Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) spricht sich in seiner jüngst mit überwältigender Mehrheit beschlossenen Stellungnahme zum Juncker-Investitionsplan für eine „Goldene Regel“ für öffentliche Zukunftsinvestitionen aus. Da im EWSA drittelparitätisch die Interessenverbände von ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen und von sonstigen Interessengruppen vertreten sind, kann von einer breiten Basis für diese Forderung in der organisierten Zivilgesellschaft gesprochen werden. Dies sollte der Anstoß für eine Intensivierung dieser Diskussion auf europäischer und nationaler Ebene werden.
Der „Juncker-Plan“ und dessen Hoffnungen
Der EWSA bezog vor Kurzem zum Kommissionstext „Eine Investitionsoffensive für Europa“ vom 26.11.2014 Stellung. In diesem ersten Schritt im Rahmen der von Präsident Juncker angekündigten Investitionsoffensive möchte die Kommission mit einem bescheidenen Einsatz von EU-Mitteln in der Höhe von 21 Mrd. Euro (eine Garantie von 16 Mrd. aus dem EU-Haushalt und 5 Mrd. von der EIB, der Großteil davon nur umgewidmetes und nicht frisches Geld) privates Kapital anziehen und damit per Hebelwirkung in den nächsten drei Jahren ein Investitionsvolumen von insgesamt mindestens 315 Mrd. Euro mobilisieren. Dafür wird innerhalb der EIB-Gruppe ein Europäischer Fonds für strategische Investitionen (EFSI) eingerichtet, zu welchem auch die Mitgliedstaaten (entweder direkt oder über nationale Förderbanken und ähnliche Einrichtungen) und auch private Investoren beitragen können und sollen.
Der EWSA begrüßt einleitend den Sinneswandel der Europäischen Kommission (welcher allerdings von deren VertreterInnen vehement abgestritten wird), denn die Kommission erkenne nun offensichtlich an, dass mit Sparmaßnahmen und Haushaltskonsolidierung die anstehenden Probleme nicht lösbar sind, dass es eine Investitionslücke und einen Mangel an Gesamtnachfrage gäbe, und dass der Finanzsektor nicht in der Lage sei, einen substanziellen Beitrag zur Ankurbelung der Wirtschaft zu leisten.
Erwähnung finden aber auch einer Reihe von Kritikpunkten, die in diesem Blog schon zwei Tage nach Veröffentlichung des Kommissionsdokuments vom WIFO-Experten Stefan Ederer aufgezeigt wurden. So erscheint das Volumen des Projekts für die Einleitung eines selbsttragenden Aufschwungs zu gering, und es ist äußerst fraglich, ob die optimistischen Annahmen bezüglich der Hebelwirkung auch realisiert werden können. Auch die beachtlichen Vorlaufzeiten bei größeren – vor allem grenzübergreifenden – Infrastrukturprojekten lassen an einer baldigen konjunkturbelebenden Wirkung zweifeln. Weitere skeptische Anmerkungen beziehen sich auf die Auswahl geeigneter Projekte und auf die unzureichende Einbeziehung der Sozialpartner bei der Erstellung der Listen förderungswürdiger Projekte.
Der EFSI – eine „Mini Golden Rule“?
Zusammenfassend meint der EWSA also, einerseits grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung, andererseits aber verbunden mit großer Skepsis gegenüber vielen optimistischen Annahmen. Soweit unterscheidet sich die Stellungnahme nicht substanziell von vielen anderen Einschätzungen. Doch dazu kommt beim EWSA ein wesentlicher zusätzlicher Aspekt: der Ausschuss betont, dass es sich bei dem Plan nur um eine „second best“ Lösung handelt. Denn „idealerweise würde ein umfassender europäischer Investitionsplan vorangetrieben werden durch von der öffentlichen Hand finanzierte strategische Projekte zur Ankurbelung von Wachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen.“
Die implizite Argumentationskette lautet: öffentliche Infrastrukturinvestitionen sollten idealerweise auch mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. Dies wird den Mitgliedstaaten durch die strengen Fiskalregeln aber verunmöglicht (Originalton EWSA: „Die derzeitige öffentliche Investitionslücke wurde durch negative Anreize des gegenwärtigen fiskalpolitischen Rahmens der EU verursacht“). Deshalb müssen – suboptimalerweise – auch private Investoren einbezogen werden. Damit wird die Sache für die BenutzerInnen und/oder SteuerzahlerInnen aber teurer als bei rein öffentlicher Finanzierung, die im Normalfall günstiger ist als die Finanzierung über private InvestorInnen, denen eine gewisse – und zumeist deutlich höhere – Mindestrendite zugesagt werden muss.
Und genau dieser Gedankengang ebnet dann dem EWSA den Weg zur Forderung an die Kommission, „eine Debatte über eine angemessen formulierte fiskalpolitische Regel für Europa anzustoßen“. Unter der Überschrift „Zeit für eine neue goldene Regel für Europa?“ begrüßt der EWSA ausdrücklich, dass die erhöhte Flexibilität der Kommission bei der Behandlung der EFSI-Zahlungen bereits eine goldene Regel im Kleinen darstellt.
Der Ausschuss meint aber, dieser Sinneswandel der Kommission gehe noch nicht weit genug. Er fordert diese daher auf zu erklären, warum laufende öffentliche Infrastrukturinvestitionen nicht generell flexibler gehandhabt werden.
Der goldene Ausweg
Äußerst unterstützend für den Meinungsfindungsprozess im EWSA wirkte sich aus, dass gerade rechtzeitig vor der Beschlussfassung in der Fachgruppe die von der Arbeiterkammer bei Achim Truger (Berlin School of Economics and Law & Macroeconomic Policy Institute, Düsseldorf) in Auftrag gegebene Studie „Implementing the Golden Rule for Public Investment in Europe“ (deutsche Kurzfassung hier) fertiggestellt wurde und von diesem auch in der Fachgruppensitzung präsentiert werden konnte.
Im Wesentlichen stimmt die Begründung bei Truger und EWSA überein. Öffentliche Investitionen erhöhen den öffentlichen Kapitalstock und damit auch die Wachstumsmöglichkeiten für zukünftige Generationen, welche daher auch zur Finanzierung dieser Investitionen beitragen sollen. Ist aber – so wie derzeit in Europa – eine Schuldenfinanzierung nicht möglich, wird den derzeitigen Generationen eine übermäßige Steuerlast auferlegt, was zu Unterinvestition führt. Die Lösung bestünde somit darin, die Finanzierung wachstumsorientierter Zukunftsinvestitionen bei der Berechnung der für die europäischen Fiskalregeln maßgeblichen Defizit- und Schuldenquoten auszuklammern.
Der EWSA als Katalysator der europäischen Diskussion
Im Gegensatz zum auf der politischen Ebene üblichen, vom neoliberalen Mainstream geprägten, polemischen Geplänkel hat im EWSA der ökonomische Sachverstand gegenüber ideologisch geprägtem Fundamentalismus die Oberhand behalten. Die Stellungnahmen des EWSA haben aufgrund dessen Zusammensetzung naturgemäß umso mehr Gewicht, je größer die Mehrheit ist, mit der sie verabschiedet werden. Die hier präsentierte Stellungnahme wurde mit überwältigender Mehrheit (200 Pro-, 3 Gegenstimmen und 9 Enthaltungen) angenommen. Deshalb wäre in einem demokratischen europäischen Meinungsbildungsprozess zu erwarten, dass Stimme des EWSA in der laufenden Diskussion um mehr Flexibilität im Stabilitäts- und Wachstumspakt auch entsprechende Berücksichtigung findet.