Seit vielen Jahren bieten außerschulische ExpertInnen, Vereine und NGOs an Schulen Seminare zum Thema Sexualpädagogik an. Damit unterstützen sie Lehrkräfte beim Umgang mit einem für Jugendliche sensiblen Thema. Ein neuer Entschließungsantrag im Nationalrat von ÖVP und FPÖ soll nun die Sexualpädagogik an Schulen neu regeln und außerschulischen Lernanbietern künftig die Arbeit mit Schulklassen untersagen. Der staatliche Auftrag, eine altersadäquate Auseinandersetzung der Kinder und Jugendlichen mit Sexualität zu gewährleisten, muss somit von Lehrkräften allein übernommen werden. Begründet wird dieses Verbot damit, dass Zweifel an der Einhaltung des Neutralitätsgebots (Indoktrinierungsverbot) bestehen.
Warum diese Debatte, warum gerade jetzt?
Die Debatte um Sexualpädagogik an Schulen ist nicht völlig neu: 2018 wurde der Fall eines Vereins publik, der die österreichischen Standards einer ganzheitlichen Sexualpädagogik nicht erfüllte. In seinen Unterrichtsmaterialien wurden etwa die „natürliche Familienplanung“ sowie „kein Sex vor der Ehe“ propagiert. Auch wurde behauptet, Masturbation sei schädlich und die sexuelle Orientierung sei durch Therapie, Selbsthilfegruppen und Seelsorge veränderbar bzw. heilbar. Diese Inhalte widersprechen nicht nur jenen beiden Grundsatzerlässen (Erlass für „Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung“ sowie Erlass für „Sexualpädagogik“), die grundlegend und fächerübergreifend regeln, welche Inhalte in der Schule vermittelt werden sollen. Sie stehen auch in Konflikt mit geltenden Diskriminierungsverboten der Europäischen Menschenrechtskonvention. Aufgrund dieser Kriterien wurde es notwendig, diesen Verein mittels Weisung von seiner Tätigkeit an Schulen abzuziehen, was tatsächlich – spät, aber doch – im März 2019 erfolgte.
Als Folge dieses Falles wurden seitens des Bildungsministeriums erst kürzlich Maßnahmen gesetzt, um die Qualität externer sexualpädagogischer Angebote für Schulen sicherzustellen, z. B. eine Art Akkreditierung für Vereine zu schaffen. Mit dem nun vorliegenden Antrag werden jedoch nicht nur Vereine mit fragwürdigen Inhalten, sondern ALLE Vereine von Schulen abgezogen. D. h. auch jene Vereine, die sich um sachlich fundierte und methodisch gut aufbereitete Sexualpädagogik im Sinne der Menschenrechte sowie der geschlechtersensiblen und pluralistischen Vorgaben der ministeriellen Grundsatzerlässe bemühen. Unter dem Vorwand der weltanschaulich neutralen Sexualerziehung wird es damit zu einer Ausdünnung der Bildungslandschaft und einem Verlust der sexualpädagogischen Expertise in Österreich kommen.
Was wären mögliche Folgen, sollte der Entschließungsantrag umgesetzt werden?
Bislang waren externe Fachkräfte eine wichtige Säule der sexualpädagogischen Begleitung von Kindern und Jugendlichen, neben Eltern und Lehrkräften. Außerschulische ExpertInnen haben den Vorteil, dass sie frei von der Rolle einer benotenden Autoritätsperson sind. Dies versetzt SchülerInnen in die Lage, alles für sie Relevante zu fragen und sich sicher zu sein, dass ihre Fragen beantwortet und vertraulich behandelt werden. Es ist möglich, einen geschützteren Rahmen in Workshops umzusetzen, der unabhängig von der regulären schulischen Rollenaufteilung stattfindet und diese auch unbeeinflusst lässt. Zudem haben externe Vereine und Fachstellen sich in teils jahrzehntelanger Arbeit mit sexualwissenschaftlichen Kenntnissen und altersadäquater Didaktik auseinandergesetzt, um „peinliche“ Themen Kindern, Jugendlichen, Eltern und Lehrpersonen vermitteln zu können. Nicht zuletzt sind sie als ExpertInnen für diese Bildungsprozesse auch in der Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen und in der Elternarbeit tätig.
Sollten alle Vereine und außerschulische BildungspartnerInnen im Bereich der Sexualpädagogik aus Schulen verbannt werden, wären LehrerInnen mit dieser umfangreichen Aufgabe künftig auf sich alleine gestellt. Schulen würde Expertise entzogen, die auch Eltern oft nicht kompensieren können. Der Bedarf nach Unterstützung von Schulen in der Sexualpädagogik ist jedoch hoch, wie die bislang große österreichweite Nachfrage nach ExpertInnen zeigt. Externe Sexualpädagogik entlastet und unterstützt gerade die Lehrkräfte, deren Ausbildung mit sehr vielen anderen Themen überfrachtet ist und oft zu wenig Raum für tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualpädagogik lässt. Ihnen diese Thematiken nun alleine aufzubürden, entspricht nicht ihrer tatsächlichen Ausbildung und fordert eine bereits stark geforderte Berufsgruppe zusätzlich, u. a. weil im jüngsten Rundschreiben des Ministeriums auch eine verstärkte Elternarbeit bei dem Thema als notwendig erachtet wird.
Zur Notwendigkeit von Sexualpädagogik in der Schule
Eine gute pädagogische Begleitung der psychosexuellen Entwicklung schützt Kinder und Jugendliche vor Übergriffen und unterstützt sexuelle Gesundheit. Sie können sich durch Aufklärung über Verhütungsmethoden vor Frühschwangerschaften und vor sexuell übertragbaren Erkrankungen schützen. In einem geschützten Rahmen können Kinder und Jugendliche ihre Fragen, Bilder und irreführende Mythen, die sie von Sexualität haben, mit ExpertInnen besprechen. Werden Kinder und Jugendliche nicht durch außerschulische Anbieter in der Schule erreicht, wird ihnen dieses Wissen vielleicht gar nicht oder durch einfach zugängliche Onlineinformationen vermittelt. Die Folgen des Fehlens eines umfassenden Sexualkundeunterrichts treffen junge Männer und Frauen gleichermaßen, allerdings sind sozial benachteiligte Frauen, trans- und intergeschlechtliche Personen sowie homo- bzw. bisexuelle Menschen von der praktischen Abschaffung einer professionellen Unterstützung in dem Bereich ungleich stärker betroffen, u. a. weil sie in Bildung und Arbeitsmarkt mit größerer Diskriminierung zu kämpfen haben, wie eine Studie der AK 2018 gezeigt hat.
Im relativ jungen Grundsatzerlass über „Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung“ von Bildungsminister Prof. Heinz Faßmann a. D. vom Oktober 2018 heißt es daher ausdrücklich: „Das Beiziehen von externen Fachkräften, die frei sind von der Rolle einer benotenden Autoritätsperson, kann für derartige Lernräume von großem Vorteil sein bzw. sogar notwendig erscheinen.“
Alternative: Qualitätssicherung in der Sexualpädagogik verbessern
Grundsätzlich braucht es für die Sexualpädagogik in Schulen keine andere Form der Qualitätssicherung als für alle anderen Bereiche:
- Die genannten Grundsatzerlässe regeln, welche Inhalte in Schulen thematisiert werden sollen. Sollten PädagogInnen wie außerschulische BildungspartnerInnen diese nicht einhalten, ist die Zusammenarbeit einzustellen bzw. der Dienstweg zu suchen.
- Sollte die Qualitätssicherung in der Sexualpädagogik darüber hinaus geregelt werden, ist es wichtig, die Qualitätskriterien unter Einbeziehung der bereits vorhandenen sexualpädagogischen Expertise sowie am Grundsatzerlass Sexualpädagogik zu orientieren.
- Im Sinne der Qualitätssicherung muss auch bei der LehrerInnenausbildung angesetzt werden. Ziel muss es sein, die sexualpädagogische Ausbildung auszubauen und Lehrkräfte ebenfalls zu befähigen, mit diesen sensiblen Themen umzugehen. Aufklärung und Geschlechterpädagogik muss Teil des Rahmenlehrplanes sein und öffentlich finanziert bleiben, sodass auch die sexuelle Bildung mit und ohne externe ExpertInnen ohne finanzielle Hürden möglich ist. Schulen könnten beispielsweise mit zusätzlichen finanziellen Mitteln dabei unterstützt werden, sich sexualpädagogische ExpertInnen in die Schule zu holen.
Aktuell läuft eine Petition, welche unter dem Hashtag #redmadrüber das Thema diskutiert und sich zum Ziel gesetzt hat, eine qualitätsvolle Sexualpädagogik an Österreichs Schulen sicherzustellen. Informationen und öffentliche Statements zur Unterstützung der Initiative finden sich auf der Homepage der Plattform Sexuelle Bildung.