Die Sicherheitslage in Europa verschärft sich durch geopolitische Spannungen und steigende Militärausgaben. „Peace Tech“ und eine defensive Landesverteidigung bieten eine nachhaltige Alternative, indem Technologien zur Konfliktprävention, zivilen Sicherheit und Diplomatie beitragen. Dazu zählen Frühwarnsysteme, Rüstungskontrolle und Katastrophenschutz. Europa sollte verstärkt in Forschung und Innovation investieren, um Friedenssicherung durch technologische Entwicklungen zu fördern. Österreichs Neutralität begünstigt eine glaubhafte Positionierung als Standort für Peace Tech.
Die sicherheitspolitische Lage und Militarisierungstendenzen in Europa
In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in Europa erheblich verändert. Geopolitische Spannungen, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und wachsende Bedrohungen durch Desinformation und Cyberangriffe haben viele europäische Staaten dazu veranlasst, ihre Verteidigungsbudgets drastisch zu erhöhen. Die Welt rüstet auf. Das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) hat für 2023 errechnet, dass die globalen staatlichen Rüstungsausgaben mit 2,3 Billionen ein Allzeithoch erreicht haben. Die NATO-Mitglieder streben verstärkt das 2-Prozent-Ziel der Verteidigungsausgaben a, und Rüstungsunternehmen verzeichnen Rekordaufträge. Auch die EU hat sich verpflichtet, ihre allgemeine Verteidigungsbereitschaft zu erhöhen, um ihren Bedürfnissen und Zielen gerecht zu werden. Zu diesem Zweck wurde eine erste Strategie für die Verteidigungsindustrie auf EU-Ebene vorgelegt (European Defence Industrial Strategy, EDIS), kombiniert mit einem ersten Legislativvorschlag zur Umsetzung dieser Strategie (European Defence Industry Programme, EDIP). Mit dem „Strategischen Kompass“, der 2024 beschlossen wurde, wurde ein Aktionsplan für die Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU geschaffen, um im „feindlicheren Sicherheitsumfeld“ mehr Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Zentrale Felder sind militärische Missionen und Operationen, der Ausbau von Kooperationen mit Drittstaaten und internationalen Organisationen sowie die Förderung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gezieltere Investitionen und ein Instrument zur gemeinsamen Beschaffung von Rüstungsgütern (EDIRPA) und eine Verordnung zur Förderung der Munitionsproduktion (ASAP).
Diese zunehmende Militarisierung wirft jedoch Fragen über nachhaltige Sicherheitsstrategien auf. Ist Aufrüstung von Kriegsmaterial tatsächlich die einzige Antwort auf aktuelle Bedrohungen oder gibt es Alternativen? Inwiefern kann sich Österreich – im Rahmen der EU – technologisch und ökonomisch als Zivilmacht positionieren?
Der offene europäische Geldhahn für Rüstung und Verteidigung
Auf Grundlage von EDIS und EDIP sollen im Zeitraum 2025 bis 2027 insgesamt 1,5 Milliarden Euro aus dem EU-Budget mobilisiert werden. Wie der Thinktank Bruegel anmerkt, bewerten diese Dokumente bestehende Produktionskapazitäten angesichts des steigenden Bedarfs als zu positiv. Mit Verweis auf die anhaltenden bzw. zunehmenden geopolitischen Spannungen betont die EU-Kommission die Wichtigkeit von weiteren (koordinierten) Investitionen in die Verteidigungsindustrie. Der französische Präsident Macron will die nationalen Militärausgaben im Zeitraum 2024 bis 2030 um 400 Milliarden Euro anheben. Ebenso die Kommissionspräsidentin von der Leyen und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. Zielmarke ist hierfür, mindestens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung und Militär aufzuwenden. Dafür sollen nationale Verteidigungsausgaben von den Maastrichter Stabilitätskriterien ausgenommen werden.
Das Bestreben, die Mittel für Verteidigungsausgaben drastisch zu erhöhen, zeigt sich auch in den europäischen Forschungsprogrammen und dem Europäischen Verteidigungsfonds (EVF). Während der EVF zwischen 2017 und 2020 insgesamt 590 Millionen Euro investierte, wurde das Budget für den Zeitraum 2021 bis 2027 auf 7,3 Milliarden Euro erhöht. Allein im Jahr 2024 wurden 1,1 Milliarden Euro für 34 militärische Forschungsthemen bereitgestellt, darunter Projekte zu Drohnentechnologie, Radarsystemen, die Abwehr hypersonischer Raketen, Cybersecurity, Frühwarnsysteme und Dual-Use-Technologien. Diese verstärkten Investitionen verdeutlichen, dass die EU ihre Verteidigungsfähigkeiten umfassend ausbauen und auf neue sicherheitspolitische Herausforderungen reagieren will.
Die wachsende Bedeutung militärischer Ausgaben und budgetäre Verschiebungen innerhalb der EU-Forschungsprogramme zu ihren Gunsten unterstreichen das Ziel der Union, ihre strategische Autonomie zu stärken und globalen Bedrohungen vorausschauend zu begegnen. Zum Beispiel im Rahmen des Programms für „Europäische Raumfahrt und Verteidigung“. Auch im Horizon Europe Program, das zentrale Forschungs- und Innovationsprogramm der EU, werden ebenso die sicherheits- und verteidigungspolitischen Schwerpunkte gestärkt. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Sicherheitsforschung, Cybersicherheit und Weltraumtechnologien. Darüber hinaus wird auch an der Entwicklung neuer Sicherheitslösungen mit friedensförderndem Potenzial verstärkt gearbeitet. So fördert das „Secure Societies“-Programm der Europäischen Kommission. Zudem arbeiten Organisationen wie das European Institute of Innovation & Technology (EIT) und die European Peace Facility (EPF) an der Weiterentwicklung innovativer Verteidigungs- und Sicherheitstechnologien mit einem Fokus auf Stabilität, Mediation und Konfliktvermeidung.
Die Hoffnung, durch Rüstungsforschung Innovation und Produktivität voranzutreiben
Doch die Hoffnung, die man in die enormen Geldflüsse in Richtung Verteidigung und Rüstungsforschung setzt, fußt auch darauf, dass man durch Militärforschung positive Effekte auf Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität erwartet. Als Vorbild dient unter anderem die US-amerikanische Innovationsagentur für Militärforschung – Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA). Seit Jahrzehnten trägt sie zur militärischen und wirtschaftlichen Dominanz bei, indem sie die Kluft zwischen militärischen und zivilen Anwendungen überbrückt und auf Sprunginnovationen setzt. Charakteristika einer Innovationsagentur der Prägung DARPA sind die budgetäre und organisatorische Unabhängigkeit von anderen Bundesbehörden und Forschungs- und Entwicklungszentren, Agilität durch flache Organisationsstrukturen, unabhängige und straffe Auftragsvergabe und die Zusammenarbeit mit akademischen oder privatwirtschaftlichen Partnern. Sie sollen es ermöglichen, nutzerorientierte Erkundungs- und Experimentiermethoden zu testen. Ebenso stehen die Förderung von bahnbrechender Innovation durch eine Mischung aus verschiedenen Perspektiven und der gemeinsamen Entwicklung von Forschungsstrategien im Fokus. Außerdem soll eine diverse Zusammensetzung der Projektleitungen und ein Fokus auf Risiko- und Komplexitätsmanagement technologische Umwälzungen vorantreiben und neue Innovationsökosysteme schaffen.
Alternative zu Aufrüstung und Militarisierung: Peace Tech und defensive Verteidigung
Nun gibt es eine lebhafte Debatte, das Modell der DARPA auf Europa zu übertragen. Doch Europa ist anders und Copy-and-Paste-Ansätze sind nur äußerst begrenzt tauglich. Aufgrund seiner Geschichte entwickelte sich in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg eine langjährige Tradition humanitärer Hilfe, Peace Tech und defensiver Landesverteidigung. Das gilt im Besonderen für neutrale Mitgliedstaaten wie Österreich, Irland, Malta und Zypern, die keinem Militärbündnis angehören. Die Frage nach der Verbindung der neuen EU-Vorhaben im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungsforschung sowie der Stärkung der Verteidigungsindustrie und dem „besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten“ (Art. 42 Abs. 2 EUV), also der militärischen Neutralität von Staaten wie Österreich.
Industrielle Technologien können einen entscheidenden Beitrag für den Erhalt von Frieden und internationaler Sicherheit – verstanden als „menschliche Sicherheit“ – leisten, da sie in vielfältigen Anwendungsbereichen zur Stabilisierung und zum Schutz von Gesellschaften beitragen können. Insbesondere „Peace Tech“ bietet hierzu vielversprechende Möglichkeiten, da es sich dabei um Technologien handelt, die darauf abzielen, Konflikte zu verhindern, zivile und menschliche Sicherheit zu fördern und diplomatische Lösungen zu unterstützen. Beispiele für Peace-Tech sind:
- Infrastruktur- und Cybersicherheit: Kritische Infrastrukturen wie Stromnetze, Datenleitungen, Wasser- und Verkehrssysteme sind zunehmend Angriffen ausgesetzt. Fortschrittliche Verschlüsselungstechnologien, KI-gestützte Bedrohungserkennung und Frühwarnsysteme helfen dabei, Cyberangriffe abzuwehren und lebenswichtige Versorgungsstrukturen zu schützen. Ebenso spielen Frühwarnsysteme eine wesentliche Rolle. Durch Big Data und maschinelles Lernen können Frühwarnsysteme entwickelt werden, um Konflikte frühzeitig zu erkennen und diplomatische Gegenmaßnahmen zu ermöglichen, bevor sie eskalieren. Dazu gehören nicht zuletzt auch Fachkräfte in kritischen Bereichen wie der Atomsicherheit, deren Relevanz in den USA erst anlässlich einer Einsparungsmaßnahme von DOGE öffentlich diskutiert wurde.
- Wiederaufbau: Nach Konflikten oder Naturkatastrophen spielen technologische Innovationen eine Schlüsselrolle. 3D-Druckverfahren ermöglichen den schnellen Bau von Unterkünften, während Drohnen zerstörte Gebiete kartieren und eine effizientere Planung von Wiederaufbaumaßnahmen unterstützen.
- Kreislaufwirtschaft und Umweltschutz: Industrielle Technologien tragen dazu bei, Ressourcen nachhaltig zu nutzen und Umweltbelastungen zu reduzieren. Recyclingverfahren für seltene Erden und innovative Energiespeichertechnologien fördern eine nachhaltige Entwicklung und verringern die strategische Abhängigkeit von Rohstoffen und Komponenten, schaffen die Voraussetzung für nachhaltige Lieferketten und faire Handelsbeziehungen.
- Abrüstung und Rüstungskontrolle: (Digitale) Technologien können zur Überwachung und Verifikation von Abrüstungsabkommen eingesetzt werden. Beispielsweise ermöglichen Satellitenaufnahmen und KI-gestützte Datenanalysen die Identifikation von Waffenlagern oder militärischen Aktivitäten, was zur Transparenz und Vertrauensbildung zwischen Staaten beiträgt.
- Zivilschutz: Auch ist der Zivilschutz auf technologische Lösungen angewiesen, um Menschen in Krisensituationen effektiv zu schützen. Frühwarnsysteme für Naturkatastrophen, digitale Kommunikationsnetzwerke für Katastrophenhilfe und robuste Notstrom-Lösungen tragen dazu bei, dass betroffene Regionen schnell und effizient unterstützt werden können.
- Defensive Landesverteidigung: Alternativ zu offensiven Rüstungsgütern und militärischer Expansion kann auch auf Verteidigungsstrategien gesetzt werden, die ausschließlich dem umfassenden Schutz des eigenen Territoriums dienen. Dazu zählen unter anderem moderne Luft- und Raketenabwehrsysteme, verstärkter Katastrophenschutz sowie Cyberabwehrtechnologien. Länder wie die Schweiz oder Schweden haben historisch gezeigt, dass eine defensive Verteidigungsstrategie sowohl industriepolitisch als auch gesellschaftlich tragfähig sein kann.
Europas Weg zwischen Aufrüstung und Friedenssicherung und die Rolle Österreichs
Trotz der Potenziale von Peace Tech und defensiven Technologien bleibt die politische Unterstützung oft hinter den Investitionen in konventionelle militärische Sicherheit zurück. Dabei könnten solche Technologien langfristig nicht nur Kosten für Rüstungsausgaben reduzieren, sondern auch nachhaltige Sicherheit nach innen, im Außenverhältnis sowie in sozialer, regionaler Hinsicht gewährleisten, indem sie präventiv wirken und helfen, militärische Eskalationen zu vermeiden. Europa kann sich hier in bereits bestehende Initiativen (wie die Peace Tech Alliance und „Security and Technology“-Programme der UNIDIR) verstärkt einbringen und einen solchen Schwerpunkt glaubhaft befördern. Zum Beispiel kann seine bestehende Stärke im Ökosystem der Satelliten- und Weltraumtechnik, in dem Österreich eine sehr gute Position hat, eingebracht werden. Österreichs verfassungsrechtlich und gesellschaftlich fest verankerte Neutralität eröffnet technologie- und wirtschaftspolitische Möglichkeiten, gezielt Beiträge in Bereichen zu leisten, in denen die EU – angesichts ihrer wachsenden strategischen und militärischen Nähe zur NATO – begrenzte Kapazitäten hat: Friedenssicherung, Zivilschutz und menschliche Sicherheit.