Gewalt an Frauen scheint in Österreich omnipräsent. Kaum ein Tag vergeht, ohne in den Medien von schrecklichen Gewalttaten an Frauen zu lesen. Anlässlich der 16 Tage gegen Gewalt gegen Frauen versuchen wir uns an einer internationalen Perspektive, betrachten verfügbares Datenmaterial zu Gewalt an Frauen im Privaten und am Arbeitsplatz und versuchen zu beantworten: Hat Österreich ein Problem mit Gewalt gegen Frauen? Wir konstatieren ein gesamteuropäisches Problem, dem dominante patriarchale Denkweisen zugrunde liegen. Beseitigung ungleicher Machtverhältnisse und die Stärkung ökonomischer Unabhängigkeit von Frauen wird Gewalttaten und Übergriffe nicht gänzlich verhindern, doch Möglichkeiten eröffnen, (schneller) aus schädlichen Beziehungskonstellationen auszubrechen.
Das nordische Paradoxon: Spitzenreiter bei Gewalt gegen Frauen?
Die Europäische Union für Menschenrechte (FRA) veröffentlichte 2014 eine Gesamtschau auf Gewalt gegen Frauen durch eine EU-weite Erhebung. Die Daten zeigen Unerwartetes: nämlich, dass klassische Vorzeigeländer, was Gleichstellung der Geschlechter betrifft, die höchsten Raten von Gewalt gegen Frauen aufweisen. So gaben 52 Prozent der Däninnen, 47 Prozent der Finninnen und 46 Prozent der Schwedinnen an, körperliche oder sexuelle Gewalt durch einen ihrer (Ex-)Partner oder eine andere Person erfahren zu haben. In Österreich waren es „nur“ 20 Prozent und nur ein Land hob eine niedrigere Rate ein: Polen mit 19 Prozent. Sind die nordischen Gleichstellungs-Vorzeigeländer vielleicht doch nicht so fortschrittlich? Hat ökonomische Gleichstellung der Geschlechter vielleicht doch keinen Einfluss?
Hierzu stehen zwei Thesen im Raum: Einerseits sind die Ergebnisse naheliegend, gerade wegen der guten gesellschaftlichen Sensibilisierung, sodass Befragte in skandinavischen Ländern eher dazu neigen, die Fragen offen zu beantworten, und mehr Bewusstsein dafür haben, wo Gewalt beginnt. Dafür spricht auch, dass gerade in Ländern mit hoher angegebener Gewaltrate der Erstkontakt telefonisch geschah, was zusätzlich die Hemmschwelle senkt, um über Gewalterfahrungen zu reden. Auch psychische Gewalt wurde miteinbezogen – eine Form der Gewalt, für die es auch heute, über ein Jahrzehnt später, in den wenigsten Gesellschaften ein Bewusstsein gibt. Andererseits steht auch im Raum, dass dies Ergebnisse einer Backlash-Bewegung sein können, die sich vor allem gegen Frauen formiert, die einen gleichgestellten Platz in der Gesellschaft einfordern. Darauf weist auch das zunehmende Erstarken rechtspopulistischer Parteien in den skandinavischen Ländern mit typisch misogyner Programmatik.