Schon der Antext in der Neuen Zürcher Zeitung war dramatisch: „Auf längere Sicht wird der ungebremste Braindrain für Österreich zu einem noch grösseren Problem als die Folgekosten der Hypo Alpe Adria“ schrieb Matthäus Kattinger dort am 1. April – es war aber offenbar nicht als Aprilscherz gemeint. Auch andere Medien hatten das Thema aufgegriffen und der Tenor war: Österreich verliert seine Geisteselite. Insbesondere die NZZ folgerte daraus, dass „überbordende Regulierungswut“ oder zu hohe Steuern schuld für den Brain Drain wären. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass diese Argumentation auf Sand gebaut ist, weil es in Österreich vielmehr einen „Brain Gain“ gibt, also einer Nettozuwanderung gut ausgebildeter Menschen.
Ausgangspunkt der Debatte war eine Aussendung der Universität Wien. Kern der Meldung: Es gibt ÖsterreicherInnen (aller Qualifikationen), die ins Ausland abwandern. Und die Zahl der abwandernden übersteigt jene der zuwandernden ÖsterreicherInnen. Soweit – so undramatisch, denn das Menschen sich internationaler orientieren ist erst einmal erfreulich. Nicht nur in der NZZ wurde diese Information weiterverarbeitet, sondern auch von heimischen Medien, die das angebliche Brain-Drain-Problem thematisierten. So titelte der Kurier und der Standard „Österreich hat ein Brain-Drain-Problem“, oder ebenfalls wortident die Wiener Zeitung und die Presse: „Hochqualifizierte verlassen das Land“.
jährliche AkademikerInnen-Nettoabwanderung: 700 oder 10.000?
Der Beitrag der NZZ ist alleine wegen des Umgangs mit Quellen besonders ärgerlich. So darf Franz Schellhorn, Chef von Agenda Austria, einer „Denkfabrik der Millionäre“ mutmaßen, dass das „offizielle Österreich“ gar keine Hochqualifizierten wolle. Es spricht dann auch Bände, wie mit den Fakten umgegangen wird. Im NZZ-Beitrag wird zunächst behauptet: „Denn Österreich leidet seit Jahren unter einem massiven Braindrain, übertrifft doch die Zahl der abwandernden Hochqualifizierten jene der Zu- oder Rückwanderer um bis zu 10 000 Personen pro Jahr.“ Quelle für diese Aussage sei die Statistik Austria. Schaut man genauer hin dann wird aber deutlich, dass die Daten der Statistik Austria diese Zahlen nicht decken.
Erstens werden nur Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft berücksichtigt, und zweitens wandern bei weitem nicht nur Hochqualifizierte ab. Alexander Wisbauer und Regina Fuchs schreiben in den Statistischen Nachrichten, dass „insgesamt knapp zwei Drittel aller im Jahr 2012 fortgezogenen Personen österreichischer Staatsbürgerschaft keine Matura“ hatten. Einen akademischen Abschluss hatten überhaupt nur 3.112 ÖsterreicherInnen, die das Land 2012 verlassen haben. Dem stehen 14.753 RückkehrerInnen gegenüber, deren Bildungsstand nicht bekannt ist. Sollte der Qualifikationsstand ähnlich sein wie der auswandernden ÖsterreicherInnen (es kann aber sogar sein, dass er höher ist, etwa weil ÖsterreicherInnen zum Studium ins Ausland gegangen sind) dann beträgt die Nettoabwanderung von österreichischen StaatsbürgerInnen mit akademischem Abschluss nicht wirklich alarmierende 700 Personen im Jahr 2012. Wie die NZZ auf „bis zu 10.000“ kommt bleibt ihr Geheimnis, da die Nettoabwanderung von ÖsterreicherInnen über alle Bildungsabschlüsse hinweg im Jahr 2011 exakt 6.404 und 2012 dann 7.414 betrug. Für 10.000 Hochqualifizierte bedarf es schon erheblicher Fantasie.
Die Aussage schrumpft also zusammen auf: Vielleicht haben mehr hochqualifizierte ÖsterreicherInnen Österreich verlassen als nach Österreich zurückgekommen sind.
Beweisen abwandernde AkademikerInnen mit österreichischem Pass einen Brain Drain?
Unterstellt, dass auch AusländerInnen ein „Brain“ haben, müsste man sich die Daten insgesamt ansehen. Und da wird es schwierig, denn über den Bildungsstand der ZuwandererInnen ist relativ wenig bekannt. Wisbauer und Fuchs schreiben: „Nicht für alle Personen, die ihre Ausbildung ausschließlich im Ausland absolviert haben, liefern die genannten Datenquellen gesicherte Informationen über den Bildungsstand. Da dies insbesondere auf Zuwanderer aus dem Ausland zutrifft, sind Analysen über den Bildungsstand der Zuzüge nach Österreich nicht sinnvoll möglich.“ Wohl aber gibt es Daten über den Bildungsstand der hier lebenden AusländerInnen. Und der hat sich dramatisch geändert.
Der Bildungsstand der AusländerInnen in Österreich hat sich allein zwischen 2004 und 2013 erheblich verändert, wie eine Auswertung aus der Arbeitskräfteerhebung des Mikrozensus durch Statistik Austria zeigt.