Bei den Lohnnebenkosten erzählen wirtschaftsliberale Ökonomen die Geschichte: Eine Kürzung dieser Unternehmerbeiträge(!) zum Sozialstaat gehe an Arbeitnehmer:innen (sic!), unter anderem zuletzt im „Standard“ oder im „Profil“. Die neueste Forschung sagt jedoch: Das Geld bleibt den Unternehmen. Arbeitnehmer:innen schauen durch die Finger.
Unternehmen behalten sich die Abgabenkürzung selbst ein
Zunächst widerspricht es schon dem Hausverstand. Wieso sollten sich Unternehmervertreter:innen und -parteien für eine Kürzung der Dienstgeberabgaben (Sozialstaatsbeiträge) starkmachen, wenn sie damit rechnen, dass sie als Gegenleistung eins zu eins die Löhne erhöhen müssen? Rhetorisch erinnert das Argument an „Trickle-down Economics“ des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan: Steuerkürzungen für die Reichen kämen bei den Armen an. Das ist freilich wissenschaftlich längst widerlegt. Warum behaupten die Wirtschaftsliberalen dennoch etwas anderes? Bis vor ein paar Jahren schien ihnen die Forschung sogar recht zu geben. Ökonom:innen fanden, dass Kürzungen der Beiträge zu Sozialversicherungen hauptsächlich Arbeitnehmer:innen zugutekamen.
Doch die neueste empirische Forschung findet hauptsächlich gegenteilige Ergebnisse. Die Inzidenz – wer die Steuer tatsächlich zahlt – ist tatsächlich so, wie sie rechtlich gedacht ist. Arbeitgeber:innen zahlen ihre Dienstgeberbeiträge, Arbeitnehmer:innen ihre Dienstnehmerbeiträge. Daher gilt: Eine Kürzung der Dienstgeberbeiträge bringt den Arbeitgeber:innen mehr Geld, aber nicht den Arbeitnehmer:innen. Eine ganze Ausgabe einer wissenschaftlichen Zeitschrift bestätigt das für mehrere Länder: Die Forscher:innen untersuchten (extrem viele) Änderungen der Lohnnebenkosten über die letzten Jahrzehnte in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden. Neuere Studien zu Finnland und Großbritannien schließen sich den Ergebnissen an.
Neue Studien: Arbeitnehmer:innen gehen leer aus
Warum sind die meisten neueren Ergebnisse ganz anders als jene früherer Studien? Es gibt zwei Studien, die versuchen zu erklären, warum das so ist.
Französische Forscher:innen argumentieren: Wenn eine Dienstgeberabgabe gekürzt wird, die direkt eine geringere sozialstaatliche Leistung für Arbeitnehmer:innen verheißt, müssen die Arbeitgeber die Ersparnis aus der Kürzung eher an Beschäftigte weitergeben. Zum Beispiel: Kürzt die Regierung Pensionsbeiträge, die Arbeitgeber:innen für Arbeitnehmer:innen einzahlen, dann verlangen Arbeitnehmer:innen von ihren Chefs einen höheren Lohn. Schließlich müssen die Beschäftigten nun selbst mehr (privat) einzahlen, um die gleiche Pension zu bekommen. Gibt es keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen Abgabe und Leistung, heimsen die Arbeitgeber:innen in der Regel die Ersparnis aus den niedrigeren Dienstgeberabgaben selbst ein. Doch genau um diese Art der Lohnnebenkosten geht es in der österreichischen Debatte (Beiträge zum Familienlastenausgleichsfonds, Kommunalsteuer, Wohnbauförderung).
Die zweite Erklärung: Forscher aus Korea und Singapur untersuchten Kürzungen lohnabhängiger Dienstgeberabgaben in Singapur, führten aber auch eine Meta-Studie durch – sie sahen sich die Ergebnisse vieler Studien mit guter Datenbasis durch. Ob die Arbeitnehmer:innen irgendetwas von dem Geld einer Lohnnebenkostenkürzung sehen, hängt vom Arbeitsmarkt eines Landes ab – genauer gesagt den Lohnverhandlungen. In Ländern mit branchenweisen, regelgebundenen Lohnverhandlungen im Rahmen von Kollektivverträgen (wie Frankreich, Deutschland, Niederlande oder Finnland) schnappen sich die Unternehmen das frei gewordene Geld aus der Abgabenkürzung. Zu Österreich selbst gibt es zwar keine Studie, doch zählt Österreich eindeutig zu dieser Gruppe. In Ländern mit individuellen Lohnverhandlungen hingegen – das heißt ohne Kollektivverträge (USA, Kanada, Singapur, Chile) – schaffen es die Arbeitnehmer:innen, sich mehr von einer Kürzung zu holen, teils sogar fast alles. Nur Norwegen und Großbritannien passen nicht ganz ins Muster. Das generelle Ergebnis der Studie ist: Länder mit individuellen Lohnverhandlungen haben eine um 3,5-mal höhere Weitergabe lohnabhängiger Abgaben an die Löhne. Auch wenn man dieser Studie folgt, sprich vieles dafür, dass die Arbeitnehmer:innen nichts bis wenig von einer Lohnnebenkostenkürzung sehen werden.
Allenfalls bekommen Besserverdiener:innen ein wenig
Falls aber einzelne Beschäftigte doch in der Lage sind, sich bei ihren Chef:innen etwas von der Kürzung herauszuschlagen, welche Gruppen wird das sein? Eine Studie zu Ungarn liefert die Antwort: nur die Besserverdiener:innen. Die Gruppe, die das Geld nicht zwingend braucht. Die Studie untersucht eine Lohnnebenkostenkürzung für über 60-Jährige. Die Firmen behielten drei Viertel der Kürzung. Die Löhne stiegen ausschließlich in hochproduktiven Firmen mit besserer Bezahlung. Für Niedrigverdiener:innen stiegen die Löhne gar nicht.
Fazit: Der Markt selbst wird es nicht richten. Wie können Arbeitnehmer:innen dennoch von einer Kürzung der Sozialstaatsbeiträge in Österreich profitieren? Etwa, indem die Wirtschaftskammer schon vor den Lohnverhandlungen zugesteht, dass die Löhne um den Milliardenbetrag der Kürzung (zusätzlich!) erhöht werden. Wie wahrscheinlich ist das? Die Chance dafür geht wohl gegen null, nachdem die Kammervertreter:innen zuletzt schon das Ende der kalten Progression vom Lohn abziehen wollten. Und das steht eindeutig den Beschäftigten zu.
Milliardengeschenk für Unternehmen. Kürzung der Sozialleistungen für alle anderen?
Kommt eine Lohnnebenkostensenkung – also eine Kürzung der Sozialstaatsbeiträge –, wie sich das Bundeskanzler Nehammer und sein Wirtschaftsminister, die NEOS oder die Agenda Austria vorstellen, bedeutet das bis zu zehn Milliarden Euro für Unternehmen. Umso mehr Mitarbeiter:innen, umso größer das Steuergeschenk. Das wahrscheinlichste Szenario ist dann: Hie und da werden sich besonders gefragte Gutverdiener:innen unter den Arbeitnehmer:innen ein kleines Stück der Kürzung abschneiden. Niedrigverdiener:innen werden nichts davon haben. Wenn in einer Branche genügend Konkurrenz herrscht, bekommt der eine oder andere Konsument bzw. die eine oder andere Konsumentin auch niedrigere Preise, wie ein unveröffentlichter Artikel zu Brasilien vermutet. Doch der Löwenanteil der Lohnnebenkostenkürzungen wird die Gewinne der Unternehmen erhöhen.
Verliererin der Kürzung der Sozialstaatsbeiträge wird in Österreich jedenfalls unsere gemeinsame „Haushaltskasse“ sein, das staatliche Budget. Geht es nach den Kanzlerplänen (3 Prozentpunkte Kürzung), entsteht bis zum Endausbau 2030 ein riesiges Budgetloch: aufsummiert knapp 20 Milliarden Euro. Die Folge wird sein: eine Kürzung der Leistungen des Sozialstaats für uns alle. Welche das sein sollen, verheimlicht uns der Bundeskanzler noch. Ehrlich sind nur die wirtschaftsliberalen Ökonomen: Sie fordern, dass das gesetzliche Pensionsantrittsalter steigt. In den nächsten Jahrzehnten müssten Beschäftigte in Österreich dann bis 67 Jahre arbeiten. Wird das gesetzliche Pensionsalter an die Lebenserwartung gekoppelt, kann es sogar hinauf auf 70 Jahre gehen. Das wäre eine gewaltige Kürzung der (Lebens-)Pension. Damit wird klarer, wer die Steuersenkung für Unternehmen bezahlen soll: Arbeitnehmer:innen, die bis zum Umfallen arbeiten sollen.
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel der im Jänner auf der Webseite des Momentum Instituts erschienen ist.