Pflegelast auf jungen Schultern – hoher Handlungsbedarf!

29. April 2024

Betreuungsaufgaben für Personen mit längerfristigen Erkrankungen, Behinderungen oder altersbezogenen Schwierigkeiten zu übernehmen ist in wohlfahrtsstaatlich organisierten Ländern für viele Privatpersonen alltäglich. Worauf in diesem Zusammenhang allerdings häufig vergessen wird, ist, dass auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene solche Betreuungsaufgaben in vielen Fällen übernehmen (müssen). Flächendeckende Unterstützung fehlt nach wie vor, dabei gibt es Handlungsbedarf auf vielen Ebenen.

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Pflege- und Betreuungsaufgaben, im Fachjargon als „Young (Adult) Carers“ bezeichnet, kommen auf der ganzen Welt vor – so auch in Oberösterreich, wie eine aktuelle Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung gemeinsam mit der Arbeiterkammer Oberösterreich zeigt. Allein in Oberösterreich müssen, je nach Auslegung, zwischen 21.662 und 44.791 junge Menschen Betreuungsaufgaben übernehmen. Umgelegt auf Gesamt-Österreich bedeutet das, dass bis zu 264.000 Jugendliche und junge Erwachsene neben (Aus-)Bildung und Berufseinstieg in unterschiedlichen Facetten von innerfamiliärer Pflege betroffen sind. Nicht zu vergessen, dass für fast 43.000 Kinder ab fünf Jahren die Pflege in der Familie kein Kinderspiel ist, sondern die Fürsorge für z. B. Eltern oder Geschwister tägliche Realität.

In den Aufgabenbereich der Young (Adult) Carers können kleine Haushaltsaufgaben bis hin zu schwer körperlich und psychisch belastenden Tätigkeiten fallen. Sie suchen sich vor allem in jungen Jahren die Situation nur selten aus und definieren sich auch meist selbst kaum als Young (Adult) Carer. Das erschwert die Unterstützung von „außen“ in der Schule oder auch am Arbeitsplatz. Die Übernahme von innerfamiliärer Pflegeverantwortung prägt dabei die Transition ins Erwachsenenleben.

Vor allem das Gefühl, mit der emotionalen Herausforderung der Bewältigung des Pflegealltags allein gelassen zu werden, bedrückt viele junge Pflegende, oft auch lange nach Beendigung der eigentlichen Pflegesituation, sehr. Die Pflegerolle kann sich auf unterschiedliche Lebensbereiche wie Schule, Ausbildung, Beruf, Familie, die persönliche Entwicklung oder aber auch auf die Freizeit auswirken.

Mangel an Unterstützungsangeboten

Häufig können Young (Adult) Carers durch das niedrige Alter und den Mangel an Lebenserfahrung und physischer Kraft schwieriger die Grenzen ihrer eigenen Belastbarkeit identifizieren und sich Hilfe und Unterstützung für die altersuntypische Verantwortungsübernahme suchen. Wenn eine ehemalige junge Pflegende schildert: „Es hat aber nie wirklich irgendwer was gefragt“, wird sichtbar, selbst wenn bekannt ist, dass es in der Familie Pflegebedarf gibt, wird häufig lieber weg- als hingesehen. Nötig ist ein Maßnahmenbündel, um Jugendliche mit Pflegeverantwortung in ihrer besonderen Situation abzuholen und zu begleiten. Unterstützungs- und Entlastungsangebote sind zwar teils vorhanden, bei Weitem aber noch nicht im nötigen Ausmaß. Mehr als die Hälfte der im Zuge der Studie befragten Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gaben an, dringend zusätzliche Unterstützung zu benötigen.

Was international in einigen Ländern schon gelebte Praxis ist, ist in Österreich derzeit gerade einmal in den Kinderschuhen – ein flächendeckender Ausbau von Unterstützungsleistungen für Young (Adult) Carers in allen Lebensbereichen.

Internationale Positivbeispiele

Großbritannien hat eine spezifische Gesetzgebung und ein stärkeres Bewusstsein für die Young-Carer-Thematik. Ein etabliertes Good-Practice-Beispiel ist der Carer Passport, ein Dokument, das Menschen, die unbezahlte Pflegearbeit leisten, identifizieren soll und somit die notwendige Unterstützung und Hilfeleistung erleichtert. Weiters zeigt der alljährliche Young-Carers-Aktionstag, dass sich Großbritannien nicht nur mit der schwierigen Thematik für junge Pflegende befasst, sondern im ständigen Austausch mit ihnen bleiben und langfristig sinnvolle Lösungen entwickeln möchte. Norwegen setzt auf die starke Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung direkt in den Gesundheitseinrichtungen. Im EU-geförderten Horizon-Projekt Me-We wurden gemeinsam mit Betroffenen zahlreiche Aktivitäten entwickelt und getestet, die auch in Österreich mit nötigen Adaptierungen umgesetzt werden könnten.

Sinnvolle Maßnahmen für Österreich

Genau definierte Unterstützungsmaßnahmen für Young (Adult) Carers zu formulieren stellt sich – trotz des Bedarfs – als schwierig heraus, da sich die Tätigkeit der jungen Pflegenden auf alle Lebensbereiche auswirken kann. Im Unterschied zu anderen Ländern gibt es in Österreich keine flächendeckende Forschung zur Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Pflegeverantwortung in der Familie. Abgeleitet von den Interviews mit Young (Adult) Carers und aus der Literatur liegen in der Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung und der Arbeiterkammer Oberösterreich Maßnahmenvorschläge für konkrete Unterstützungsangebote vor.

Dabei wird zwischen gruppen- und individuenbezogenen Maßnahmen unterschieden. Die gruppenbezogenen Maßnahmen sollen sich vor allem der allgemeinen Bewusstseinsbildung, der Sensibilisierung von Berufen und der Identifikation von Young (Adult) Carers widmen.

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Mit den individuenbezogenen Maßnahmen soll die psychologische Unterstützung der Young (Adult) Carers etwa durch Coachings oder Beratungen sowie Entlastungsmaßnahmen und Patenschaften verbessert werden. Auch die Vermittlung von Wissen an Betroffene und eine finanzielle Unterstützung zählen zu den – in Österreich stark ausbaufähigen – Maßnahmen auf individueller Ebene.

(Aus-)Bildung als Herausforderung

Die (Aus-)Bildung von jungen Menschen bietet einen großen Handlungsspielraum, um Young (Adult) Carers ihren Alltag zu erleichtern. Gerade im Feld der Berufsausbildung, der Schulung von Trainer:innen und Ausbildner:innen, aber auch in der Unterstützung von jungen Menschen mit Pflegeverantwortung am Arbeitsplatz hat Österreich hohen Handlungsbedarf. Einerseits muss in Zukunft mehr auf die allgemeine Bewusstseinsbildung geachtet werden. Damit kann eine höhere Sensibilität des Lehrpersonals und der Mitmenschen der Young (Adult) Carers erreicht werden. Auch die Selbstidentifikation der jungen Pflegenden kann damit erhöht werden. Viele Young (Adult) Carers wissen gar nicht, dass sie einer Gruppe von jungen Menschen angehören, denen Unterstützung zusteht.

„Du weißt es als Kind nicht, dass du Young Carer bist oder in was für einer Situation du bist. Also das ist ganz, ganz schwierig … Schule wäre eigentlich ein Riesenpunkt.“

Andererseits ist die (Aus-)Bildung auch ein Raum, der in der Identitätsentwicklung eine enorme Rolle spielt. Vorbereitungs- und Beratungsmaßnahmen wären ein wichtiger Ansatzpunkt, um den jungen Pflegenden den schulischen oder beruflichen Alltag zu erleichtern und sie gleichzeitig in ihrer Zukunftsplanung zu unterstützen.

Ein Blick in die Zukunft

Young (Adult) Carers meistern – oft im Verborgenen – unplanbare Herausforderungen des Alltags und haben besondere Bedürfnisse. Es ist längst an der Zeit, auf diese Bedürfnisse einzugehen und die jungen Menschen zu unterstützen, um ihnen, so gut es geht, die schwere Last von den Schultern zu nehmen, die sie tagtäglich mit sich tragen müssen. Um eine nachhaltige politische Einbettung dieses Themas erreichen zu können, ist es notwendig, bestehende Maßnahmen zu verbessern, weitere Hilfestellungen zu entwickeln und auf eine konkrete Gesetzeslage hinzuarbeiten. Vor allem die Sensibilität auf Young (Adult) Caring muss in Österreich verbessert werden, um in Zukunft ein faireres Leben für die Young (Adult) Carers zu ermöglichen. Gefordert sind die Bundes- und Landespolitik in allen Themenbereichen, aber auch (Aus-)Bildungseinrichtungen, Arbeitgeber:innen und Gesundheitseinrichtungen.

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