Fabriken der Zukunft: Industriepolitische Antworten auf die Geschlechterdiskriminierung 4.0

02. September 2020

Die Industrie 4.0, also die digitale Vernetzung und Automatisierung industrieller Produktion, bringt viele Chancen mit sich, wenn die neuen Technologien arbeitsunterstützend wirken. Gleichzeitig bedeuten neue Technologien immer auch einen Verteilungskampf, der mit Industriepolitik gesteuert werden kann. Aus umweltpolitischer Sicht haben wir uns bereits im ersten Teil dieses Beitrags mit den „intelligenten Fabriken“ auseinandergesetzt. Wenig diskutiert wird aber auch, wie sich die Verbreitung von Industrie 4.0 auf die Geschlechtergerechtigkeit auswirkt.

Geschlechtersegregation

In Österreich ist ein Großteil der erwerbstätigen Frauen nach wie vor im Dienstleistungssektor beschäftigt. In der Industrie sind nur ungefähr ein Viertel der Beschäftigten Frauen. Diese arbeiten zudem oft in vor- und nachgelagerten Tätigkeiten und nicht in der Produktion selbst. Frauen sind öfter in arbeitsintensiven als in kapitalintensiven Industriebranchen im Einsatz, eher in Teilzeit als Männer und häufiger in KMUs als in großen Unternehmen anzutreffen. Aus all diesen Gründen liegt das Medianeinkommen der Frauen auch in der Industrie unter jenem der Männer.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Besonders viele Frauen arbeiten in Branchen mit niedriger Technologieintensität (Lebensmittel- und Tabakverarbeitung, Textil- und Bekleidungsindustrie). Gerade dort wird Industrie 4.0 aber (noch) nicht vorangetrieben. Die Anschaffung der teuren Maschinen für die „intelligenten Fabriken“ rentiert sich nämlich vorerst vor allem dort, wo die Weltmarktführerschaft durch die Einführung neuer Technologien verteidigt oder errungen werden kann. Wenn das gleiche Produkt durch Einsatz von Arbeitskraft günstiger hergestellt werden kann, ist das nicht der Fall. Dass die Vorreiterbranchen der Industrie 4.0 (u. a. Maschinen- und Anlagenbau, chemische Industrie, Kraftfahrzeugbau, Elektroindustrie) sehr gut gewerkschaftlich organisiert sind, kann eine zusätzliche Motivation sein, dort Personal einzusparen.

Digitalisierung und Defeminisierung

Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist allerdings ein umfassender Prozess, der nicht nur aus den häufig stellvertretend für die Industrie 4.0 genannten Spitzentechnologien besteht. Neben der vierten industriellen Revolution läuft die dritte, auf die Automatisierung von weniger komplexen, monotonen Tätigkeiten anzielende weiter. Die Frage, inwiefern weitere Automatisierung dazu führt, dass Jobs gestrichen werden, bleibt strittig. Frauen werden aber häufig als die Verliererinnen der Digitalisierung bezeichnet, weil arbeitsunterstützende Technologien vor allem in von Männern dominierten Feldern eingesetzt werden, arbeitsersetzende hingegen in frauendominierten Sparten. Doch auch die wenigen Frauen in überwiegend männlich besetzten Industriezweigen könnten unter Druck kommen. Eine technologische Intensivierung des Produktionsprozesses führt nämlich häufig zur Verdrängung von Frauen. Gängigen Stereotypen entsprechend bekommen Männer bei der Neuanstellung, bei Qualifizierungsmaßnahmen und bei Beförderungen tendenziell den Vorzug.

Häufig geht diese „Defeminisierung“ mit einer Aufwertung des Zweigs insgesamt einher, was sowohl die Bezahlung als auch das Ansehen der Berufe steigert. Das lässt sich schon heute in den Debatten beobachten, in denen vom Bedarf an hochgebildeten IT-ExpertInnen für die Produktion die Rede ist. In einem zweiten Schritt kann es auch zu einem verschärften Jobwettbewerb kommen, wenn die durch Digitalisierung verdrängten ArbeitnehmerInnen in bisher frauendominierte Bereiche strömen.

Im Bereich der Industrie 4.0 braucht es daher ein systematisches Gender-Mainstreaming, also ein verpflichtendes gender impact assessment politischer Maßnahmen und regelmäßige gender audits auf Betriebs- bzw. Unternehmensebene. Industriepolitik muss mit Familienpolitik abgestimmt werden, damit die Sorgearbeit nicht allein den Frauen überlassen bleibt und mit beruflicher Tätigkeit vereinbar ist.

Diskriminierung 4.0

Bestehende Ungleichheiten werden von den Spitzentechnologien nicht geschmälert. Die Segregation in hoch angesehene und gering angesehene Berufe entlang von Geschlechterlinien wirkt sich auch auf die Weiterbildung aus. Dass Frauen häufig in KMUs beschäftigt sind, erschwert zusätzlich ihre Fortbildungsmöglichkeiten, weil es oft nicht genug Personal gibt, das abwesende MitarbeiterInnen ersetzen könnte. Dazu kommt, dass Teilzeitbeschäftigte seltener geschult werden. Auch fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten beeinflussen in der Regel besonders Frauen negativ. All das ist ungerecht.

Technologie kann Ungerechtigkeiten im Gegenteil sogar noch verstärken bzw. fortschreiben. Dies passiert zum Beispiel im Rahmen der sogenannten „algorithmischen Diskriminierung“. Machine-Learning-Anwendungen, zum Beispiel für automatisierte Personalsoftware, die Recruiting- oder Schulungsmaßnahmen vorschlagen, funktionieren auf Basis historischer Daten. In solchen Daten sind oft Vorurteile enthalten, die Frauen bei wichtigen Entscheidungen benachteiligen können.

Die Lehre von jungen Frauen in Industriebetrieben und die Studienentscheidung junger Frauen für technische und naturwissenschaftliche Fächer, z. B. im Rahmen von „Frauen in die Technik (FIT)“, müssen umfassend gefördert werden. Es braucht eine stärkere Einbindung von Frauen auf allen Ebenen in Forschung und Entwicklung für den industriellen Bereich. Insbesondere bei der Entwicklung von intelligenten Anwendungen müssen betroffene Gruppen mittels partizipativer Prozesse einbezogen und ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden.

Industriepolitische Antworten

Die Digitalisierung und Automatisierung kann bestehende Machtverhältnisse fortschreiben und verstärken. Deshalb braucht es strukturpolitische Maßnahmen, bei denen die Sozialpartnerschaft eine bedeutende Rolle spielen muss. Diese sollten in eine breit angelegte Industriestrategie eingebettet werden, die auch Umwelt- und Geschlechtergerechtigkeit miteinbezieht.

Bei der Debatte rund um Digitalisierung und Industrie 4.0 dürfen andere, weniger technologieintensive Industriezweige sowie die öffentlichen Dienstleistungen der Fundamentalökonomie (z. B. Bildung, Gesundheit, öffentlicher [Nah-]Verkehr) nicht vergessen werden. Industriepolitik im Zeitalter der Globalisierung darf nicht nur Innovationspolitik sein. Sie muss den strukturellen Wandel auch sozial und ökologisch abfedern.

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