Seit ihrer Einführung zu Beginn der 2000er ist die Regelung der Kettenarbeitsverträge an österreichischen Universitäten heiß umstritten. Die Diskussion ist geprägt von unterschiedlichen Interessen, Problemdiagnosen und Perspektiven. Ein Überblick über die verworrenen Hintergründe universitärer Personalpolitik.
Konstante Kritik an der Kettenarbeitsvertragsregelung kommt von der Interessensvertretung der LektorInnen, die auf die prekäre Beschäftigungssituation der Mehrzahl der WissenschaftlerInnen verweist. Vor etwa einem Jahr regte der Rektor der Universität Wien, Heinz Engl, die Diskussion an indem er sich über die begrenzte Flexibilität universitärer Personalplanung beklagte, die sich durch diese Regelung ergibt. Und im kürzlich publizierten „Aktionsplan für einen wettbewerbsfähigen Forschungsraum“ betont nun das Wissenschaftsministerium die Intention, den Anteil befristeter Dienstverhältnisse zu reduzieren und die Gesetzeslage rund um die universitäre Kettenarbeitsvertragsregelung zu novellieren.
Die leidige Kettenvertragsregelung
Die Kettenarbeitsvertragsregelung gilt nicht nur für Universitäten, sondern ist allgemeiner Bestandteil des Arbeitsrechts. Sie verbietet, dass ArbeitgeberInnen ihr Personal mit immer neuen befristeten Verträgen hinhalten. Die Intention dahinter ist, ArbeitnehmerInnen vor prekären Beschäftigungsbedingungen zu schützen. Laut EU-Richtlinie können befristete Arbeitsverhältnisse maximal zehn Jahre umfassen, danach kann nur ein Vertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen werden. Der maximale Zeitraum für befristete Verträge wurde für Universitäten im Rahmen des Universitätsgesetzes 2002 auf sechs (bei Teilzeitbeschäftigung acht) Jahre festgelegt.
Obwohl die Kettenvertragsregelung eigentlich eine Schutzbestimmung für ArbeitnehmerInnen ist, bewirkt sie im Wissenschaftsbetrieb oft das genaue Gegenteil. Real bedeutet sie für viele NachwuchswissenschaftlerInnen und externe Lehrende, dass sie nach Ablauf dieses Zeitraums ein Jahr mit kurzen Dienstverhältnissen bei anderen Universitäten und ArbeitgeberInnen oder mit Arbeitslosigkeit überbrücken, um danach aufs Neue prekäre befristete Anstellungsverhältnisse einzugehen. Das verringert weiter die ohnehin mangelnde Berechenbarkeit und Kontinuität der Wissenschaftskarrieren von etwa drei Viertel der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in Österreich – das ist der Anteil derjenigen, die an Universitäten im Rahmen befristeter Dienstverhältnisse wissenschaftliche Arbeit verrichten.
Das Laufbahnmodell: Perspektive auf unbefristete Beschäftigung, aber nur für wenige
Das Gegenstück zum befristeten Wissenschaftsprekariat ist das Laufbahnmodell, das in Österreich mit dem Kollektivvertrag 2009 eingeführt wurde. Der Kollektivvertrag eröffnete damit erstmals seit dem Inkrafttreten der Dienstrechtsnovelle 2004 wieder eine Perspektive auf unbefristete Beschäftigungsverhältnisse abseits der Professur. Mit der Dienstrechtsnovelle wurde damals der BeamtInnenstatus und damit die Pragmatisierung wissenschaftlicher MitarbeiterInnen im Zuge der Habilitation abgeschafft, begleitet vom Narrativ über faule und leistungsschwache pragmatisierte ForscherInnen. Die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Universitätslandschaft sei durch Prekarität der WissenschaftlerInnen zu erreichen, denn „Unsicherheit stachelt zu Höchstleistungen an“, wie auch vergangenes Jahr die Vizerektorin der Universität Wien, Susanne Weigelin-Schwiedrzik, erneut betonte.
Dass schließlich 2009 wieder Möglichkeiten für dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse eingeführt wurden, beruht nicht nur auf den Forderungen von Interessensvertretungen und Betriebsräten. Es ist auch der Sorge geschuldet, dass mangelnde Karriereperspektiven „exzellente“, und damit von den Hochschulen begehrte WissenschaftlerInnen verstärkt dazu anregen, außerhalb der österreichischen Universitätslandschaft nach Beschäftigungsoptionen zu suchen bzw. internationale hochqualifizierte ForscherInnen gar nicht erst an die heimischen Universitäten wollen. Um die „besten Köpfe“ im Lande zu halten bzw. anzuziehen, wurde mit dem Laufbahnmodell ein Stellenformat eingeführt, bei dem WissenschaftlerInnen nach dem Erfüllen von zu Beginn definierten Qualifizierungsvereinbarungen innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren von der befristeten „Assistenzprofessur“ auf eine unbefristete „assoziierte Professur“ wechseln.
Allerdings zeigt ein Blick auf die Zahlen, dass dieses Modell von den Universitäten nur sehr zögerlich umgesetzt wird. Nur knappe 3% der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, sind im Rahmen dieses Laufbahnmodells beschäftigt; in Vollzeitäquivalenten ausgedrückt, wird etwa 5% der wissenschaftlichen Arbeit von Laufbahnstellen-InhaberInnen getätigt. Die Anzahl der außerordentlichen ProfessorInnen – also derjenigen, die noch vor der Dienstrechtsnovelle entfristet wurden – sinkt aufgrund von Pensionierungen, und wird von den neuen Laufbahnstellen nicht im gleichen Ausmaß nachbesetzt. Damit verschiebt sich die Dualisierung des universitären Arbeitsmarktes: Einer immer kleineren Gruppe von „InsiderInnen“ mit dauerhafter Beschäftigung – bestehend vor allem aus ordentlichen, außerordentlichen und assoziierten ProfessorInnen – steht eine wachsende Gruppe von „Semi-OutsiderInnen“ mit prekären Arbeitsverhältnissen und unsicherer Beschäftigungsperspektive gegenüber: in erster Linie prä- und post-doc UniversitätsassistentInnen, ProjektmitarbeiterInnen, studentische MitarbeiterInnen, sowie LektorInnen.
Das Tauziehen universitärer Personalentwicklung
Woran liegt die Zurückhaltung der Universitäten bei der Einführung des Laufbahnmodells? Universitätsleitungen bieten dafür unterschiedliche Erklärungsmodelle.
- Erstens behandeln Rektorate dieses Stellenformat als besonders wertvollen Mechanismus der Strategieentwicklung, vergleichbar mit Professuren. An vielen Universitäten muss die Einrichtung einer Laufbahnstelle unter anderem die Bedingung erfüllen, dass damit ein im Entwicklungsplan definierter Forschungsschwerpunkt zur universitären Profilbildung unterstützt wird. Laufbahnstellen werden somit als Instrument gesehen, über Personalplanung das Profil der Universität zu entwickeln und um eine langfristige Bindung von Ressourcen auch an den „richtigen Stellen“ vorzunehmen.
- Zweitens wünschen sich die Unileitungen größtmögliche Flexibilität in der Personalentwicklung, also eine möglichst niedrige Anzahl an dauerhaft gebundenen Personalressourcen. Was aus Sicht der Universitätsleitung „Flexibilität“ heißt, bedeutet für NachwuchswissenschaftlerInnen oft Planungsunsicherheit und Prekarität.
Gleichzeitig ist universitäre Personalplanung Bestandteil inneruniversitärer Machtkämpfe. Hier geht es nicht nur um die forschungsstrategische Entwicklung der Universität, sondern auch darum, wer über welche Ressourcen verfügen kann. Im Zuge der Reform des Universitätsgesetzes 2002 haben ProfessorInnen gegenüber der Universitätsleitung einiges an Verfügungsrechten über universitäre Entscheidungen eingebüßt. Das Laufbahnmodell bedeutet einen weiteren Machtverlust von ProfessorInnen, diesmal im Bereich der Verfügungsrechte über MitarbeiterInnen: Laufbahnstellen sind nicht Professuren unterstellt, und damit befreit von Abhängigkeitsverhältnissen, die in vielen Fällen für NachwuchswissenschaftlerInnen bedeuten, dass sie den Großteil ihrer Arbeitszeit damit verbringen, ProfessorInnen zuzuarbeiten statt ihre eigene Forschung zu entwickeln. Jede Laufbahnstelle bindet Personalressourcen, die andernfalls direkt Professuren unterstellt wären, und verringert damit die Anzahl von prekär beschäftigten und in starken Abhängigkeitsverhältnissen stehenden ZuarbeiterInnen. die ProfessorInnen bei der Erstellung von Projektanträgen und der Verrichtung von Lehrtätigkeit unterstützen. In Zeiten knapper Budgets, sowie im Kontext steigender Performancezwänge und Konkurrenzverhältnisse zwischen ProfessorInnen, haben diese durchaus ein Interesse daran, dass Personalressourcen nicht in Richtung des Laufbahnmodells verschoben werden .
Die Auswirkungen mangelnder Karriereperspektiven
Nicht alle können es sich jedoch leisten, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Ein von Unsicherheiten geprägtes Berufsfeld verdrängt vor allem jene, die keine familiären Sicherheitsnetze haben, auf die sie kurz- oder langfristig zurückgreifen können, jene, die für Kinder und Familienmitglieder finanzielle Sicherheit bieten müssen, jene, die auch andere Aufgaben zu erledigen haben als ihren akademischen Lebenslauf durch Publikationen und Drittmittelakquisen aufzupäppeln. Neben diesen Selektionsmechanismen wirkt sich die hohe Unsicherheit wissenschaftlicher Karrierechancen auch darauf aus, wie Wissenschaft betrieben wird. Um eine Chance auf eine der wenigen hochbegehrten Dauerstellen zu haben, müssen Forschungsergebnisse möglichst rasch und möglichst vielzählig „verbraten“, also publiziert werden. Eine der wesentlichen Fähigkeiten, um die eigenen Karrierechancen aufzubessern, ist es, die eigene Forschung in „least publishable units“, und damit in Zeilen am Lebenslauf, zu verwandeln. So lautet das Mantra in Mentoring-Gesprächen und Roundtables zu Wissenschaftskarrieren auf akademischen Konferenzen. Auch für die Organisation des Wissenschaftsbetriebes hat die Prekarisierung problematische Folgen. Belohnt werden diejenigen, die sich kompromisslos auf die Verbesserung ihres Lebenslaufes konzentrieren; bestraft jene, die auch Energie in die Entwicklung guter Lehre, in die Betreuung und Unterstützung von Studierenden und jüngerem Nachwuchs, oder in gesellschaftliches Engagement stecken.
Planbare Laufbahnen statt prekärer Ausbeutungsverhältnisse
Die hohe Unsicherheit von Wissenschaftskarrieren hat offensichtlich problematische Folgen – für soziale Gerechtigkeit, universitäre Organisationsentwicklung und forschungspolitisches Wettbewerbsstreben. Ausgehend von der Zielsetzung, einen „wettbewerbsfähigen Forschungsraum“ zu gestalten, wird das Wissenschaftsministerium laut eingangs erwähntem Aktionsplan einen Dialogprozess zur Reduktion des Anteils befristeter Dienstverträge anregen und noch 2015 Vorschläge zur Novellierung des Kettenvertragsparagraphen (§109 des Universitätsgesetzes) vorbereiten. Klare kurzfristige Verbesserungsmöglichkeiten liegen dabei in der Abschaffung der Kettenvertragsregelung bei gleichzeitiger Verschiebung der Personalressourcen von befristeten zu entfristeten Stellen, sowie in einer Erhöhung der Universitätsbudgets. Angesichts der zögerlichen Umsetzung des Laufbahnmodells wird politischer Druck vonseiten des Ministeriums in Allianz mit Betriebsräten und Gleichstellungsbeauftragten nötig sein, um die Chance auf gesicherte Beschäftigungsverhältnisse für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu erhöhen.
Langfristig wäre eine Entwicklung weg vom professorInnendominierten österreichischen Modell hin zu einem angloamerikanischen Faculty-Modell anzudenken. Kollaborative Wissenschaft soll dabei nicht auf Abhängigkeitsverhältnissen zwischen ProfessorInnen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen basieren, sondern auf Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe. Im Zuge dieser Diskussion können auch die prestigeträchtige Eckpfeiler akademischer Statusreproduktion infrage gestellt werden, etwa Initiationsriten wie die Habilitation und Berufungsverfahren. In jedem Fall jedoch braucht es eine radikale Steuerungskorrektur wissenschaftlicher Personalpolitik. Ein kurzfristig angelegtes Prekariats-Modell führt zu sozialer Selektion, organisationalen Problemen der Universitäten, und zu einem Wettlauf um Publikationen in Bereichen karriereförderlicher Mainstream-Forschung, und geht somit am eigentlichen Zweck wissenschaftlicher Personalpolitik vorbei: Nämlich an der Ermöglichung gesellschaftsfördernder, innovativer und kreativer Wissensproduktion.