Armut und Ausgrenzungsgefährdung in Österreich

24. Juli 2018

Die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen oder bedrohten Menschen zu senken, ist eines der wichtigsten politischen Ziele der Europäischen Union für dieses Jahrzehnt. Die sogenannte Europa-2020-Strategie sieht vor, deren Zahl bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Millionen zu reduzieren. Das nationale Ziel für Österreich liegt bei einer Reduktion um 235.000 Personen. Im Vergleich zu 2008 ging die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung bislang um 136.000 Personen zurück. Einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von Armut leisten sozialversicherungsrechtliche und universelle Geldleistungen wie Pensionen, Arbeitslosengeld, Familienbeihilfe und bedarfsgeprüfte Geldleistungen wie die Ausgleichszulage, die Notstandshilfe und die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS).

Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung

In Europa hat sich vorrangig ein relatives Armutskonzept durchgesetzt, das sich am mittleren Wohlstandsniveau einer Gesellschaft orientiert und zu jedem Beobachtungszeitpunkt neu bestimmt wird – der Schwellenwert wird national festgelegt. Für das Europa-2020-Kernziel zur Reduktion von Armut wird der EU-SILC-Indikator der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung herangezogen, welcher den relativen Indikator „Armutsgefährdung“ (60 % des Medianeinkommens) durch absolute Armutskriterien zur erheblichen materiellen Deprivation (Zahlungsrückstände bei Miete oder Krediten und bestimme Dinge, wie jährlicher Urlaub, sind finanziell nicht leistbar) und zu sehr niedriger oder fehlender Erwerbsintensität ergänzt. Insgesamt waren 2017 gemäß EU-Definition 1.563.000 Menschen oder 18,1 % der Bevölkerung armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Dabei waren 14,4 % bzw. 1.245.000 Personen armutsgefährdet, 3,7 % bzw. 323.000 Personen von erheblicher materieller Deprivation betroffen und 8,3 % der unter 60-Jährigen bzw. 545.000 Personen lebten in Haushalten mit niedriger Erwerbsintensität. 434.000 Personen waren in mindestens zwei der drei Bereiche benachteiligt (fünf Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung). 117.000 Personen waren in allen drei Bereichen benachteiligt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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In Österreich zeigt sich eine sinkende Tendenz in der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung seit Beginn des Beobachtungszeitraums (auch wenn die Veränderungen zwischen den einzelnen Jahren aufgrund der statistischen Schwankungsbreite mit großer Vorsicht zu interpretieren sind). Der Anteil der armuts- oder ausgrenzungsgefährdeten Bevölkerung reduzierte sich von 20,6 % im Jahr 2008 auf 18,1 % im Jahr 2017. Auch innerhalb der EU-28 ist die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung – nach einem krisenbedingten Anstieg – seit 2013 wieder gesunken.

Auswirkungen von Armut

Die Auswirkungen von Armut und Ausgrenzung sind weitreichend und betreffen fast alle Lebensbereiche. So verschieben sich beispielsweise bei geringem Einkommen die relativen Ausgaben der Haushalte zu den Grundbedürfnissen Wohnen und Ernährung. Rund 45 % im untersten Einkommensquartil stehen „nur“ 33 % im obersten Quartil gegenüber. Einkommensstarke Haushalte geben dagegen mehr für Mobilität und Freizeit aus.

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Eine Studie zur Energiearmut zeigt, dass armutsgefährdete Haushalte 2014 etwa 12,5 % ihres Einkommens für Energie für Wohnen ausgaben, während der Durchschnitt aller Haushalte bei 4,6 % lag. Wenn Haushalte, deren Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen, gleichzeitig überdurchschnittlich hohe (äquivalisierte) Energiekosten zu begleichen haben, spricht man von Energiearmut. 2014 waren 117.000 Haushalte (3,1 %) energiearm. Überdurchschnittlich häufig betroffen von Energiearmut sind Haushalte mit Personen, die höchstens über einen Pflichtschulabschluss verfügen (7,1 %) und Haushalte ohne Erwerbsperson (6,6 %).

Ein weiterer Aspekt von Armut ergibt sich durch die Betroffenheit durch Umweltprobleme: Personen in der niedrigen Einkommensgruppe fühlen sich beispielsweise 2017 häufiger durch Lärm belastet: 19 % sind von Lärmstörung betroffen, im Gegensatz zu 18 % in der mittleren und 13 % in der hohen Einkommensgruppe.

Die Auswirkungen eines niedrigen Einkommens spiegeln sich allgemein auch in einer deutlich niedrigeren subjektiven Lebenszufriedenheit wider. Auf einer Skala von 0 bis 10 gaben Personen im untersten Einkommensquintil 2017 im Durchschnitt eine Zufriedenheit von 7,3 an – im Gegensatz zu 8,4 im höchsten Einkommensquintil. Im untersten Einkommensquintil sind dabei 20,6 % mit ihrem Leben wenig zufrieden, im obersten nur noch 4,5 %. Umgekehrt sind im untersten Einkommensquintil 26,5 % sehr zufrieden, im obersten hingegen 37,9 %.

Hinsichtlich der Bildungschancen ergeben sich deutlich schlechtere Startvoraussetzungen für Kinder aus Haushalten mit niedrigem Einkommen und soziale Selektion wird bereits bei Jugendlichen sichtbar: 76 % der Kinder in Haushalten mit einem hohen Einkommen besuchen die Unterstufe einer Allgemeinbildenden Höheren Schule (AHS), der Rest eine Hauptschule oder eine Neue Mittelschule (NMS). Kinder in Haushalten mit niedrigem Einkommen besuchen hingegen nur zu rund einem Viertel (27 %) eine AHS; der Besuch einer Hauptschule oder NMS ist hingegen häufiger (34 bzw. 36 %). Begründbar ist diese Trennung am Übergang der Primär- zur Sekundarstufe u. a. mit geringeren Bildungsbestrebungen in Haushalten mit niedrigerem Einkommen. Zudem ist laut EU-SILC 2014 für 49 % der Mädchen und 41 % der Buben in Niedrigeinkommenshaushalten eine bezahlte Nachhilfe nicht leistbar.

Maßnahmen zur Reduktion von Armut

Sozialstaatliche Maßnahmen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion von Armut. Gäbe es in Österreich keine Sozialleistungen, lägen die Haushaltseinkommen von 43 % der Bevölkerung unter der Armutsgefährdungsschwelle. Durch den Bezug von Pensionen, Familienbeihilfen, Arbeitslosengeldern und sonstigen monetären Sozialleistungen reduziert sich die Armutsgefährdungsquote auf 14 % der Bevölkerung (2017). Sozialen Sachleistungen kommt mit 30 % (2015) der Sozialausgaben eine vergleichsweise geringe Bedeutung zu. Eine wesentliche Rolle spielen soziale Sachleistungen vor allem im Bereich Gesundheit, wo 86 % der Ausgaben durch soziale Sachleistungen erbracht werden, u. a. durch ambulante und stationäre Krankenversorgung (71 % der sozialen Sachleistungen). In den Bereichen Kinder und Familie sowie Invalidität ergeben sich etwas mehr als ein Viertel der Ausgaben durch soziale Sachleistungen.

Monetäre Sozialleistungen dienen v. a. dem Einkommensersatz bzw. der Lebensstandardsicherung im Alter, bei Erwerbsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit sowie der Abdeckung spezieller finanzieller Erfordernisse im Fall von Kindern oder bei Pflegebedürftigkeit. Den wesentlichen Beitrag leisten sozialversicherungsrechtliche und universelle Geldleistungen.

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Das letzte sozialstaatliche Netz bildet die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS). Wer seine Existenz (Lebensunterhalt, Wohnbedarf, Schutz im Krankheitsfall) nicht ausreichend durch eigenes Einkommen bzw. vorrangig bezogene Sozialleistungen sichern kann, hat Anspruch auf entsprechende Unterstützung durch die BMS.

2016 erhielten insgesamt 307.533 Personen eine BMS-Leistung (überwiegend in Form einer die vorhandenen Eigenmittel ergänzenden Zahlung), 37 % davon waren Frauen, 36 % Männer und 27 % (minderjährige) Kinder. Eine den Frauen ungefähr gleich große Gruppe bildeten die Alleinstehenden (37 %), gefolgt von Paaren mit Kindern (32 %) und den Alleinerziehenden (19 %). Alleinstehende BMS-unterstützte Personen waren mehrheitlich Männer, Alleinerziehende überwiegend Frauen.

Die BMS wurde in den letzten Jahren von zunehmend mehr Menschen in Anspruch genommen: Die Zahl der Leistungsbeziehenden stieg im Zeitraum 2012–2016 um 86.192 Personen (+39 %), womit zuletzt auf 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner insgesamt 35 Personen mit BMS-Bezug entfielen (2012: 26 Personen). Hauptgründe für die Zunahme der Hilfsbedürftigkeit sind die Verschlechterung der Arbeitsmarktlage und stark gestiegene Wohnungs- und Lebenshaltungskosten.

Dieser Beitrag basiert auf einer in der neuen Reihe „Statistics Brief“ erschienen ausführlicheren Version.