Hebammen üben einen der ältesten Berufe der Welt aus. Sie begleiten und beraten Frauen während der Schwangerschaft, bei der Geburt, im Wochenbett und im ersten Lebensjahr mit dem Baby. Damit Hebammen ihre Leistungen qualitätsvoll und verlässlich erbringen können, sind passende Rahmenbedingungen essenziell. Eine gute Versorgung durch Hebammen wird jedoch nicht in die Wiege gelegt. Damit die Hebammenbetreuung modernen Standards gerecht werden kann, müssen Themen wie Ausbildung, Arbeitsbedingungen und Versorgungssicherheit dringend in Angriff genommen werden. Aus diesem Grund hat die Arbeiterkammer Wien gemeinsam mit dem Österreichischen Hebammengremium (ÖHG) eine Hebammen-Bedarfsprognose in Auftrag gegeben. Die Studie soll als Grundlage für einen gesundheitspolitischen Diskurs dienen, um österreichische Versorgungsstandards neu zu definieren.
Für bessere Umstände und einen guten Start ins Leben
Für eine bessere Versorgung durch Hebammen wurden erste Schritte in die richtige Richtung gesetzt. Seit Januar 2023 gibt es in Österreich einen neuen Hebammen-Gesamtvertrag, welcher Hebammenleistungen im niedergelassenen Bereich ausbaut und die Teilung einer vollzeitäquivalenten Planstelle ermöglicht. Demnach können sich mehrere Hebammen eine Planstelle teilen und Verträge im wöchentlichen Tätigkeitsausmaß von 30, 20 oder 10 Stunden abschließen. Dennoch besteht weiterer Handlungsbedarf – denn rund die Hälfte der jungen Mütter wird nach der Geburt weiterhin keine Nachbetreuung durch eine Vertragshebamme erhalten, obgleich der immer kürzere innerklinische Aufenthalt nach einer Geburt zu einem höheren Bedarf an Nachbetreuung zu Hause führt. Eine Vollzeit-Hebamme im niedergelassenen Bereich kann dem ÖHG zufolge 120 bis 140 Betreuungen pro Jahr übernehmen. Die aktualisierten Verträge mit der ÖGK sehen jedoch die Leistung für 180 Wöchnerinnen pro vollzeitäquivalenter Stelle vor. Das ergibt eine Versorgungsmöglichkeit von insgesamt 47.880 Lebendgeburten. Im Jahr 2021 kamen in Österreich allerdings 86.078 Kinder zur Welt. Das zeigt, dass 38.198 Frauen nach der Geburt keine Möglichkeit einer niedergelassenen Versorgung durch Kassenleistungen haben. Auch wenn ein kostenfreier Anspruch auf Hebammenleistungen bis zur achten Woche nach der Geburt besteht, gibt es mit derzeit 266 Planstellen weiterhin zu wenige Hebammen in der Nachsorge.
Unzumutbare Bedingungen für Gebärende und Hebammen
Obwohl 98 Prozent der Frauen ihre Kinder im Spital zur Welt bringen, fehlen Maßnahmen, um die Arbeit dort attraktiver zu gestalten. Die personelle Unterbesetzung in Kreißsälen führt zu teils unzumutbaren Bedingungen. Aber wie viel Betreuung braucht eine Geburt? Die aktuelle fachliche Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften zur Geburt empfiehlt während der Eröffnungs‐ und Austrittsphase der Geburt eine 1:1-Betreuung, also eine Hebamme pro Frau. Diese Zeitspanne umfasst bei Frauen, die das erste Kind bekommen, durchschnittlich 13 Stunden und bei Frauen, die bereits Kinder geboren haben, 8,5 Stunden. Die Leitlinie sieht vor, Frauen ab der Eröffnungsphase nicht mehr allein zu lassen. In Österreich sind wir davon weit entfernt. Auch wenn zahlreiche Studienergebnisse zeigen, dass sich ein 1:1-Betreuungsverhältnis positiv auf den Geburtsverlauf auswirkt und Komplikationen sowie psychische Belastungen reduziert, muss eine Hebamme derzeit bis zu fünf werdende Mütter gleichzeitig betreuen. Damit gut begleitete Geburten und Nachsorge nicht zum Luxus werden, wird Österreich in Zukunft mehr Hebammen brauchen. Die Hebammen-Bedarfsprognose liefert die Zahlen dafür.
Steigender Hebammenbedarf bis 2032
Die Hebammen-Bedarfsprognose bietet für sechs unterschiedliche Szenarien Ergebnisse zum Personalbedarf der Hebammen in den nächsten 10 Jahren. Dabei werden Perspektiven der Versorgung beleuchtet – vom Ausbau der Hebammenleistungen bis hin zu einer 1:1-Betreuung während der aktiven Eröffnungs- und Austrittsphase –, um Folgen von Unterbesetzung in der stationären, ambulanten und aufsuchenden Geburtshilfe zu reduzieren. Je nach angestrebter Verbesserung kann der Bedarf an Hebammen in den nächsten zehn Jahren unterschiedlich stark steigen. Sollen jedoch alle Mütter eine gute Versorgung erhalten, muss es um 1.412 Hebammen mehr geben als heute. Denn die derzeitige Unterbesetzung hat dramatische Konsequenzen für gebärende Frauen: etwa traumatisch erlebte Geburten, lange unbetreute Zeitphasen während der Geburt, geburtsbeschleunigende Interventionen einschließlich eines ungeplanten Kaiserschnittes oder ein höheres Risiko für Komplikationen.
Für das Personal führt die Unterbesetzung zu Überlastung, Konflikten und erhöhter Fehleranfälligkeit. Die angespannte Personalsituation mit einhergehender Arbeitsverdichtung führt immer wieder zu Grenzüberschreitungen bis hin zu Gewalt in der Geburtshilfe. Im medial stark präsenten Fall Schladming wurden prekäre Arbeitsverhältnisse nachgewiesen. Solche Erfahrungen können nicht nur für die Mutter psychisch traumatisierend sein. Durch Spätfolgen von physischen und psychischen Verletzungen ist auch die Entwicklung des Kindes gefährdet. Um die Gesundheit von Mutter und Kind zu gewährleisten, benötigen Hebammen mehr Zeit für die Betreuung – und das bedeutet mehr Personal. Zur Einhaltung fachlicher Standards sind verbindliche Personalschlüssel unumgänglich. Denn jede verhinderte Komplikation bei einer Geburt ist ein menschlicher, gesundheitlicher und letztlich auch ökonomischer Gewinn.
Hebammen-Versorgungsdichte und Arbeitsbedingungen: weit entfernt von den Besten
Dass in Österreich noch Luft nach oben ist, zeigt die Hebammen-Versorgungsdichte im internationalen Vergleich (siehe Grafik). Österreich liegt mit 29,89 Hebammen pro 1.000 Lebendgeburten deutlich hinter den Spitzenreitern Belgien und Schweden, deren Versorgungsdichte mehr als doppelt so hoch ist wie hierzulande. Vom besten Sozialstaat der Welt ist Österreich im Bereich der Geburtshilfe weit entfernt.