dass die zuverlässige Versorgung mit nachhaltigem und leistbarem Strom ein Grundbedürfnis einer jeden modernen Gesellschaft darstellt.

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