Bis vor kurzem waren die Bemühungen der Politik zur Bekämpfung von Steuervermeidung und –hinterziehung trotz der enormen Steuerausfälle eher als bescheiden einzustufen. Während die Offenlegung von Steuerdeals der Großkonzerne durch „Luxemburg-Leaks“ den Druck auf die Politik erhöht hat, die Gesetzgebung im Bereich der Gewinnsteuern und ihre Durchführung in Richtung einer gerechteren Verteilung der Steuerlast grundlegend zu überdenken, fehlt eine entsprechende Dynamik im Bereich der Umsatzsteuer. Hier also Hoffnung, dort Dornröschenschlaf.
Offenlegung der Steuerdeals von Großkonzernen bringt frischen Wind in Steuervermeidungsdebatte
Mit „Lux-Leaks“ sind die Steuertricks, die Deals und zahlreiche vertrauliche Geschäftsbeschreibungen der Kunden des Beratungshauses PWC öffentlich zugänglich gemacht worden. Willige Helfer dieser Deals sind einerseits die großen Steuerberatungskanzleien (die „Big Four“, also Deloitte, Ernst&Young, PwC und KPMG), die nicht nur den großen Konzernen wie Starbucks, Google, Apple, Amazon etc helfen Steuern vermeiden. Mit im Spiel der aggressiven Steuerplanung sind andererseits auch die nationalen Steuerbehörden (vor allem in Luxemburg, Irland, Niederlande), die mit „tax rulings“ die Steuerminimierung ermöglichen.
Die Großkonzerne machen in Europa Milliardenumsätze und zahlen dafür niedrige bis gegen Null tendierende Gewinnsteuern. Die Kommission prüft nun – spät, aber doch – in allen Mitgliedstaaten die Praxis derartiger Steuervorentscheidungen. Mit höchster Dringlichkeit, heißt es. Es besteht nämlich der Verdacht, dass diese nicht nur der Rechtssicherheit dienen, sondern zum Vorteil von Großkonzernen missbraucht worden sind.
Glasnost für Steuerdeals ist also angesagt. Ein Untersuchungsausschuss im Europäischen Parlament wurde aber von den Mehrheitsfraktionen verhindert.
Die zuständigen EU-Kommissare Pierre Moscovici und Margarethe Vestager haben zugesagt, noch heuer Schritte gegen Steuervermeidung von Gewinnsteuern zu setzen. In der EU ist es allerdings bisher – trotz langjähriger intensiver Verhandlungen – noch nicht einmal gelungen, eine gemeinsame Definition für die Steuerbasis zu vereinbaren. Auch die Bemühungen der G20-Staaten zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung sind bisher nur Stückwerk ohne wirksame Regeln. Das letzte Treffen in Brisbane brachte wenig Fortschritte.
Ob die Kommissare dabei an eine Bemessungsgrundlage denken, die sicherstellt, dass Steuern dort abgeführt werden, wo die Wirtschaftsleistung erbracht wird, wird sich zeigen. Die Steuerbasis müsste dafür stärker am Umsatz ausgerichtet werden, verringert um Abschreibungen und Investitionen. Würde der „Steueroptimierung“ der großen Konzerne durch Gewinnverschiebungen ein Riegel vorgeschoben, könnten nach Schätzungen von Gabriel Zucman die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer um 30 Prozent gesteigert werden.
Beträchtliche Mehrwertsteuerlücke als Indiz für Steuerbetrug
Die Mehrwertsteuer ist eine andere Baustelle der Steuervermeidung und des Steuerbetrugs, die bislang weit weniger im Fokus der Debatte stand. Eine von der Europäischen Kommission beauftragte Studie schätzt die Mehrwertsteuer-Lücke EU-weit auf 177 Mrd Euro und für Österreich auf 3,2 Mrd Euro (2012). Die Differenz zwischen den erwarteten und tatsächlich eingehobenen Einnahmen liegt also in Österreich bei 12%, mit mittelfristig steigender Tendenz. Seit 2000 hat sich der Steuerausfall verdoppelt.
Die Ursachen für die Steuerausfälle sind vielfältig: Insolvenzen, Zahlungsverzug, legale Steuervermeidung sowie Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Während der Karussell-Betrug immer wieder thematisiert wird, führt ein anderer Bereich noch ein Schattendasein: der grenzüberschreitende Online-Versandhandel. In beiden Fällen nützen Betrüger Lücken im Mehrwertsteuersystem. Im Kampf gegen den Karussell-Betrug haben sich die EU-Finanzminister vor einigen Jahren für einige Branchen und zeitlich begrenzt auf die Möglichkeit zur Umkehr der Steuerschuld („Reverse Charge“) geeinigt: Dabei verschiebt sich die Steuerschuld ans Ende der Lieferkette auf den Leistungsempfänger, wodurch die betrugsanfällige Erstattung der Vorsteuer entfällt. Nunmehr wird – unterstützt von Österreich – ein neuer Versuch für eine umfassende „Reverse Charge“-Lösung in Angriff genommen.
Grenzüberschreitender Versandhandel nicht kontrollierbar
Die Schätzungen über das Ausmaß des innergemeinschaftlichen Versandhandels gehen auseinander: Während die Finanz von 2,4 Mrd Euro netto ausgeht, schätzt die KMU-Forschung das Volumen auf 3 Mrd Euro. Die Bedeutung dürfte in den kommenden Jahren rasant zunehmen – und damit auch das Potenzial für Steuerbetrug, nicht zuletzt aufgrund laufend neu entstehender Internetplattforen wie zB airbnb.
Seit Jahren haben die Finanzbehörden auf Basis der geltenden Rechtslage keine Möglichkeit den Versandhandel zu kontrollieren. Tätigt etwa der Versandhändler Amazon mit Sitz in Luxemburg eine Lieferung nach Österreich, dann sind diese Umsätze bei Überschreiten der Lieferschwelle von 35.000 Euro in Österreich zu versteuern (Bestimmungslandprinzip). Doch das zuständige Finanzamt Graz-Stadt hat keine Möglichkeit zu kontrollieren, ob die auf der Rechnung zwingend auszuweisende Umsatzsteuer auch tatsächlich abgeführt wurde, weil die Finanzämter auf Basis der geltenden Mehrwertsteuer-Richtlinie keine so genannten „Zusammenfassenden Meldungen“ über die Umsätze der Versandhändler erhalten.
Seit 2010 gibt es für den Versandhandel zwar eine Verordnung für die Zusammenarbeit der Finanzbehörden zur Betrugsbekämpfung, allerdings kommen die ausländischen Finanzbehörden den automatischen und spontanen Informationsverpflichtungen praktisch nicht nach. Die Finanz ist daher auf den „good will“ der ausländischen Steuerbehörden angewiesen. Zu gering ist das Interesse an Kooperation, und häufig bestehen subtile Vorurteile gegenüber ausländischen Finanzbehörden. Auch der Rechnungshof kam 2009 zu dem Ergebnis, dass die ordnungsgemäße Besteuerung des Versandhandels in der Praxis kaum möglich ist. Passiert ist seither freilich wenig, effektive Maßnahmen werden nicht einmal diskutiert.
Fazit: Aus für Steuervermeidung jetzt!
Die Erfahrungen zeigen, dass in der Steuerbetrugsbekämpfung ohne entsprechenden Druck von außen wenig passiert. Die Bundesregierung war im Rat der Europäischen Union zumeist auf der Seite der Blockierer. Wir erinnern uns an die unrühmliche Rolle der Finanzministerin Fekter und den automatischen Informationsaustausch im Rahmen der Zinsenrichtlinie.
Es ist daher höchste Zeit für einen Rollenwechsel. Wortreiche Ankündigungen und Briefe unbekannten Inhalts des Finanzministers reichen nicht. Die Regierung muss mit konstruktiven Vorschlägen auf allen Ebenen glaubwürdig aufzeigen und treibende Kraft zur Steuerbetrugsbekämpfung werden.