Eine zentrale Herausforderung für Städte ist die Entwicklung eines sozial und ökologisch verträglichen Mobilitätskonzepts. In der Industrie wird indes an technologischen Erneuerungen gearbeitet, die viel versprechen: Ein Bericht der University of California spricht von drei Revolutionen im Verkehr, die Automobilität nachhaltiger machen sollen: Automatisierung, also selbstfahrende Autos, Elektrifizierung und Sharing. Die Entwicklung einer Technologie für automatisierte Fahrzeuge ist inzwischen von Automobil- und IT-Unternehmen hart umkämpft. Für Plattformunternehmen ist sie vor allem ein Motor, um ihre Marktmacht auszubauen.
Warum jetzt darüber sprechen?
Die meisten Städte haben noch keine Strategien entwickelt, wie sie den Übergang zu automatisiertem Fahren unter Berücksichtigung der Besonderheiten ihrer jeweiligen Städte bewältigen können. Als obike und ofo 1.700 Leihfahrräder nach Wien brachten, brauchte die Wiener Stadtregierung fast ein Jahr, um zu reagieren und das neue Verkehrskonzept zu regulieren.
Gerade in der Verkehrsplanung ist es für die Öffentlichkeit problematisch, auf eine Innovation zu warten und sich erst dann mit ihr zu befassen, weil Infrastruktur von starken Pfadabhängigkeiten geprägt ist. Transportinfrastrukturen werden durchschnittlich nur alle paar Jahrzehnte ersetzt.
Selbstfahrende Elektroautos sind eine techno-optimistische Lösung
Automatisierte Elektroautos werden aus mehreren Gründen als ressourcenschonend und energiesparend betrachtet: sparsames Fahren durch ruhigeren, effizienteren Verkehr und weniger Luftwiderstand durch knappes Auffahren („vehicle platooning“), optimale Wartung und insgesamt eine schrumpfende Fahrzeugproduktion durch Sharing. Gleichzeitig dürfte die Automatisierung große Auswirkungen auf die Attraktivität des Fahrens haben und damit einen typischen Rebound-Effekt von techno-optimistischer Verkehrsplanung darstellen.
Studien, die die CO2-Ersparnis von selbstfahrenden Autos untersuchen, betrachten darüber hinaus meist nur Teilaspekte eines solchen Mobilitätskonzepts. Kaum wird zum Beispiel der gesamte Produktionszyklus selbstfahrender Autos, der Stromaufwand für die Server des Ridesharing-Systems oder auch die Installation der Aufladestationen eingerechnet. Schon bei Elektroautos gibt es keine volle Transparenz für VerbaucherInnen über die gesamte Ökobilanz.
Die zahlreichen Vorteile von Techniken wie automatisiertem Fahren, die von der IT- und Automobilindustrie beworben werden, bezeichnen Forscher als „corporate storytelling“, also als Erzählungen, die dem Interesse der jeweiligen Stakeholder dienen, indem sie den technologischen Optimismus und den Glauben an die Automobilität verstärken.
In diesem Diskurs werden unbeabsichtigte Konsequenzen des technologischen Wandels nicht geleugnet, aber mit der Dringlichkeit der Klimakrise legitimiert. Die Grenzen des Wachstums werden so interpretiert, dass Big Data und Systemansätze erforderlich sind, um das physische und sozio-ökologische System zu beschreiben und zu „managen“.
Der Reiz von „vernetzten“ Autos? Daten!
Der Techno-Optimismus ist aber nicht nur in Bezug auf die tatsächlichen ökologischen Vorteile selbstfahrender Elektroautos unangebracht, sondern auch auf die Möglichkeiten, diese unter den Wettbewerbsbedingungen im (Plattform-)Kapitalismus überhaupt zu entfalten. Die Unternehmen Google, Tesla, Uber, Lyft und Amazon haben bereits angekündigt, ein Monopol auf selbstfahrende Autos erkämpfen zu wollen.
Laut Nick Srnicek, dem Autor des Buchs „Plattform-Kapitalismus“, basieren Geschäftsmodelle von Plattformunternehmen wie Google, Facebook, Amazon und Uber auf der Extraktion von Daten ihrer NutzerInnen. Uber sammelt bereits Daten über FahrerInnen: über Geschwindigkeit, Geolokalisierung, Bremsen, Beschleunigung, Fahrtdetails, Kundenbewertungen usw. Autonome Fahrzeuge sind keine Autodidakten, sie funktionieren nur als Teil einer Flotte. Wer sich zum Beispiel einen Tesla kauft, verpflichtet sich, Daten mit dem Unternehmen für einen Prozess namens „fleet learning“ zu teilen. Alle Tesla bilden ein Lernnetzwerk, in dem jede Information mit jedem Fahrzeug geteilt wird.
Plattformen nutzen die „Ökonomie der Daten“, um Märkte in ihren Besitz zu bringen
Durch die Digitalisierung können Plattformen von sehr geringen Grenzkosten profitieren, da sie sich Netzwerkeffekte, Skaleneffekte und Lock-in-Effekte zunutze machen. Ihr Profitmodell besteht im Wesentlichen darin, sich Renten aus der Übernahme der Marktfunktion anzueignen. Das bedeutet: Wer auf dem digitalen Markt teilnehmen will, muss der Plattform einen Anteil zahlen. Uber tritt zum Beispiel vermittelnd zwischen FahrerInnen und KundInnen auf, verdient aber an jeder Fahrt mit. Laut einem Experten ist für Plattformunternehmen besonders die gebundene Aufmerksamkeit der InsassInnen selbstfahrender Autos wertvoll. Die „Marktgebühr“ könnte also auch Werbung sein, die NutzerInnen während der Fahrt konsumieren müssen.
Plattformen sind also gar nicht darauf ausgerichtet, kurzfristig Gewinn zu machen, sondern vielmehr, ihre Macht über die Märkte auszubauen. Diese Macht nutzen sie wiederum politisch, um die Marktliberalisierung voranzutreiben, oder diskursiv, um den Techno-Optimismus zu stärken.
Fazit: Technologien in den öffentlichen Dienst stellen
Wenn sie ihre Monopolmacht stärken wollen, ist es für Plattformunternehmen also erforderlich, erheblichen Einfluss auf den Ausbau von Automobilität auszuüben. Der Wachstumszwang verhindert, dass Technologien wie selbstfahrende Autos den sozialen und ökologischen Bedürfnissen untergeordnet werden.
Die Technologie sollte deshalb unter die Kontrolle der Mehrheit gebracht werden. Statt für ein Wettrennen der Superstar-Unternehmen könnten selbstfahrende Autos da eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden: integriert in ein öffentliches Verkehrssystem, zum Beispiel für Menschen mit Mobilitätseinschränkung oder für die First- und Last-Mile-Abdeckung zu Knotenpunkten wie Bahnhöfen.
(Digitale) Mobilität ist jedenfalls ein spannender Ansatzpunkt für eine Diskussion darüber, wie die Weiterentwicklung unserer Lebensqualität mithilfe von Technologien global gerecht und ökologisch verträglich vorangetrieben werden kann.