Der offene Hochschulzugang wird durch wachsende Ausnahmeregelungen kontinuierlich eingeschränkt. Dabei zeigt sich einmal mehr wie in Österreich Probleme gelöst werden: Regelungen, die nur für manche Studienfächer gelten, Nachbesserungen im Zwei-Jahres-Takt und teure Aufnahmeprüfungen, die nur wenig mit Studieren zu tun haben. Treffen solche Zugangsbeschränkungen alle im gleichen Maße? Wer bleibt bei der Verschärfung des Hochschulzugangs auf der Strecke? Und kommt es durch die Aufnahmeverfahren zur sozialen Selektion?
Soziale Mobilität und Bildung
Der Glaube an die Meritokratie, als Rechtfertigung ungleicher Bildungschancen, hat sich hartnäckig in der Gesellschaft festgesetzt. Dadurch wird allerdings die Tatsache verschleiert, dass es Kinder aus bildungsfernen Familien ungleich schwerer im österreichischen Bildungssystem haben. Wie bereits im Beitrag “Soziale Selektion von Anfang bis Ende” thematisiert, führt die Vererbung von Bildungsmöglichkeiten dazu, dass die Chancen auf Abschlüsse ungleich verteilt sind und diese Ungleichheit stets reproduziert wird. Die frühe soziale Selektion (mitunter bereits im Kleinkindalter, spätestens oftmals mit der Frage nach Hauptschule oder Gymnasium) zeigt ihre Ausläufer an den Universitäten. Die Chancen ein Universitätsstudium zu beginnen, ist für Kinder aus bildungsfernen Schichten um ein dreifaches geringer, als für Kinder aus einem bildungsnahen Hintergrund. Mit dem Ausbau der Fachhochschulen kam es zwar zu einer Verbesserung der Situation, die Entwicklungen in der sozialen Zusammensetzung der Studierenden zeigen allerdings konstant in dieselbe Richtung.
Weniger ArbeiterInnenkinder und generell weniger Frauen in Medizin
Die Studie „Zugangsbeschränkungen und Chancen(un)gleichheiten im österreichischen Hochschulsystem“ von Friesinger, Palienko und Straner (2014) ist eben jener Frage nach der sozialen Auswirkung von Zugangsbeschränkungen nachgegangen. Untersucht wurde dabei die sozioökonomische und -kulturelle Zusammensetzung von Studierenden vor und nach der Einführung der Hochschulreglementierungen. Die Überlegung, ob zusätzliche Hürden im Bildungssystem zu einer verschärften sozialen Selektion führen können, bildete die Grundlage der Studie. Einzelne Formen von Zugangsbeschränkungen gibt es aktuell seit dem Studienjahr 2005/06. Damals wurden Studienplätze sowohl an den Medizinischen Fakultäten (Zahn-, Human- und Veterinärmedizin) als auch in Psychologie und Biologie mittels einer Aufnahmeprüfung beschränkt. Die Untersuchung der Studierenden im Bereich Humanmedizin zeigt dabei eine deutliche Verschiebung des sozialen Hintergrunds: Der Anteil der Studierenden mit hochschulgebildeten Vätern stieg von 41 % (2000/01) auf 55 % (2005/06), während der Anteil jener Studierenden, deren Väter eine Lehre oder Fachschule absolviert haben, im selben Zeitraum von 33 auf 27% sank.
Auch auf das Geschlechterverhältnis der Studierenden hatte die Einführung der Zugangsbeschränkungen großen Einfluss. Waren im Studienjahr 2002/2003 noch knapp zwei Drittel (65,7 %) der StudienanfängerInnen in der Humanmedizin Frauen, so verringerte sich der Anteil im Jahr 2006/2007 auf 48 %, ein Jahr später auf 42 % und 2011/12 nochmals auf 41 %. Seit dem Jahr 2012/13 erfolgt die Auswertung des EMS-Tests an der Medizinischen Universität Wien nun geschlechterquotiert, um der eingetretenen Geschlechtersegregation entgegenzuwirken.
Deutliche Effekte bei Biologie
Für die Studienrichtung Biologie an der Universität Wien wurden erstmals im Wintersemester 2005/06 Zugangsbeschränkungen eingeführt, die jedoch bereits 2007/08 wieder ausgesetzt wurden, da sich die Zahl der Studierenden im Vergleich zum Vorjahr kaum veränderte. An der Grafik zeigt sich deutlich, welche Wirkung die Einführung bzw. das Aussetzen von Auswahlverfahren auf die soziale Zusammensetzung der StudienanfängerInnen hatte. Der Höchststand an ErstinskribientInnen aus einem AkademikerInnenhaushalt wird im Studienjahr 2005/06 mit knapp 43 %, also einem Anstieg von 8% gegenüber dem Vorjahr, erreicht. Im Folgejahr ist der Anteil nahezu gleichbleibend, geht aber mit dem Aussetzen der Beschränkungen 2007/08 wieder um rund 3,5 % zurück. Sehr deutlich fällt im Jahr 2005/06 der Rückgang um rund 7,5 % von Studierenden auf, deren Väter einen Lehr- bzw. Fachschulabschluss haben. Im Studienjahr 2007/08 kommt es jedoch wieder zu einer Zunahme von etwa 7 % gegenüber dem Vorjahr.
Fremd- und Selbstselektion
Vor allem jene Studienrichtungen, die durch die Einführung der Studienplatzfinanzierung seit 2013/14 Aufnahmeverfahren anwenden können, lassen eine Zunahme von Selbstselektionsmechanismen vermuten. In vielen Fällen, der ursprünglich stark nachgefragten Studienrichtungen, hat die Zahl der Anmeldungen das jeweilige Platzkontingent nicht erreicht. Es liegt damit die Vermutung nahe, dass die bloße Ankündigung von beispielsweise Aufnahmeprüfungen ein selektiv wirksames Instrument ist:
„Studiengebühren, Zulassungsbeschränkungen, Aufnahmetests schrecken den Medizinersohn aus Wien-Döbling wohl weniger ab, als die Tochter einer türkischen Putzfrau aus dem ländlichen Raum. Nicht vergessen werden dürfen die zusätzlichen Kosten, der Aufwand des Umzugs an den Studienort und der Einkommensausfall (Opportunitätskosten). Dazu kommt die unsichere Erfolgswahrscheinlichkeit sowie die Gefahr nach dem Studium keine bezahlte Arbeit zu finden und auf längere Zeit auf unbezahlte Praktika angewiesen zu sein“ (Erler, 2011: 201f).Ein markantes Beispiel liefert hier die Studienrichtung Publizistik- und Kommunikationswissenschaft.
63 % weniger Publizistik-Studierende
Obwohl es in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft bereits einige Anläufe von Aufnahme- und Selektionsverfahren an den verschiedenen Standorten gab, kam es erst im Jahr 2010/2011 zur Ankündigung von flächendeckenden Zugangsbeschränkungen. Dabei wurde ein Platzkontingent von 1.529 Studierenden für das Studienjahr 2010/11 festgesetzt. Im Vergleich zum Vorjahr hätte dies eine Verringerung um 35 % bedeutet. Tatsächlich begannen aber nur 889 Personen Publizistik zu studieren, was einen Rückgang von knapp 63 % bedeutete. Der Rückgang ging vor allem auf Kosten jener Studierenden, deren Väter höchstens eine Lehre abgeschlossen haben.
Zugangsbeschränkungen führen zu verschärfter sozialer Ungleichheit
Die Chance in Österreich bis zu einem Maturaabschluss zu kommen, stehen für Kinder aus bildungsfernen Familien weitaus schlechter als für Kinder mit einem bildungsnahen Hintergrund. Die Selektion an den Hochschulen ist kein Prozess der abgekapselt von der allgemeinen Bildungspolitik gesehen werden darf. Jene die trotz eines bildungsfernen Hintergrunds an den Universitäten ankommen, haben bereits einen anstrengenden Weg hinter sich. Die Frage der sozialen Selektion stellt sich nämlich nicht erst im tertiären Bildungssektor – erstmals aufgeworfen wird sie in der Kleinkindpädagogik und zieht sich von da aus durch das gesamt Bildungssystem.
Für jene die es trotz aller Hürden bis zur Matura geschafft haben, stellen Studienrichtungen mit Aufnahmeverfahren eine beträchtliche Gefahr dar, aus dem Bildungssystem auszuscheiden. Die immer lauter werdende Grundhaltung, dass es diejenigen schon schaffen, die es wirklich wollen und die sich wirklich für ein Studium interessieren, ist schlichtweg unangebracht und falsch, weil subtile strukturelle wie institutionell geschaffene Diskriminierungsformen dabei einfach ausgeblendet werden. Zentral ist nicht die Frage der fachlichen Qualifikation und das Interesse für eine bestimmte Studienrichtung, sondern die Selektionsmechanismen, die sich aus der habituellen Unsicherheit ergebenen. Studierende aus bildungsfernen Familien haben vielfach kaum Bezug zum Hochschulsystem, wenig bis keine finanzielle Unterstützung und kaum sozialen Rückhalt bei Fragen rund um das Studium. Sie betreten somit auf allen Ebenen absolutes Neuland, das durch die Gesetzesänderungen und Bestimmungen der letzten Jahre zusehends unsicherer geworden ist.