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Im ersten Jahr der Kürzung 2019 waren laut einer Parlamentarischen Anfrage insgesamt 137.100 im EU/EWR-Raum lebende Kinder von der Indexierung betroffen. Im Zeitverlauf ging die Zahl der betroffenen Kinder leicht zurück. So waren 2021 rund 125.300 in der EU bzw. im EWR-Raum lebende Kinder von der Indexierung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags betroffen. Die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt trafen insbesondere Beschäftigte mit Migrationshintergrund. Es ist davon auszugehen, dass ein Teil der Grenzgänger:innen mit Kindern im EU-Ausland ihre Beschäftigung in Österreich verloren oder beendet hat und deshalb auch den Anspruch auf Familienbeihilfe.
Indexierung ist rechtswidrige mittelbare Diskriminierung
Gewerkschaften, Arbeiterkammer und viele NGOs haben ebenso wie die damaligen Oppositionsparteien und die Nachbarstaaten Österreichs die Indexierung der Familienleistungen als unionsrechtswidrig abgelehnt. Der Anpassungsmechanismus verstößt gegen einen der Grundpfeiler der europäischen Rechtsordnung, nämlich die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Wanderarbeitnehmer:innen sind in ihren sozialen Rechten eingeschränkt. Sie tragen mit den Steuern und Sozialabgaben zur Finanzierung von Sozialleistungen gleichermaßen bei wie österreichische Arbeitnehmer:innen, erhalten aber nicht die gleichen Beihilfen und steuerlichen Vergünstigungen. Außerdem stellt die Indexierung eine rechtswidrige mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar: Der Anpassungsmechanismus trifft vornehmlich Arbeitnehmer:innen anderer Mitgliedstaaten und nicht Österreicher:innen.
Gegen die 2019 in Kraft getretene Indexierung der Familienleistungen hat die EU im Jänner 2019 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet, da die österreichischen Rechtsvorschriften „diskriminierend und nach dem EU-Recht nicht zulässig“ sind. Im Jahr 2020 hat die Europäische Kommission den letzten Schritt des Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet und Österreich vor dem EuGH geklagt. Im Jänner 2022 hat der EU-Generalanwalt in einem Gutachten des EuGH die Indexierung der Familienbeihilfe als EU-rechtswidrig beurteilt. Österreich müsse Arbeitnehmer:innen aus anderen EU-Staaten unabhängig vom Aufenthaltsort der Kinder die gleichen Beihilfen und steuerlichen Vergünstigungen gewähren wie österreichischen Arbeitnehmer:innen. Dieser Rechtsansicht hat sich der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 16. Juni 2022 wie erwartet angeschlossen. Österreich muss nun Maßnahmen ergreifen, die sicherstellen, dass die Rückerstattung der gekürzten Beträge rasch, unbürokratisch und für alle betroffenen Familien erfolgt.
Die Kosten einer populistischen Maßnahme
Die damalige türkis-blaue Regierung hat die Einführung der Indexierung auch mit erwarteten Einsparungen von jährlich 114 Mio. Euro argumentiert. Tatsächlich wurden in den drei Jahren von 2019 bis 2021 insgesamt 290 Mio. Euro weniger an Familien ausbezahlt.
Schwerer wiegt jedoch der administrative Zusatzaufwand, der durch die Indexierung und die nun erforderliche Rückabwicklung entstanden ist. Die Reform hat durch den erhöhten Prüfaufwand bei der Feststellung, ob und wie lange sich ein Kind im „teureren“ oder im „billigeren“ Mitgliedstaat dauerhaft aufhält, beträchtliche Zusatzkosten in der Verwaltung verursacht. Das Familienministerium hat bereits zu Beginn des Inkrafttretens des Anpassungsmechanismus begonnen, finanzielle Rücklagen für eventuelle Rückzahlungen bei der Feststellung der EU-Rechtswidrigkeit zu bilden. Der politische Schaden der populistischen Maßnahme ist allerdings erheblich.
Rasche Rückzahlung der gekürzten Familienleistungen für alle Familien
Die den Familien vorenthaltenen Familienleistungen, inklusive der steuerlichen Familienleistungen, müssen allen Betroffenen rasch und unbürokratisch zurückgezahlt werden. Gerade in Zeiten einer massiven Teuerung stehen viele Familien unter Druck, insbesondere solche mit geringen Einkommen. Die gesetzlichen Grundlagen für die Beseitigung der unionsrechtswidrigen gesetzlichen Bestimmungen und für die Rückzahlung der gekürzten Beihilfen wurden bereits geschaffen (sie sind aber zum Zeitpunkt des Verfassens des Beitrags noch nicht in Kraft getreten). Die Rückzahlung erfolgt – für Bezieher:innen der Familienbeihilfe im laufenden Bezug – automatisch. Liegt kein laufender Bezug vor und können fehlende Daten nicht ermittelt werden, müssen betroffene Familien selbst einen Antrag auf Rückzahlung stellen. Betroffene Familien, insbesondere solche, die außerhalb Österreichs leben, aber Kürzungen hinnehmen mussten, sollten aktiv informiert werden. Für sie sollte eine niedrigschwellige Antragstellung in den Muttersprachen der Herkunftsländer möglich sein.
Zusatzaufwand für die Rückabwicklung darf nicht zulasten der Familien gehen
Familien waren in der Corona-Pandemie besonderen Belastungen ausgesetzt. Die gegenwärtige massive Teuerung stellt viele Familien vor existenzielle Probleme. Der Zugang zu universellen Familienleistungen wie der Familienbeihilfe ist deshalb von grundlegender Bedeutung. Es muss sichergestellt werden, dass es durch diesen administrativen Zusatzaufwand, der sich aufgrund der Rückabwicklung ergibt, zu keinen Verzögerungen bei der Auszahlung der Familienbeihilfe kommt. An den Bezug der Familienbeihilfe ist eine Reihe von Familienleistungen gekoppelt (z. B. Schulstartgeld), und er ist auch Voraussetzung für Familienleistungen wie das Kinderbetreuungsgeld. Schon während der Corona-Pandemie sind umfassende Verzögerungen bei der Auszahlung der Familienbeihilfe aufgetreten, die es jedenfalls zu vermeiden gilt. Dafür ist eine deutliche Aufstockung des Personals in den Finanzämtern erforderlich. Die Rückabwicklung der Indexierung, (Neu-)Anträge und Anspruchsüberprüfungen müssen zügig bearbeitet und durchgeführt werden, denn weitere Verzögerungen sind den Eltern vor dem Hintergrund der empfindlichen Preissteigerungen nicht zuzumuten.
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