Green Guidance & Life Design – innovative Ansätze in der schulischen Bildungs- und Berufs­orientierung

18. Februar 2025

Die Bedeutung der schulischen Bildungs- und Berufsorientierung (BBO) hat durch das Engagement der Sozialpartner in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Mit den neuen Lehrplänen wurde BBO im Unterricht der Mittelschule und AHS-Unterstufe weiter gestärkt. Anlässlich der ibobb-Fachtagung an der Pädagogischen Hochschule NÖ, die mit Unterstützung der NÖ Sozialpartner durchgeführt wird, sollen in diesem Beitrag mit Green Guidance und Life Design ein Blick auf rezente thematische und methodische Entwicklungen im Bereich der BBO geworfen und Beispiele für eine Anwendung im Unterricht gegeben werden.

Bildungs- und Berufsorientierung im Lichte der Schulbetreuungs-Initiativen der AK Niederösterreich

Die Arbeiterkammern bieten seit über 40 Jahren mit dem Programm „Arbeitswelt & Schule“ (AWS) kostenlose Angebote für Schulen an, um Schüler:innen auf die Arbeitswelt vorzubereiten und Lehrkräfte bei der Vermittlung arbeitnehmer:innenrelevanter Themen zu unterstützen. Dies umfasst unter anderem Schulvorträge, Workshops und Planspiele, Bewerbungstrainings und Schultheater.

Neben Themen wie politische Bildung und Demokratiebildung, Arbeitsrecht und Sozialpartnerschaft sowie Wirtschafts- und Finanzbildung stellt der Bereich der Bildungs- und Berufsorientierung einen wesentlichen Schwerpunkt dar. Ziel ist es, ein realistisches und kritisches Bild der Arbeitswelt zu vermitteln und arbeitnehmer:innenorientierte Themen in den Unterricht zu integrieren. Eine demokratische Grundorientierung, die auf Beteiligung und Empowerment abzielt, bildet den Wertekanon von „Arbeitswelt & Schule“.

Jährlich werden in Niederösterreich mehr als 50.000 Schüler:innen bei über 1.000 Terminen erreicht. Das Thema BBO ist dabei der zentrale Schwerpunkt der Schulbetreuungsangebote der Arbeiterkammern. Ergänzend dazu werden auch Seminare, Fort- und Weiterbildungen für Pädagog:innen organisiert.

Seit den frühen 2000er Jahren besteht in Niederösterreich eine enge Zusammenarbeit zwischen der Pädagogischen Hochschule NÖ (PHNÖ) und den NÖ Sozialpartnern. Ein wichtiger Meilenstein wurde 2015 mit einer Kooperationsvereinbarung zwischen der Arbeiterkammer NÖ, Wirtschaftskammer NÖ und der PHNÖ erreicht, wodurch BBO zu einem Schwerpunkt an der PHNÖ wurde. Dies führte zu zahlreichen neuen Aktivitäten:

  1. Einrichtung eines Hochschullehrgangs mit Masterabschluss zu Bildungs- und Berufsorientierung mit mittlerweile ca. 100 Absolvent:innen aus allen Bundesländern.
  2. Regelmäßiger Austausch und Kooperationen zu Themen der BBO im Rahmen von internationalen Fachtagungen sowie Fort- und Weiterbildungen.
  3. Intensivierung der Forschungsaktivitäten im Bereich der BBO, u. a. zu folgenden Themen:
    • Einfluss der Eltern auf Bildungswegentscheidungen von Kindern
    • Weiterentwicklung des Fachabschlussprojekts (FAP) an Polytechnischen Schulen
    • BBO im Sachunterricht in der Volksschule
    • Einsatz digitaler Medien und Künstlicher Intelligenz in der Bildungs- und Berufsorientierung 

Nachfolgend sollen nun mit Green Guidance und Life Design zwei innovative Ansätze vorgestellt werden, die das Potenzial haben, aktuelle individuelle und gesellschaftliche Herausforderungen aufzugreifen und für den Prozess der schulischen Bildungs- und Berufsorientierung mehrwertstiftend nutzbar zu machen.

Green Guidance: Warum die Bildungs- und Berufsorientierung dem ökologischen Wandel Rechnung tragen muss

Der Klimawandel verursacht weltweit sichtbare Folgen wie Biodiversitätsverlust und soziale Ungleichheiten, die sich gegenseitig verstärken. Initiativen wie der Europäische Green Deal zielen auf eine ökologische und wirtschaftliche Transformation ab, die laut OECD auch den Arbeitsmarkt neu prägen wird. In Anbetracht dieser Entwicklungen haben Bewegungen wie Fridays for Future bei der Generation Z ein starkes Umweltbewusstsein gefördert. Wird dieses Bewusstsein auch ihre Berufswahl hin zu nachhaltigen Jobs beeinflussen können? 


Aktuelle Daten des Instituts für Jugendkulturforschung, die im Auftrag von oecolution austria erhoben wurden, zeigen, dass Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Berufswahl von Jugendlichen in Österreich nur eine mäßige Rolle spielen: 48,4 Prozent der 10- bis 16-Jährigen kennen den Begriff Green Jobs und 21,1 Prozent können sich vorstellen, einen umweltorientierten Beruf zu ergreifen. Bei den 14- bis 16-Jährigen, die unmittelbar vor der Entscheidung für eine Berufsausbildung stehen, haben sich 20,5 Prozent schon „sehr viele“ Gedanken über Green Jobs gemacht. Positiv ist, dass in der Gruppe der 10- bis 16-Jährigen 40,8 Prozent „vielleicht“ einen Green Job ergreifen würden, wenn sie mehr Informationen dazu hätten. Hier kann die BBO ansetzen und versuchen, zu informieren, zu sensibilisieren und Jugendliche für zukunftsorientierte Berufe zu begeistern. Denn klar ist: Für eine erfolgreiche Umsetzung der EU-Nachhaltigkeitsziele sind hochqualifizierte Fachkräfte im Bereich der Green Jobs unerlässlich. Entscheiden sich mehr junge Menschen für nachhaltige Berufe, profitieren nicht nur sie selbst, sondern auch unsere ökologischen und sozialen Systeme.

© A&W Blog


Ausgehend von diesen Erkenntnissen sollte die BBO stärker als bisher den Klimawandel und die soziale Gerechtigkeit berücksichtigen und damit von einem individuenzentrierten Ansatz zu einem sozialökologischen Paradigma übergehen. Ein Konzept, das dieses Verständnis vertritt, wird unter dem Begriff Green Guidance zusammengefasst. Es folgt u. a. folgenden Schlüsselprinzipien:

  • Das Bewusstsein für die ökologischen Auswirkungen beruflicher Entscheidungen schärfen.
  • Umweltaspekte werden in Informationsmaterialien über Berufsmöglichkeiten berücksichtigt.
  • Aktiv an der Schaffung von Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten mitwirken, die einen positiven Beitrag zur Umwelt leisten.

Diese Prinzipien verdeutlichen, dass Green Guidance ökologische Verantwortung mit Weiterentwicklung verbindet und somit großes Potenzial in Bereichen wie E-Mobilität und Ressourcenschonung zeigt. Besonders Berufe wie Recyclingtechniker:in, die nachhaltige Kreislaufwirtschaft ermöglichen, Gebäudetechniker:in für Smart Buildings, die energieeffiziente Gebäudekonzepte entwickeln, oder Energietechniker:in für erneuerbare Energien, die die Infrastruktur für u. a. Solar- und Windenergie ausbauen, stehen im Mittelpunkt dieser Entwicklung. Denn grüne Technologien können zahlreiche zukunftsorientierte Arbeitsplätze schaffen, während Qualifizierungsinitiativen Fachkräfte fit für nachhaltige Branchen machen. Green Guidance verbindet somit ökologische Ziele mit resilienten Strukturen für Wirtschaft und Gesellschaft und kann so wesentlich zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen.

Die Integration von Green Guidance in die Praxis ist anspruchsvoll, aber notwendig. Denn gehört es nicht zur Verantwortung der BBO, junge Menschen auf die Bedeutung dieser Themen hinzuweisen? Der Klimanotstand ist real und wir müssen uns fragen: Wessen Interessen verfolgen wir, was wollen wir für die Gesellschaft erreichen, und welchen Beitrag kann die BBO zu einer gerechten, „grünen“ Zukunft leisten?

Angebote wie die Initiative „Green Jobs for You“ des Landes Niederösterreich, Unterrichtsmaterialien der Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Schule, Informationen zu umweltfördernden Lehrberufen oder digitale Spiele bieten praktische Unterstützung für Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern.

Life Design: Gestalte deine Zukunft!

Während Green Guidance die BBO aus einer gesellschaftlichen Perspektive betrachtet, rückt Life Design den individuellen Blickwinkel in den Fokus. Life Design ist ein innovatives Konzept zur Lebens- und Karrieregestaltung, das darauf abzielt, das eigene Leben und die berufliche Zukunft bewusst und kreativ aufbauend auf den eigenen individuellen Ressourcen zu gestalten. Basierend auf den Prinzipien des Design Thinking und der Positiven Psychologie bietet es eine praxis- und handlungsorientierte Herangehensweise, um persönliche Ziele und Wünsche zu definieren und realistisch umzusetzen. Im Gegensatz zum klassischen Prozess der Berufsorientierung, der oft analytisch, zielorientiert und linear gestaltet ist, setzt Life Design auf einen ressourcen- und handlungsorientierten sowie ergebnisoffenen Ansatz.

Was ist Life Design?

Life Design geht davon aus, dass die berufliche Orientierung nicht als Suche nach der „einen richtigen Karriere“ verstanden werden sollte. Stattdessen wird sie als ein iterativer Prozess betrachtet, der durch Neugier, Experimentieren und kontinuierliche Reflexion geprägt ist. Ähnlich wie im Design Thinking liegt der Fokus darauf, kreative Lösungsansätze zu entwickeln und neue Wege zu erkunden. Unterstützt durch die Positive Psychologie wird zudem ein Bewusstsein für individuelle Stärken geschaffen, das Selbstvertrauen gestärkt und ein Fokus auf Chancen und Möglichkeiten gelegt.

Die fünf Grundprinzipien des Life Designs

Life Design stützt sich auf fünf wesentliche Prinzipien, die Schüler:innen dazu ermutigen, ihre berufliche Zukunft aktiv und selbstbewusst zu gestalten:

  1. Neugier (Curiosity): Offene Fragen stellen, neue Perspektiven erkunden und sich für Unbekanntes interessieren. Neugier ist der Antrieb für Wachstum und die Grundlage, um berufliche Optionen zu entdecken.
  2. Aktivität (Action): Ideen durch konkrete Experimente testen und aus Erfahrungen lernen. Dieser „prototypische Ansatz“ im Sinne von Ausprobieren hilft, Unsicherheiten zu reduzieren und herauszufinden, welche Wege wirklich passen. Life Design legt den Schwerpunkt weniger auf die theoretische Analyse als vielmehr auf das Reflektieren und Einordnen von Erfahrungen.
  3. Umdeutung (Reframing): Probleme oder Hindernisse aus einer neuen Perspektive betrachten. Anstatt sich von Rückschlägen entmutigen zu lassen, werden Herausforderungen als Chancen gesehen, kreative Lösungen zu finden.
  4. Achtsamkeit (Awareness): Eigene Werte, Interessen und Stärken bewusst wahrnehmen. Diese Selbstreflexion bildet die Grundlage für fundierte Entscheidungen.
  5. Zusammenarbeit (Collaboration): Netzwerke aufbauen, mit anderen zusammenarbeiten und deren Perspektiven nutzen. (Neue) Berufswege und -wünsche entstehen oft durch Verbindungen und Kooperationen.

Life Design in der schulischen Praxis

In der schulischen Bildungs- und Berufsorientierung kann Life Design durch praktische Übungen, Reflexionsmethoden und Gruppenarbeit integriert werden. Schüler:innen entwickeln so Zukunfts-perspektiven, die nicht nur auf ihren individuellen Stärken und Interessen basieren, sondern auch andere Lebensbereiche wie Familie, Freizeit und persönliche Werte berücksichtigen.

Zentral für das Life Design ist das Experimentieren und Entwickeln von Zukunftsvorstellungen. Eine Methode hierfür ist die Übung „Odyssey Plan“. Hier sollen drei unterschiedliche Zukunftsszenarien für die nächsten drei bis fünf Jahre entwickelt und beschrieben werden. Diese sollen anschließend hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit, ihrer Attraktivität und im Hinblick auf die benötigten Ressourcen beurteilt werden.

Fazit

Die Ansätze Green Guidance und Life Design ergänzen sich, indem sie sowohl gesellschaftliche als auch individuelle Aspekte der BBO adressieren. Während Green Guidance Schüler:innen für die Bedeutung nachhaltiger Bildungs- und Berufsentscheidungen sensibilisiert, fokussiert sich Life Design auf eine aktive und reflektierte Gestaltung der eigenen Zukunft. Beide Ansätze verdeutlichen, dass moderne Bildungs- und Berufsorientierung über traditionelle Methoden hinausgehen müssen, um junge Menschen auf die komplexen Anforderungen einer sich wandelnden Welt vorzubereiten. Schulen, aber auch Pädagogische Hochschulen und Universitäten sowie die Sozialpartner sollten diese innovativen Konzepte verstärkt integrieren, um den individuellen Bedürfnissen der Schüler:innen und den gesellschaftlichen Herausforderungen gleichermaßen gerecht zu werden.


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