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Armut: Schlimmeres verhindert, aber deutlich Luft nach oben
Der weiterhin gut ausgebaute Sozialstaat hat Schlimmeres verhindert. Er wirkte in den Krisenzeiten als automatischer Stabilisator und reduzierte durch seine umfassenden Leistungen die Armutsgefährdung von rund 42 Prozent auf die oben erwähnten 15 Prozent.
Auch die türkis-grüne Bundesregierung hat dazu beigetragen, dass sich die soziale Krise in Österreich nicht stärker ausgebreitet hat. Positiv hervorzuheben ist die automatische Anpassung von ausgewählten Sozialleistungen (wie z. B. der Familienbeihilfe, dem Kinderbetreuungsgeld, aber auch dem Kranken-, Rehabilitations- und Wiedereingliederungsgeld) an die Inflationsrate. Leider umfasst diese Valorisierung aber nicht das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe. Besonders bitter ist, dass es zu keiner generellen Anhebung des Arbeitslosengeldes (und damit der Notstandshilfe sowie der entsprechenden Familienzuschläge) auf 70 Prozent des Nettoeinkommens gekommen ist, auch wenn mit dem Bildungsbonus ab 2020 eine spürbare Aufstockung des Arbeitslosengeldes ermöglicht wurde. Eine Anhebung hätte die Armutsgefährdung deutlich gesenkt, denn 2023 waren 56 Prozent der ganzjährig Arbeitslosen armutsgefährdet.
Sowohl während der Pandemie als auch zu Zeiten der Teuerungskrise schnürte die Bundesregierung für besonders betroffene Gruppen schnelle und wirksame Maßnahmenpakete, z. B. über finanzielle wie sachliche Direkthilfen (Einmalzahlungen, Teuerungsausgleiche, das Programm „WOHNSCHIRM“ etc.). Gerade in Hinblick auf die besonders vulnerablen Gruppen wären aber zusätzlich zu den Einmalhilfen dauerhafte Maßnahmen, wie eine Erhöhung des Unterhaltsvorschusses und der Ausgleichszulage oder eine armutsfeste Sozialhilfe für Kinder, sinnvoll gewesen. Im Bereich der Sozialhilfe, die von der türkis-blauen Regierung davor massiv beschädigt wurde, sind zwar einzelne, dringend nötige Verbesserungen in die Wege geleitet worden, allerdings sind die Systeme zwischen den Bundesländern weiterhin sehr unterschiedlich geregelt und die Richtsätze zu niedrig.
Stabile Realeinkommen, aber steigende Einkommensungleichheit
Die real verfügbaren Haushaltseinkommen sind gegenüber 2019 trotz der tiefen Krisen weitgehend stabil geblieben. Dafür sorgten vor allem die Kollektivvertragsabschlüsse, unterstützt von der zunehmenden Arbeitskräfteknappheit. Sowohl 2020 wie auch 2024 sorgten sie für einen starken Einkommenszuwachs, der die negativen Effekte aus Corona- und Teuerungskrise für die meisten Arbeitnehmer:innen ausgleichen konnte. Zusätzlich halfen das mit den Sozialpartnern entwickelte Kurzarbeitsmodell, der Härtefallfonds der Regierung, Einmalzahlungen sowie später die Abgeltung der kalten Progression und die Valorisierung der Sozialleistungen.
Gleichzeitig rissen diese Unterstützungsleistungen tiefe Löcher in das Budget. Maßgebend war, dass die Regierung mit Hilfszahlungen als Krisenfeuerwehr einsprang und in der Teuerungskrise – abgesehen von der Strompreisbremse – auf Preiseingriffe verzichtete: Die Mietpreisbremse kam spät und zahnlos, eine Gaspreisbremse wie in Deutschland wurde nicht eingeführt und die österreichische Inflationsrate blieb im EU-Vergleich außerordentlich hoch.
Die Reform der Einkommensteuer mit einer Senkung der ersten drei Tarifstufen und einer Erhöhung des Familienbonus war vom Volumen weit größer als die Unterstützungsleistungen für kleine Einkommen und begünstigte mittlere und höhere Einkommen stärker. Zudem profitieren höhere Einkommen überproportional von der jährlichen Anpassung der Tarifstufen in der Einkommensteuer an die Inflation. Die Erhöhung der Negativsteuer und des Kindermehrbetrags kam hingegen gezielt Personen mit geringen Einkommen zugute. Das Kernstück der ökosozialen Steuerreform war die CO2-Bepreisung mit dem Klimabonus zur Abfederung der finanziellen Mehrbelastung. Die Rückvergütung durch den Klimabonus war jedoch als Pauschalbetrag für alle unabhängig ihrer Einkommenssituation wenig zielgerichtet und berücksichtigte nur die Anbindung an das öffentliche Verkehrssystem.
In Summe wurde in der letzten Regierungsperiode eine steigende Einkommensungleichheit verzeichnet: Laut der neuesten WIFO-Prognose geht die Kluft zwischen dem reichsten und dem ärmsten Fünftel auf und erreicht heuer ein Verhältnis von 1:4,5 nach 1:4,1 im Jahr 2019.
Teure Förderung von Unternehmen
Die finanziell größte Unterstützungsleistung der türkis-grünen Regierung ging an Unternehmen, in Form von massiven Förderungen durch die eigens gegründete „COVID-19 Finanzierungsagentur“ (COFAG). Sie stabilisierten Unternehmen bzw. Selbstständigeneinkommen, führten allerdings auch zu einer Überförderung des Unternehmenssektors. Insgesamt wurden über die COFAG rund 15 Mrd. Euro an Corona-Hilfen vergeben – und das weitgehend ohne parlamentarische Kontrolle.
Zusätzlich gab es weitere Steuererleichterungen, etwa in Form der Einführung eines Investitionsfreibetrages und der Senkung der Körperschaftsteuer. Letztere ist als besonders problematisch einzustufen, da knapp zwei Drittel der Steuersenkung dem gewinnstärksten Prozent der Kapitalgesellschaften zugutekommen. Allein der Bankensektor lukriert durch die Reduktion der Gewinnsteuer mehrere 100 Millionen Euro, obwohl in den letzten beiden Jahren Rekordgewinne geschrieben wurden. Da großes Unternehmenseigentum an der Spitze der Verteilung angesiedelt ist, ist davon auszugehen, dass ohnehin wohlhabende Personen überproportional von diesen Förderungen und Steuererleichterungen profitieren.
Vermögenskonzentration als blinder Fleck der Regierung
Während es bei den Einkommen zahlreiche Maßnahmen gab, blieb die Vermögenskonzentration von der Regierung weitgehend unangetastet. Der Anteil der Top-5-Prozent am gesamten Nettovermögen stagniert seit 2018 bei etwa 54 Prozent, jener der Top-10-Prozent bei 64 Prozent, allein die 100 reichsten Familien Österreichs dürften gut 11 Prozent des Gesamtvermögens besitzen. Kein westeuropäisches Land weist eine höhere Konzentration an der Spitze der Verteilung aus. Auch bei großen Erbschaften blieb die Regierung untätig: In der türkis-grünen Regierungszeit verstarben gleich zwei der reichsten Personen Österreichs und Erbschaften von geschätzt rund 20 Milliarden Euro wechselten steuerfrei die Besitzer:innen.
Der Regierung fehlte es offenbar an Mut und Durchsetzungskraft, die Vermögenskonzentration anzupacken und den mit 1,4 Prozent verschwindend geringen Beitrag von Vermögen zum Steueraufkommen zu erhöhen. Währenddessen geht die internationale politische Diskussion längst in Richtung globale Mindestbesteuerung von Superreichen und OECD wie IWF stellen Österreich regelmäßig die Rute ins Fenster. Die türkis-grüne Koalition hätte zusätzliche Mittel aus vermögensbezogenen Steuern gut zur Krisenbewältigung einsetzen können. Aber selbst in der Hochphase der Corona-Pandemie mit einem massiven Anstieg der Staatsausgaben blieben die großen Vermögen unangetastet, obwohl der Ruf aus der Bevölkerung nach einem Lastenausgleich oder einem fairen Beitrag der Reichen laut war. An konkreten Ideen für die Umsetzung einer Vermögensteuer oder einer Erbschaftsteuer in Österreich mangelte es nicht.
Dennoch gab es auch positive Entwicklungen mit Blick auf die Verteilungsspitze. Erstens wurde der zunächst bis 2020 befristete Spitzensteuersatz von 55 Prozent für Jahreseinkommen über 1 Million Euro bis 2025 verlängert. Zweitens hat der Sozialbericht unter Sozialminister Johannes Rauch wieder an Inhalt gewonnen und nimmt die exorbitante Vermögensungleichheit ins Visier. Dadurch hat die Diskussion über die negativen Konsequenzen von Überreichtum wieder an Fahrt aufgenommen. Drittens bremste sich der vor dieser Legislaturperiode verzeichnete Anstieg der Vermögenskonzentration ein. Das ist aber eher den krisenhaften Entwicklungen als dem beherzten Eingreifen der Regierung in die Vermögensverhältnisse der Reichen zuzuschreiben.
Fazit
Getrieben durch die vielen Krisen hat die türkis-grüne Bundesregierung vorwiegend als Krisenfeuerwehr agiert. Verteilungsfragen spielten dabei kaum eine Rolle. Die verteilungspolitische Bilanz zeigt Licht und Schatten: Eine schlimmere soziale Krise wurde verhindert, das eigene Ziel zur Armutsreduktion jedoch meilenweit verfehlt. Die Einkommen wurden – auch unter tatkräftiger Mithilfe der Sozialpartner – stabilisiert, die Einkommensungleichheit stieg aber dennoch. Den Unternehmen wurde kräftig unter die Arme gegriffen, aber sehr kostspielig und kaum zielgerichtet. Die Vermögenskonzentration wurde bemerkt und kritisiert, blieb aber unangetastet.
Eine abschließende Bilanz der Verteilung unter Türkis-Grün müsste zudem die Verteilungswirkungen der ungeklärten Gegenfinanzierung all der gesetzten Maßnahmen umfassen. Die scheidende Koalition hinterlässt somit ein schweres Erbe, denn die Verteilung der Kosten der Krisenbekämpfung wird die kommende Regierung lösen müssen.
Welche knappen Schlussfolgerungen ergeben sich nun aus dieser Verteilungsbilanz der türkis-grünen Politik? Am unteren Verteilungsende muss Armutsbekämpfung systemischer ansetzen und dauerhafter wirken, also den Ausbruch des Feuers verhindern, statt nur im Nachhinein einzelne Krisenherde zu löschen. In der breiten Einkommensmitte hätten rasche Preiseingriffe bei Energie und Wohnen die Krise an der Wurzel gepackt, um Kaufkraft und Lebensstandard zu sichern und Abstiegsängste zu verhindern. Begleitende Verteilungsmaßnahmen sollten zudem zielgerichtet sein, um die unterschiedlichen Betroffenheiten und Möglichkeiten in der breiten Mitte zu berücksichtigen. Die obere Verteilungsspitze sollte Finanzier der Krisenbewältigung und nicht noch Profiteur von Steuergeschenken und kostspieligen Förderungen sein. Die kommende Regierung muss endlich die Vermögenskonzentration sowie die Schieflage im Steuersystem zwischen Arbeit und Kapital anpacken und einen fairen Beitrag der großen Vermögen einfordern.
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