22. im Standortranking des IMD – Was sagt uns das wirklich?

30. Mai 2014

Vorige Woche war es wieder einmal so weit: Das International Institute for Management Development (IMD) veröffentlichte das Ergebnis seines jährlichen Wettbewerbs von 60 der bedeutendsten Wirtschaftsstandorte dieser Welt, das „World Competitiveness Scoreboard“ (WCS). Die Goldmedaille gewannen zum dritten Mal in fünf Jahren die USA, ebenfalls zum wiederholten Male seit 2010 wurden die Schweiz als Zweitplatzierter Europameister und Schweden als insgesamt Vierter EU-Bester, allerdings nur mehr hauchdünn vor dem stürmisch nach vor drängenden Deutschland. Österreich musste sich nach einer marginalen Verbesserung gegenüber 2013 mit dem bescheidenen 22. Platz zufrieden geben. Dies ist immerhin weit besser als sein Rang in der Fußballweltrangliste der FIFA, trotzdem umso enttäuschender als sich sowohl insgesamt als auch in drei der vier Unterkapitel (den „Competitiveness Factors“) der Abstand zum jeweils Ranglistenersten weiter vergrößert hat. Für die KommentatorInnen war es jedenfalls ein erneuter Anlass,  um auf Defizite und Fehlentwicklungen in der österreichischen Wirtschaftspolitik hinzuweisen. Die mag es geben, aber kann man derartige Rankings wirklich als Handlungsanleitung für Verbesserungen heranziehen?

Anders als kritische ÖkonomInnen (z.B. Christian Bellak und Richard Winklhofer oder zuletzt zweimal Miriam Rehm), hinterfragten auch dieses Mal weder die „Qualitätszeitungen“ noch die WKO die tatsächliche Aussagekraft von Rankings wie dem WCS für den Zustand und die Entwicklungsperspektiven der österreichischen Volkswirtschaft. Unabhängig von den grundsätzlichen Vorbehalten der o.a. AutorInnen (v.a.: Kritik an der ideologisch motivierten Umlegung des Leitmotivs Wettbewerbsfähigkeit von der einzelbetrieblichen auf die volkswirtschaftliche Ebene und methodische Zweifel an der Kompilierbarkeit so unterschiedlicher Indikatoren wie etwa „Fairness im Justizwesen“ und der Inflationsrate und damit an der Möglichkeit, Volkswirtschaften letztlich an Hand eines  Kraut und Rüben-Indikators zu reihen) tauchen bei einer genaueren Befassung mit Entstehung und Ergebnissen des WCS aber auch empirische Zweifel am Wert der Übung auf.

Harte Tatsachen oder Stimmungen?

An erster Stelle ist hier zu nennen, dass nur zwei Drittel der in die Berechnungen einfließenden Daten harte Fakten, der Rest Ergebnisse einer Umfrage unter ManagerInnen sind, und die Zahl der Befragten lediglich um die 25 beträgt. Gerade in der Phase der Talfahrt Österreichs vom historisch besten 11. Platz im Jahr 2007 auf den 23. im Vorjahr entwickelten sich diese subjektiven Einschätzungen v.a. im Unterkapitel „Government Efficiency“ deutlich schlechter als, teilweise sogar gegenläufig zu den harten Tatsachen  (s. dazu R. Stöger, Wie „abgesandelt“ ist der Standort Österreich?).

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: worldcompetitiveness.com, eigene Darstellung

Auch wenn einige dieser geradezu unfassbaren Bewegungen (so plumpste Österreich bei der Bewertung der Gesetzgebung zur Chancengleichheit zwischen 2011 und 2013 von Platz 13 auf 51 – welches Drama hat sich denn hierzulande in diesen zwei Jahren von uns unbemerkt abgespielt?) im jüngsten Ranking modifiziert wurden (im konkreten Fall ist der aktuelle Rang nun der 31.), bleibt der üble Beigeschmack des Verbreitens schlechter Stimmung unabhängig von der tatsächlichen Lage. Assistiert  werden die Verantwortlichen dabei von Journalisten, die sich in schlechten Noten für die Regierung geradezu suhlen statt ihr Zustandekommen zu hinterfragen.[1] Zu diesem Befund passt auch, dass Österreich in der heuer erstmals veröffentlichten Wertung „Außenwahrnehmung“ punktemäßig weit näher am Besten (hier: Singapur) als im Standortranking und sogar vor den USA liegt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: worldcompetitiveness.com, eigene Darstellung

Von grundsätzlicherer Bedeutung als solche Kuriositäten, die allerdings keine Einzelfälle sind, ist jedoch der Umfang dessen, was alles in diesem Ranking im Schätzverfahren abgehandelt wird. Dass ManagerInnen zum Schutz der persönlichen Sicherheit und der Eigentumsrechte im Lande ihres jeweiligen Wirkens eine kompetente Meinung äußern können, leuchtet ein. Was sie allerdings zu Experten in Fragen wie Alterung der Gesellschaft oder Dotierung der Pensionskassen macht und warum hier nicht internationale Vergleichsstatistiken herangezogen werden, erscheint weit weniger plausibel.

Der Vergleich macht nicht sicher

Der Glaube an die Aussagekraft von Standortrankings wie dem WCS wird auch nicht durch einen Vergleich mit dem anderen Flaggschiff des Genres, dem „Global Competitiveness Index“ (GCI) des World Economic Forum, gestärkt. Auch wenn sich diese beiden in der Anzahl der einbezogenen Länder und der Indikatoren, des Verhältnisses zwischen harten und weichen Daten, der Gliederung und der Berechnungsmethode unterscheiden, besitzen sie einen vergleichbaren Zugang und Anspruch sowie eine ähnliche Breite der abgedeckten Themenfelder und fischen in denselben Datengewässern. Man sollte daher auch meinen, dass die Platzierungen der einzelnen Standorte und deren zeitlicher Verlauf einigermaßen korrelieren. Was zeigt also der Vergleich[2]?

Tatsächlich lagen im Jahr 2013 nur von 30 der 60 Länder die Platzierungen in beiden Rankings innerhalb einer Bandbreite von plus/minus fünf Plätzen, bei der restlichen Hälfte war der Unterschied größer, in sieben Fällen sogar zweistellig (Spitzenwerte: Finnland mit 17 Plätzen Differenz, Japan mit 15, Südafrika mit 14). Der Vergleich der Rangänderungen gegenüber 2009 zeigt eine ähnlich breite Streuung. Für immerhin 23 Länder unterscheiden sich in diesem Zeitraum die Platzierungsänderungen in der einen Wertung um mehr als fünf Plätze von denen in der anderen, davon achtmal in zweistelliger Höhe. In 19 Fällen war die Entwicklung gegenläufig, d.h. Verbesserungen im WCS standen Verschlechterungen im GCI bzw. umgekehrt gegenüber (Spitzenwerte: Bulgarien mit +10 im GCI und -19 im WCS, Finnland +3 zu -11, Peru +8 zu -6).  Auch Österreich gehört zu den signifikant unterschiedlich beurteilten Staaten. Während es im GCI Rang 16 einnimmt und damit einen Platz gegenüber 2009 gewonnen hat, ist es im WCS nur 23., mit einem Minus von 7 Rängen. Für Interpretationen und Schlussfolgerungen je nach politischer Interessenlage und Intentionen steht also ein weites Feld offen.

Fazit

Was die harten Fakten betrifft, liefern Rankings wie das WCS meist nicht mehr als eine auch von anderen Quellen beziehbare Datensammlung. Im Bereich der auf  Umfragedaten beruhenden Bewertungen gilt, dass weniger der tatsächliche Zustand des Landes als die aktuelle, teilweise aus sachlich kaum nachzuvollziehenden Gründen kurzfristig schwankende Stimmung in der Gruppe der Befragten, deren Repräsentativität und oft auch Kompetenz hinterfragt werden muss, wiedergegeben wird. Das alles wird überlagert von einem hohen Ausmaß an Willkürlichkeit der Ergebnisse, abhängig von der Verarbeitungsmethode der Daten, wie der Vergleich zwischen WCS und GCI zeigt.

Damit soll keinesfalls behauptet werden, dass der Bericht nicht eine Reihe von tatsächlichen Schwachpunkten in Österreich anspricht, und keine Notwendigkeit für politisches Handeln besteht. Als Grundlage für die Ausformulierung der erforderlichen Maßnahmen sollte aber besser der politische Dialog anhand fundierter Daten als eine Checklist namens WCS dienen. Ob Österreich in Wertungen wie diesen im Spitzen- oder Mittelfeld rangiert und ob es im Jahresvergleich gewonnen oder verloren hat, ist nämlich primär sportlich zu sehen und für die Perspektiven des Landes ungefähr genauso wichtig und aussagekräftig wie sein Platz in der FIFA-Rangliste oder im olympischen Medaillenspiegel. Daran hat sich auch 2014 nichts geändert.

[1] Wie etwa „DiePresse.com“ vom 22.5., die der Regierung die „drittschlechteste Budgetpolitik“ vorhält. In diesem Bereich wird aus einer durchschnittlichen Platzzahl der Einzelindikatoren von 38 der 58. Platz (2013: 39.) im Aggregat.

[2] Dafür wurden aus dem GCI alle 88 Länder eliminiert, die nicht im WCS aufscheinen und nur dieses bereinigte Ranking zum Vergleich herangezogen