Eine „Nachhaltigkeitsministerin“ blockiert auf Kosten der Allgemeinheit. Österreich hätte bis zum 1. April 2019 einen Plan mit konkreten Maßnahmen für eine gesunde Luft beschließen müssen. Das angebliche „Umweltmusterland“ tritt aber auf der Stelle, weil die österreichische Agrarlobby alles verhindert.
EU-Vorgaben für eine saubere Luft
Luftverschmutzung ist das größte umweltbedingte Gesundheitsrisiko in Europa. In Österreich sterben laut Europäischer Umweltagentur (EUA) rund 7.500 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung. In der gesamten EU sind dies sogar rund 400.000 Menschen. Zusätzlich fallen noch weitere Kosten für Gesundheit und Natur an. Deshalb hat die EU im Jahr 2016 die sogenannte NEC-Richtlinie (= National Emission Ceilings) verabschiedet, die den EU-Mitgliedstaaten Reduktionen bei schädlichen Luftschadstoffemissionen vorschreibt. Die EU verfolgt damit das lobenswerte Ziel, die Zahl der vorzeitigen Todesfälle durch Luftverschmutzung im Jahr 2030 (Basis 2005) um die Hälfte zu reduzieren. Spätestens am 1. April 2019 müssen die Mitgliedstaaten hierzu ein verbindliches Vier-Jahres-Programm mit konkreten Maßnahmen beschließen. Während in anderen Staaten (z. B. Deutschland) seit Monaten daran gearbeitet wird, gibt es in Österreich noch nicht einmal einen Vorschlag. Warum?
Im „Nachhaltigkeitsministerium“ hat die Landwirtschaft Vorrang
Im Kern geht es bei der NEC-Richtlinienumsetzung in Österreich nur um Reduktionen beim Luftschadstoff Ammoniak. Zwar sieht die NEC-Richtlinie noch Reduktionen bei anderen Luftschadstoffen (Stickoxide, Schwefeldioxid, primärer Feinstaub PM2,5 und flüchtige Kohlenwasserstoffe außer Methan) vor, die Zielvorgaben für diese Luftschadstoffe wurden aber im Wesentlichen schon verwirklicht oder werden aufgrund bestehender EU-Binnenmarktvorschriften bzw. über geplante Klimaschutzprogramme erreicht.
Politischer Handlungsbedarf hingegen besteht bei der Verringerung von Ammoniak in der Luft, das fast ausschließlich von der Landwirtschaft verursacht wird. Österreich dürfte seit 2010 nur 66 Kilotonnen emittieren, im Jahr 2020 64,6 Kilotonnen und 2030 57,4 Kilotonnen. Tatsächlich hat Österreich aber allen EU-Auflagen und Vorschriften im Emissionsschutzgesetz-Luft (EG-L) zum Trotz den Ammoniak-Ausstoß im Jahr 2016 auf 67,9 Kilotonnen gesteigert. Wie ihre Vorgänger riskiert die „Nachhaltigkeitsministerin“ damit auch sehenden Auges ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission vor dem EuGH wegen Nicht-Umsetzung dieser Richtlinie. Die Verhängung von Strafgeldern durch das Gericht könnte drohen.
Das Kern des Problems: Luftverschmutzung durch intensive Landwirtschaft und Massentierhaltung
Die Exkremente von Rindern und Schweinen sowie deren Ausbringung in Form von Gülle sind für viele hauptsächlich ein Geruchsproblem. Die Wissenschaft hat dies aber in den letzten Jahren auch als massives Problem für eine gesunde Umgebungsluft ausgemacht. Konkret geht es um Ammoniak, dass bei der Zersetzung von Gülle entsteht und in der Atmosphäre mit anderen Gasen (v. a. Stickoxiden und Schwefeldioxid) sogenannte sekundäre Feinstaubpartikel bildet. Diese besonders kleine Feinstaubfraktion wird unter PM2,5 erfasst und verursacht neben den besonders kleinen Nanopartikeln (PM0,1) die Gesundheitslast bei Feinstaub. Daneben verursacht Ammoniak als Vorläufersubstanz in Verbindung mit Stickoxiden (NOx) bodennahes Ozon. Im Unterschied zu anderen Sektoren (Industrie, Verkehr, Energiegewinnung) gibt es aber in der Landwirtschaft keine ausgeprägten spezifischen Vorschriften bei der Vermeidung von Luftverschmutzung. Symptomatisch ist, dass selbst die industrielle Aufzucht von Rindern in Großbetrieben – der größte Ammoniakverursacher in der Landwirtschaft – auf EU-Ebene von der EU-Industrieemissionsrichtlinie ausgenommen ist. EU-weit sorgen nur 5 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe für 80 Prozent der Ammoniak-Emissionen.
Schäden für die menschliche Gesundheit und die Natur
Die negativen Folgen für die menschliche Gesundheit durch Feinstaub sind durch medizinische, biologische und epidemiologische Studien ausreichend belegt und statistisch gut abgesichert. Die Auswirkungen reichen von Morbidität und Mortalität bis zu Produktivitätsverlusten und medizinischen Behandlungskosten. Ammoniak aus der Landwirtschaft trägt darüber hinaus zur Versauerung von Böden, Verlust von Biodiversität und zur Belastung des Grundwassers bei. Verständlicherweise werden die Kosten dieser Schäden durch die Landwirtschaft bis heute nicht vom österreichischen Nachhaltigkeitsministerium erhoben.
Maßnahmenpotenziale werden nicht aufgegriffen
Die Reduktion von Ammoniakemissionen umfasst eine breite Palette an möglichen Maßnahmen. Wichtig ist hierbei vor allem, dass Gülle so wenig wie möglich der Umgebungsluft ausgesetzt ist. Deswegen soll Gülle, die in Becken gelagert wird, mit einer festen Abdeckung versehen sein und bei der Ausbringung möglichst bodennah und tageszeitgünstig ausgebracht werden. Eine proteinreduzierte Tierfütterung ist ebenfalls zweckdienlich. Ein Leitfaden des österreichischen Umweltbundesamtes hat für die Einhaltung der NEC-Ziele im Jahr 2020 und 2030 ausreichende Reduktionspotenziale bei der Aufzucht von Rindern, Schweinen und Geflügel ermittelt. Viele dieser Maßnahmen werden seit Jahren in der Schweiz umgesetzt, die eine kleinteilige Landwirtschaftsstruktur mit ähnlichen Produktionsbedingungen (z. B. alpine Hanglagen) wie Österreich aufweist. In Österreich wird aber bis dato nur vereinzelt über die Maßnahmen nachgedacht, sofern öffentliche Förderungen in Aussicht gestellt werden.
Was kostet und was bringt saubere Luft?
Das IIASA hat 2017 für die EU-Kommission eine Kosten-Nutzen-Analyse angestellt, um eine gesündere Luft für die Menschen in der EU zu quantifizieren. Demnach kostet die Erreichung der NEC-Ziele im Jahr 2030 in allen EU-Staaten zusätzlich jährlich 960 Millionen Euro. Davon entfallen allein auf die Landwirtschaft 40 Prozent oder 385 Millionen Euro, die vor der NEC-Beschlussfassung mit gerade einmal drei Prozent aller Kosten für die Luftreinhaltung aufkam. Diesen Kosten steht aber ein gesellschaftlicher Nutzen (erhöhte Lebenserwartung, geringere Gesundheitskosten, weniger Krankenstand, Ernteausfall etc.) gegenüber, der konservativ geschätzt um den Faktor 14 größer als die Kosten ist. Bemerkenswert das Ergebnis für Österreich: Die Zahl der vorzeitigen Todesfälle durch Feinstaub PM2,5 würde sich demnach von 5.267 im Jahr 2005 auf 2.647 im Jahr 2030 verringern. Ebenso würde die Verringerung der Lebenserwartung von 7,2 auf 3,6 Monate zurückgehen.