Im achten Jahr der Finanz- und Wirtschaftskrise scheint der österreichische Arbeitsmarkt keine „Insel der Seligen“ mehr zu sein. Österreich ist mit der höchsten Arbeitslosigkeit in der 2. Republik konfrontiert. Bei der Arbeitsmarktberichterstattung taucht jedoch eine alarmierende Entwicklung nur am Rande auf: Der massive Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit.
AMS-Definition zu eng Das Arbeitsmarktservice bezeichnet Langzeitarbeitslose als Personen, die länger als ein Jahr arbeitslos gemeldet sind. Personen mit kurzen „Unterbrechungen“ bis zu 28 Tagen (zum Beispiel durch Schulungen) werden dabei nicht mitgezählt. Diese enge Definition beschreibt daher nur einen Teilausschnitt des Problemausmaßes. Erstens können auch bei Arbeitslosigkeitsperioden unter einem Jahr bereits negative (z.B. gesundheitliche) Folgen durch die Arbeitslosigkeit auftreten. Zweitens wird durch die Kriterien “arbeitslos gemeldet” und “keine Unterbrechungen länger als 28 Tage” der Personenkreis stark eingeschränkt. Aus diesen Gründen wird hier zusätzlich die Arbeitslosengruppe mit einer Vormerkdauer zwischen sechs Monaten und einem Jahr dargestellt und der Indikator “Langzeitbeschäftigungslosigkeit” herangezogen.
Massiver Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit Im Jahresdurchschnitt 2015 hatten in Österreich mehr als 100.000 arbeitslose Menschen eine Vormerkdauer von mehr als sechs Monaten. Davon hatten fast 35.000 Arbeitslose sogar eine Vormerkdauer von mehr als zwölf Monaten. Im Vergleich zum Jahr 2008 – vor dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise – hat sich die Anzahl der Langzeitarbeitslosen fast vervierfacht!
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Zusammenhang mit Rückgang an Schulungen Der Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit steht mit dem Rückgang an Schulungen in Zusammenhang. Ein besonders starker Rückgang der Schulungsintensität ist seit dem Jahr 2013 zu beobachten: damals betrug der Anteil noch 20,4 Prozent, im Jahr 2015 ist er auf 15,5 Prozent gesunken. In diesem Zeitraum hat Österreich gleichzeitig auch einen dramatischen Anstieg des Anteils der Langzeitarbeitslosen (Vormerkdauer über 6 Monate) an allen vorgemerkten Arbeitslosen von 13,8 Prozent auf 28,7 Prozent verzeichnet.
Der Rückgang der Schulungsintensität ist in einem bewussten Strategiewechsel der österreichischen Arbeitsmarktpolitik begründet. Da die Budgetmittel des AMS für aktive Arbeitsmarktpolitik, insbesondere jene für Schulungsangebote, trotz steigender Herausforderungen nicht angehoben wurden, hat sich zwangsläufig die Zahl der Schulungsteilnehmer/-innen reduziert.
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Umfassenderes Bild durch Indikator Langzeitbeschäftigungslosigkeit Der Indikator Langzeitbeschäftigungslosigkeit ist so definiert (AMS ), dass alle Zeiträume mit dem Status „arbeitslos“, „lehrstellensuchend“, „in Schulung“, „Bezieher/-innen eines Fachkräftestipendiums“, „Abklärung der Arbeitsfähigkeit/Gesundheitsstraße“ oder „Schulung, Reha mit Umschulungsgeld“ zu einem Geschäftsfall zusammengehängt werden, wenn keine Unterbrechung von mehr als 62 Tagen vorliegt. Als langzeitbeschäftigungslos gilt eine Person, wenn sie eine so berechnete Fall-Dauer von mehr als 365 Tagen aufweist – das waren im Jahr 2015 in Österreich 147.601 Menschen. Im Vergleich zum Vorkrisenniveau (im Jahr 2008) ist dies fast eine Verdreifachung. Die Bundesländer waren jedoch unterschiedlich stark betroffen. Prozentuell verzeichneten Tirol (plus 357,6 Prozent), Kärnten (plus 301,1 Prozent) und Oberösterreich (plus 292,3 Prozent) die stärksten Anstiege.
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Policy-Mix notwendig
Das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit hat auch die Europäische Kommission erkannt. Langzeitarbeitslosigkeit erhöht das Risiko sozialer Ausgrenzung und von Armut betroffen zu sein. Außerdem trägt Langzeitarbeitslosigkeit dazu bei, dass Armut an die in Erwerbslosenhaushalten lebenden Kinder weitergegeben wird. Die Europäische Kommission leitet daraus vor allem angebotsseitige Therapievorschläge ab, die u.a. verstärkte Unterstützung bei der Arbeitssuche, Weiterbildung und Qualifizierung, Praktika usw. umfasst. Dem steht Heiner Flassbeck äußerst kritisch gegenüber, denn „die Langzeitarbeitslosen können nicht nach Jobs suchen, die nicht existieren“. Er empfiehlt daher, dass der Staat mit Hilfe höherer Budgetdefizits „Nachfrage“ stimuliert und Arbeitsplätze schafft.
Aus meiner Sicht braucht es zur Senkung der Langzeitarbeitslosigkeit eine Kombination von konjunkturbelebenden Maßnahmen und aktiver Arbeitsmarktpolitik. Wie Flassbeck betont, besteht ein Zusammenhang zwischen der allgemeinen Arbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit. Dies bedeutet, wenn es durch öffentliche Investitionen z.B. in den Ausbau der Sozial- und Bildungsinfrastruktur gelingt, Arbeitslosigkeit generell zu senken, dann wird zu einem bestimmten Grad auch die Langzeitarbeitslosigkeit sinken. Aber die Konjunkturpolitik wird an ihre Grenzen stoßen, da eine lange Dauer der Arbeitslosigkeit bei den Betroffenen zu Dequalifizierung, gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder auch zu Demotivation führen kann, womit die Wiedereingliederungschancen – selbst bei genügend Arbeitsplätzen – sich deutlich reduzieren. Hinzu kommt ein diskriminierendes Verhalten von Unternehmen gegenüber Langzeitarbeitslosen (siehe dazu Winter-Ebmer ) und im speziellen gegenüber Älteren (siehe dazu den Bericht des Europäischen Beschäftigungsobservatoriums). Die aktive Arbeitsmarktpolitik kann diesen Phänomenen entgegenwirken, indem Zeiten der Arbeitslosigkeit sinnvoll für Weiterbildungen genutzt werden, indem Tagestrukturen und regelmäßige Kontakte Resignation sowie Demotivation verhindern und indem Unternehmen bestraft werden, die älteren Arbeitslosen keine Chance geben (z.B. durch ein Bonus-Malus-System). Letztendlich braucht es aber für bestimmte Zielgruppen vermehrte öffentliche Beschäftigungsangebote (Beschäftigungsgarantien, „employer of last ressort“) und sozialökonomische Betriebe sowie gemeinnützige Beschäftigungsprojekte. Insbesondere durch den letzteren Punkt soll offensichtlich werden, dass aktive Arbeitsmarktpolitik nicht isoliert zu betrachten ist, sondern vielmehr einen integralen Bestandteil einer auf Vollbeschäftigung ausgerichteten Wirtschaftspolitik darstellt (Rothschild 1990).
Dieser Beitrag erscheint in adaptierter Form im Rundbrief der Sozialplattform OÖ.
Literatur
Rothschild, K. (1990): Arbeitslose: Gibt’s die? Ausgewählte Beiträge zu den ökonomischen und gesellschaftspolitischen Aspekten der Arbeitslosigkeit. Postkeynesianische Ökonomie Band 4. Marburg: Metropolis.
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