„Gleicher Lohn für gleiche Leistung!“, lautet eine zentrale Forderung von Käthe Leichter, der ersten Leiterin des Frauenreferats der Wiener Arbeiterkammer. Ihre Studien waren höchst innovativ, Frauen kamen zu Wort. „Für die Frauen ist zu Hause nur Schichtwechsel!“, merkt eine Arbeiterin 1932 an. Hat sich seitdem irgendetwas geändert?
Im Sommer 1925 – vor 100 Jahren – beschließt die Arbeiterkammer die Einrichtung eines Frauenreferats, das sich der Erforschung der Frauenarbeit verschreibt. Das Thema ist bis dahin ein weitgehend unbearbeitetes Feld. Zwar werden unter Ferdinand Hanusch, ab 1918 Staatssekretär für soziale Fürsorge, erste gesetzliche Verbesserungen umgesetzt – wie etwa die 44-Stunden-Woche für Frauen, eine Sozial- und Arbeitslosenversicherung –, die Realität der meisten Arbeiterinnen sieht jedoch anders aus. „So wird im Gast- und Schankgewerbe von 80- bis 100-stündigen Arbeitswochen berichtet, von 70 bis 74 Stunden im Kleinhandel …“,schreibt Käthe Leichter 1926 in „Arbeit und Wirtschaft“.
Probleme der Frauenarbeit – damals wie heute
Schon im Verlauf des Ersten Weltkrieges sind es die Frauen, die das Land am Laufen halten. Sie ersetzen zunehmend Männer, die in den Kriegsdienst beordert werden, und übernehmen bis dahin typische Männerberufe. Das Sujet der Schaffnerin ist bekannt, Frauen sind aber auch für die Pflasterung von Straßen zuständig. Man nennt sie die „Soldaten des Hinterlandes“.
Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, hält ein Erlass des Staatsrats für soziale Fragen nach dem Krieg fest, dass es einer Frau zumutbar sei, „jene Tätigkeit auszuüben, die sie vor 1914 geleistet hat, und ein möglichst großer Teil soll zur Hauswirtschaft zurückkehren“.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Die wirtschaftliche Not zwingt „immer neue Scharen von Frauen zur Erwerbsarbeit“. Nun bilden sie die „Reservearmee“, die „bei Konjunkturverbesserungen zuallererst herangezogen, bei Konjunkturverschlechterungen zuallererst wieder ausgestoßen wird“.

Metallarbeiterin, 1930
Die Frauen leisten auch wenig Widerstand. Von jeher gewöhnt, für ihre Arbeit – ob im Haushalt oder im familieneigenen Betrieb – nicht „entlohnt“ zu werden, sind sie in der Regel mit jedem Lohn zufrieden, gilt dieser auch nur als „Zuverdienst“.
Die Tatsache, dass Frauen „nur etwa drei Viertel, ja oft nur die Hälfte“ ihrer männlichen Kollegen verdienen, bringt ihnen ein weiteres Label ein. Zwar sieht es der Arbeiter als selbstverständlich an, dass seine Frau und seine Tochter zum Familieneinkommen beitragen, die Kollegin im Betrieb gilt jedoch als „Lohndrückerin“. Und auch hier formuliert Käthe Leichter die Unternehmensinteressen treffsicher: „Nicht die Eignung, die Löhne entscheiden über die Verwendung der Frauen.“
Auch heute sind die durchschnittlichen Bruttostundenlöhne der Frauen noch um fast 19 Prozent niedriger als die der Männer. Im EU-Vergleich hat Österreich einen der höchsten Gender Pay Gaps. Beim verfügbaren Einkommen auf Bruttojahresbasis beträgt die Lücke sogar 35 Prozent. Der hohe Anteil an Teilzeitarbeit bei Frauen ist ein wesentlicher Grund für die Lohndifferenz. Auch der geschlechtsspezifische Teilzeit-Gap ist in Österreich EU-weit einer der höchsten: Rund jede zweite Frau arbeitet in Teilzeit, während es im EU-Schnitt 28 Prozent sind. Über 70 Prozent der Frauen mit schulpflichtigen Kindern arbeiten in Teilzeit, bei den Männern tun dies nur lediglich 8 Prozent.
Nach wie vor wirken traditionelle Geschlechternormen und Rollenbilder. Männern wird als „Haupternährern“ die Verantwortung für die finanzielle Absicherung der Familie zugewiesen, während Frauen „dazuverdienen“. Bei fast der Hälfte aller Paare mit Kindern arbeitet der Mann in Vollzeit und die Frau in Teilzeit.
Die eigene Wohnung als Arbeitsplatz
Heimarbeit ist im „alten Österreich“ weit verbreitet und reicht von der Gablonzer Glasindustrie bis zur Hausweberei Dalmatiens. Nach dem Ersten Weltkrieg verliert sie an Bedeutung, nicht jedoch in Wien, wo sie im Zuge der Wirtschaftskrise sogar wieder zunimmt.
Für den Unternehmer macht sich die Heimarbeit durchaus bezahlt, er spart sich sämtliche „soziale Lasten“: „Die Arbeitslosigkeit der Heimarbeiter kostet ihn nichts.“ Doch die Abhängigkeiten sind groß. Über 97 Prozent der Heimarbeiterinnen sind nur für ein Unternehmen tätig. Die Löhne in der Heimarbeit richten sich nach der Stückzahl der abgelieferten Waren und betragen nur etwa die Hälfte der ohnehin niedrigen Löhne der Wiener Fabrikarbeiterinnen. Dies führt zu maximaler Selbstausbeutung mit Arbeitszeiten von bis zu 12 Stunden, bisweilen auch über 16 Stunden täglich.
„Bei ihren Kindern arbeiten zu können, scheint vielen Frauen große Vorteile zu bieten, die dann freilich durch elende Löhne, Verquickung von Arbeits-, Wohn- und Schlafraum, unbegrenzter Arbeitszeit, Mitarbeit aller Familienmitglieder aufgewogen werden“, schreibt Käthe Leichter 1927.
Die technologischen Möglichkeiten haben das Arbeiten von zu Hause aus für eine Vielzahl an Berufen ermöglicht. Homeoffice wird insbesondere von Frauen häufig als Möglichkeit wahrgenommen, um Erwerbs- und Sorgearbeit besser zu vereinbaren. Die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie haben allerdings gezeigt, dass Mütter nicht nur deutlich mehr – bezahlt und unbezahlt – gearbeitet haben als Väter, sondern im Homeoffice auch mehr Stress und Belastungen empfunden haben.
„So leben wir …“
In ihrer letzten großen Studie, die Käthe Leichter 1932 für das Frauenreferat erstellt, erfasst sie nicht nur die Arbeitswelt der Wiener Industriearbeiterinnen, sondern „Berufsarbeit, Haushaltungsführung und Mutterschaft“.
An der „Work-Life-Balance“ der Frauen hat sich seitdem nicht viel verbessert. „Müdigkeit ist der Zustand, der die von früh bis spät mit Arbeit überlastete Arbeiterin beherrscht.“ Vermutlich leiden auch die meisten an dem, was wir heute „Burnout“ nennen. „Eine Metallarbeiterin schreibt: ,Ich werde im Betrieb wie eine Zitrone ausgepreßt.‘“
Mehr als zwei Drittel der Arbeiterinnen geben an, dass sie an ihrer Arbeit nichts freut. Die qualifizierte, übergeordnete Arbeit ist „in der Regel Sache des Mannes, die unqualifizierte, mechanisierte, rein ausführende, vorwiegend untergeordnete Arbeit Sache der Frau“. Nicht einmal zwei Prozent der Frauen, die an der Studie teilnehmen, haben es zur Vorarbeiterin gebracht.
Hausarbeit und Kinderbetreuung
Zu Hause erwartet die Frauen ihr „zweiter Arbeitstag“. Denn: „Für die Frauen ist zu Hause nur Schichtwechsel!“, bestätigt eine Arbeiterin. Kochen, Nähen, Aufräumen, Waschen, Einkaufen, Kinderversorgen – „das sind Arbeiten, die fast jede Arbeiterin außer ihrer Fabrikarbeit zu leisten hat, die ihren Arbeitstag verdoppeln und verdreifachen“.
Aktuelle Daten zeigen, dass sich an der Verteilung der Erwerbs- und der unbezahlten Sorgearbeit in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nur wenig geändert hat. Nach wie vor leisten Frauen den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit, nämlich rund zwei Drittel. Frauen empfinden in allen Altersgruppen häufiger Zeitdruck als Männer, besonders betroffen sind jene zwischen 20 und 39 Jahren. Die Doppelbelastung durch bezahlte und unbezahlte Arbeit ist für Frauen mit einer hohen Stressbelastung verbunden; diese empfinden Frauen am stärksten bei der Sorgetätigkeit, wie Hausarbeit oder Angehörigenpflege.
Auf Unterstützung kann dabei weniger als die Hälfte zählen, nur selten vom Ehemann – selbst wenn dieser arbeitslos ist. „Zum Glück für die Arbeiterin finden sich auch hier die Heinzelmännchen des Proletarierhaushaltes: die Großmutter, die Nachbarin, die Zimmerfrau, die Tochter, die selbst noch in die Schule geht […]. Und doch: 61 Prozent der verheirateten Arbeiterinnen leisten ihre Haushaltsarbeit ohne jede Hilfe!“

Belastung von Arbeiterinnen mit Hausarbeit
Quelle: „So leben wir …“, 1932
Nach wie vor ändert sich die Arbeitsteilung zwischen Elternpaaren nur langsam. Von 10 Vätern beziehen nur zwei Kinderbetreuungsgeld und beteiligen sich – meist für die Dauer von nur zwei Monaten – an der Kleinkindbetreuung. Österreich liegt auch bei der Männerbeteiligung an Elternkarenz im Schlussfeld der EU-Länder. In den letzten Jahren war sogar ein Rückgang der Väterquote am Kinderbetreuungsgeld zu beobachten.
Auch die Kinderbetreuung lässt laut dieser Studie noch zu wünschen übrig. „Es sind doch 17 Prozent aller Kinder unter 14 Jahren, die weder zu Hause eine Aufsicht haben noch Kindergarten oder Hort besuchen, während der Berufsarbeit der Mutter also wirklich der Straße überlassen sind“, stellt Käthe Leichter fest.
Zwar hat Kinderbildung an gesellschaftlichem Stellenwert gewonnen, allerdings weist das Angebot an Kindergartenplätzen in Österreich Lücken auf, insbesondere am Land, bei den Jüngsten (0- bis 2-Jährige) sowie was die Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen betrifft. Nur rund ein Drittel der unter Dreijährigen besucht einen Kindergarten; Österreich liegt bei den Betreuungsquoten der Kleinkinder im untersten Drittel der EU-Staaten.
„Der einzige Trost ist, dass ich keine Kinder habe. Das Leben der Proletarierfrau ist nichts als ein ewiger Kampf“, schreit eine 30-jährige Arbeiterin und drückt damit für Käthe Leichter das aus, „was tausend Arbeiterinnen empfinden: In der Zeit knapper Verdienste, ständiger Existenzunsicherheit, nervenzermürbenden Kampfes ums Dasein wird es der Arbeiterin unmöglich gemacht, Mutter zu werden.“
Zwar hat der Kampf um soziale Rechte und Anerkennung für die Frauen vieles zum Besseren verändert. Es bleibt aber noch viel zu tun, um echte Gleichstellung zu erreichen. Zentrale Handlungsfelder, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen zu verbessern, sind die Herstellung von Lohngleichheit und die Aufwertung von Sorgearbeit, der Abbau von Benachteiligung und Diskriminierung, der Ausbau der öffentlichen Pflege- und Kinderbetreuungsinfrastruktur sowie die Schaffung von Anreizen für eine partnerschaftliche Teilung der Care-Arbeit. Nur mit fortschrittlichen Ansätzen in der Frauen- und Gleichstellungspolitik sind diese Ziele zu erreichen.
Mehr zu Käthe Leichters Leben und Arbeiten in der Sonderausstellung:
Käthe Leichter. Und die Vermessung der Frauen, bis 1.3.2026

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