Soziale Mobilität beschreibt gesellschaftlichen Auf- und Abstieg. In der Realität gibt es sie aber kaum. Dabei fügen sich zahlreiche Puzzleteile zusammen, z.B. die Vererbung von Bildungschancen, die Wirkung des früh erworbenen Habitus, die Ungleichverteilung von Erbschaften und sozialen Netzwerken. In Summe führen diese Faktoren dazu, dass der Traum, durch harte Arbeit reich zu werden, lediglich Stoff für die Filmindustrie bleibt.
Das reiche Establishment Monacos ist in Aufruhr, denn unter die feine Gesellschaft mischen sich jüngst die neuen Superreichen. Aus China, Russland und aus dem Londoner Finanzbezirk kommen sie an die Mittelmeerküste, ankern ihre riesigen Jachten, feiern Partys bei lauter Musik und entsprechen damit so gar nicht dem vornehmen Geschmack der oberen Zehntausend. SoziologInnen würden sagen, die Neureichen haben einen anderen Habitus als jene, die in reichen und einflussreichen Familiendynastien aufgewachsen sind. Der Habitus einer Person bezeichnet nach Pierre Bourdieu ein System von Grundhaltungen und Verhaltensweisen. Er markiert aber auch die unsichtbaren Grenzen, die den Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft gezogen sind. Die entscheidende Prägung wird vor allem durch das familiäre und soziale Umfeld bestimmt. Die Vertrautheit mit ungeschriebenen Verhaltensregeln ist eine Voraussetzung für den Aufstieg in gewisse soziale Kreise, erklärt der deutsche Eliteforscher Michael Hartmann. Der Habitus ist die gläserne Decke sozialer Klassen.
Bildung wird früh vererbt
Eine Akademikerin aus einem Berliner Arbeiterbezirk erzählt der deutschen ZEIT über die schwierigen Anfänge ihrer Studienzeit: „Die Studierenden, wie die sich ausdrückten! Es kam mir so unnatürlich vor.“ Die kannten bereits alle Theaterstücke und Bücher, die im Unterricht vorkamen. Die hatten alle eine Bibliothek zuhause, sie selbst nur alte Schulbücher. Eine Folge davon zeigt ein Blick in die Statistik: Demnach erreicht in Österreich mehr als die Hälfte der Kinder aus Akademiker-Haushalten wieder einen Universitätsabschluss, während dies nur 11 Prozent jener Kinder gelingt, deren Eltern einen Lehrabschluss haben. Aktuelle Forschungsergebnisse der WU Wien zeigen, dass bereits die vorschulische Betreuung den wichtigen Unterschied für den späteren Bildungsweg macht. Eltern geben ihre Bildung laut der Studie schon ab den ersten Lebensjahren an ihre Kinder weiter.
Rastignacs Dilemma kehrt zurück
Neben der Bildungsvererbung spielen Vermögensübertragungen eine wesentliche Rolle für die Einschätzung sozialer Mobilität. Thomas Piketty hat in seinem Buch „Capital in the 21st Century“ festgestellt, dass Erben heute wieder so wichtig wird wie in der feudalen Aristokratie des 19. Jahrhunderts. Exemplarisch für diese Epoche ist Honoré de Balzacs Roman „Vater Goriot“, in dem der talentierte, aber mittellose Eugène de Rastignac vom Aufstieg in die feine Pariser Gesellschaft träumt. Dieser merkt schnell, dass Studium, Talent und Fleiß diesen Traum nicht ermöglichen, sondern nur geschickte Heiratspolitik und damit verbundene Erbschaften. Seit geraumer Zeit gewinnt das Dilemma Rastignacs wieder an Aktualität, denn große Erbschaften sichern den Verbleib in der sozialen Exklusivität. Das ist kein rein österreichisches Phänomen, denn Piketty beschreibt die Entwicklung des globalen Kapitalismus im 21. Jahrhundert.
Natürlich sind auch in Österreich Erbschaften vor allem für die reichsten Haushalte von Bedeutung. Während die untere Hälfte der Haushalte kaum nennenswerte Erbschaften erhält, erben die reichsten 10 Prozent durchschnittlich mehr als 300.000 Euro. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der EU sind diese leistungslosen Einkommen in Österreich steuerfrei. Dem Matthäus-Effekt folgend gilt: Wer hat, dem wird gegeben. Wer mit Vorteilen ins Leben startet, kann später mit weiteren Privilegien rechnen.
Begüterte Familiendynastien weisen oft eine jahrhundertelange Geschichte von Reichtum auf. Anhand seltener Nachnamen haben ForscherInnen die Stammbäume von reichen Familien historisch analysiert und festgestellt, dass Vermögen, Bildung, sozialer Status und politische Macht über viele Generationen weitervererbt werden. Der britische Ökonom Gregory Clark untersuchte englische Familien vom 19. Jahrhundert bis heute und stellt eine eindrückliche Diagnose. Die Nachfahren von sehr reichen Familien anno 1850 haben in der heutigen Generation immer noch rund vier Mal so große Vermögen wie die durchschnittliche britische Familie.
Gut vernetzt
In der wissenschaftlichen Literatur wird ein weiterer Kanal genannt, der soziale Mobilität eingrenzt: Das soziale Netzwerk. Es dient nicht nur bei der Arbeitssuche, sondern auch beim Eintritt in bestimmte Gesellschaftsschichten als Strickleiter. Kinder aus wohlhabenden Familien können oft auf die weitläufigen Netzwerke ihrer Eltern vertrauen, um sich bessere Positionen am Arbeitsmarkt zu verschaffen. Diese Möglichkeit bleibt Kindern aus weniger privilegierten Familien oft verwehrt. Der Apfel fällt somit auch beruflich nicht weit vom Stamm. Das ist ein weiteres der zahlreichen kleinen Puzzleteile, die dazu führen, dass sozialer Auf- oder Abstieg in Österreich die Ausnahme bleibt.
Schiefes Spielfeld ebnen
Es ist schwierig, ein gewünschtes Niveau an sozialer Mobilität zu definieren und einen Grad der Durchlässigkeit als Ziel wirtschaftspolitischer Maßnahmen festzulegen. Die Diskussion um Chancengleichheit für Kinder unabhängig ihres finanziellen Familienhintergrunds ist aber zentral. Denn was die Startvorteile für die einen, sind schier unüberwindbare Barrieren für die anderen. Das Ziel einer nach Gerechtigkeit und Fairness strebenden Gesellschaft muss somit das Ebnen dieses schiefen Spielfelds sein. Die wissenschaftliche Forschung zeigt aber vor allem die Relevanz frühkindlicher Förderung auf. Die öffentliche Bereitstellung sozialer Dienstleistungen im Rahmen der Vorschulförderung ist nicht nur eine Grundvoraussetzung für einen raschen Wiedereinstieg von Müttern in das Erwerbsleben, sondern auch für Chancengleichheit der Kinder. Die Bandbreite politischer Lösungsansätze reicht aber weiter: von hohen Steuern auf Vermögensübertragungen bis hin zu alternativen Formen von Eigentum und demokratischer Kontrolle.
Dieser Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Version eines Artikels aus der aktuellen Ausgabe der Arbeit & Wirtschaft 06/2014.