Vor 100 Jahren, am 30. Juli 1919, beschloss die konstituierende Nationalversammlung der jungen österreichischen Republik das Arbeiter-Urlaubsgesetz. Es war nicht das erste Gesetz, das einen Anspruch auf bezahlten Urlaub zuerkannte. Die Bresche in die Privilegienmauer der „besseren Stände“ hatten noch in der Monarchie die kaufmännischen Angestellten geschlagen, als sie mithilfe der sozialdemokratischen Gewerkschafter im Reichsrat 1910 das „Handlungsgehilfengesetz“ erreichten. Es war auch nicht der erste Urlaubsanspruch für ArbeiterInnen. Nach 1900 hatten starke Gewerkschaften längst über Kollektivverträge Erholungsurlaube für die Belegschaften vereinbart. Aber mit dem neuen Gesetz waren die Urlaubsprivilegien der Kaiserzeit endgültig passé. Von ihm ausgehend wurde – nicht ohne Widerstände – das Urlaubsrecht des modernen Sozialstaats geschaffen, wie wir es heute kennen.
1910: Urlaubsrecht für Angestellte
Ferien, Sommerfrische, das war für die allermeisten ArbeitnehmerInnen im 19. Jahrhundert ein unvorstellbarer Luxus. Für sie bedeutete eine längere arbeitsfreie Zeit nur eine zusätzliche Belastung, denn sie erhielten selbst für die gesetzlich vorgeschriebenen Feiertage keinen Lohn. In dieser Hinsicht bestand zwischen der Lage der ArbeiterInnen und der „Handlungsgehilfen“, der kaufmännischen Angestellten, kein Unterschied. Aber diese damals noch verhältnismäßig kleine ArbeitnehmerInnengruppe hatte einen Vorteil: Ihre Qualifikation wurde in der Organisation der modernen Wirtschaft benötigt, die ArbeitgeberInnenseite war hier eher bereit, etwas mehr sozialen Fortschritt zuzulassen. So konnte 1910 erstmals ein gesetzlicher Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub erreicht werden, und zwar nach sechs Monaten ununterbrochener Beschäftigung je nach Beschäftigungsdauer auf zehn Tage bis zwei Wochen.
Qualifizierte ArbeiterInnen mit hohem Organisationsgrad zuerst
Eine ähnliche Kosten-Nutzen-Rechnung lag wohl auch der Zustimmung der UnternehmerInnen zur Festlegung von Urlaubsansprüchen in Kollektivverträgen zugrunde. Nicht umsonst waren es Gewerkschaften mit einem hohen Anteil an qualifizierten FacharbeiterInnen und hohem Organisationsgrad wie jene der BuchdruckerInnen und MetallarbeiterInnen, die eine solche Regelung zuerst durchsetzten. Allerdings boten Kollektivverträge bis Anfang 1920 noch keine vollständige Rechtssicherheit, ihre Rechtsverbindlichkeit bestand erst ab 1. Jänner 1920 als einer der großen Fortschritte des kollektiven Arbeitsrechts in der Republik. Deshalb forderten die Reichskommission der Freien Gewerkschaften und die Reichskommission der Krankenkassen 1917 in ihrer Denkschrift über den Ausbau der sozialpolitischen Gesetzgebung das Recht auf Erholungsurlaube für alle ArbeitnehmerInnen. Der Erste Weltkrieg war noch nicht zu Ende, aber in Russland hatte die Revolution gegen den Zaren begonnen und in den Kronländern der Habsburgermonarchie gewannen die Unabhängigkeitsbewegungen immer mehr an Boden. Vor diesem Hintergrund wurde – als letzter Versuch, den Zerfall der Monarchie aufzuhalten – die brutale Kriegsdiktatur etwas gelockert und das 1911 gewählte kaiserliche Parlament wieder einberufen. In dieser Situation sahen die Gewerkschaften eine Chance für arbeitsrechtliche Fortschritte und den Ausbau der Mitbestimmung.
Aber erst die Umwandlung Österreichs in eine demokratische Republik brachte 1918/19 den Durchbruch für ein innovatives sozialpolitisches Paket.
Kompromisse am Weg zum sozialen Fortschritt
Die Verhandlungen über die neue Arbeitszeitgesetzgebung erwiesen sich als besonders schwierig und langwierig, dies gilt sowohl für den 8-Stunden-Tag als auch für den Arbeiterurlaub. Die dann beschlossenen Gesetze stellten einen Kompromiss dar, der von den Gewerkschaften, der ArbeitgeberInnenseite (Handelskammer und Industriellenorganisationen) und allen Parlamentsparteien mitgetragen wurde. Was den bezahlten Erholungsurlaub betrifft, konnte die Gleichstellung der ArbeiterInnen mit den Angestellten nicht durchgesetzt werden, aber erstmals bestand auch für sie ein Rechtsanspruch. Nach einem Dienstjahr gab es einen Jahresurlaub von einer Woche, und nach fünf Jahren stieg der Anspruch auf zwei Wochen, Jugendliche unter 16 Jahren konnten schon nach einem Jahr zwei Wochen Urlaub nehmen. Für die damals größte Gruppe der unselbstständig Erwerbstätigen, die LandarbeiterInnen, fiel der Urlaubsanspruch noch geringer aus. Er wurde mit Ausnahme Kärntens in die Landarbeiterordnungen der einzelnen Bundesländer aufgenommen. Die Urlaubsregelung im Hausgehilfinnengesetz von 1920 wurde dagegen jener des Arbeiterurlaubsgesetzes angepasst.
Den größten Fortschritt beim Urlaubsrecht erreichten die Angestellten. Das Angestelltengesetz von 1921 legte den Rechtsanspruch auf zwei Wochen Urlaub bereits nach sechs Monaten fest, und das steigerte sich in Etappen auf fünf Wochen nach 25 Dienstjahren. Ähnlich gute Regelungen wurden für die durch das Angestelltengesetz nicht erfassten Berufsgruppen geschaffen, für JournalistInnen, SchauspielerInnen und Gutsangestellte. Auch die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes erreichten verbindliche Urlaubsregelungen, sodass ab 1922 für alle ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit eines, wenn auch oft noch sehr kurzen Erholungsurlaubs Wirklichkeit geworden war.
Kein selbstverständliches Recht
In den ersten Monaten nach dem Inkrafttreten des Arbeiterurlaubsgesetzes wagten es viele ArbeiterInnen noch nicht, ihr neues Recht in Anspruch zu nehmen, und die ArbeitgeberInnen drängten sie natürlich nicht dazu, wie ein Referent am Kongress der Freien Gewerkschaften im November 1919 berichtete: „… wir haben ein Urlaubsgesetz, und trotzdem hat ein unverhältnismäßig großer Teil der Arbeiter keinen Gebrauch von diesem Gesetz gemacht“. Doch wenige Jahre später war es auch für ArbeiterInnen selbstverständlich geworden, einmal im Jahr ein paar Tage frei zu haben. Das belegt der Bericht der GewerbeinspektorInnen für 1925, wo zu lesen ist: „Das Arbeiterurlaubsgesetz wurde im Allgemeinen eingehalten, nur im Kleingewerbe kamen Vorenthaltungen oder Kürzungen des Urlaubs vornehmlich bei Lehrlingen vor.“ Ganz anders stellte sich die Situation während der austrofaschistischen Diktatur ab 1934 dar, als nur mehr eine staatlich eingesetzte Gewerkschaft geduldet wurde und die Unternehmen unkontrolliert agieren konnten. Für 1934/35 lautete der Befund der Gewerbeinspektion: Insgesamt und besonders im Kleingewerbe wird dem Urlaubsanspruch überhaupt nicht oder nur teilweise entsprochen. Umgehung des Gesetzes durch Entlassung kurz vor dem Erreichen des Urlaubsanspruchs und kurz danach Wiedereinstellung sind gängige Praxis. Als Teil des nationalsozialistischen Deutschen Reichs galt ab 1938 auch im ehemaligen Österreich deutsches Arbeitsrecht. Für jugendliche ArbeiterInnen erhöhte sich dadurch sogar der Jahresurlaub – es lag im Interesse des Regimes, sie so intensiver ideologisch beeinflussen zu können. Während des Zweiten Weltkriegs standen allerdings geordnete Arbeitsbedingungen nur mehr auf dem Papier.
Seit 1983 fünf Wochen Urlaub für alle
Als die Zweite Republik ab 1945 den Aufbau eines modernen demokratischen Sozialstaats in Angriff nahm, zählte der Beschluss eines deutlich verbesserten Arbeiter-Urlaubsgesetzes zu den ersten Maßnahmen. Die Bestimmungen des Gesetzes vom 25. Juli 1946 kamen zwar noch immer nicht an die Bestimmungen für Angestellte heran, aber brachten immerhin schon nach neun Monaten einen Urlaubsanspruch von zwei Wochen, der sich nach fünf Dienstjahren auf drei Wochen und nach 15 Dienstjahren auf vier Wochen erhöhte. Für Jugendliche bis 18 Jahre galt von Anfang an ein Mindesturlaub von drei Wochen. Als die LandarbeiterInnen 1948 endlich ein einheitliches Arbeitsrecht erhielten, wurden diese Bestimmungen auch für sie übernommen. Noch vor dem Arbeiter-Urlaubsgesetz wurde ein eigenes Urlaubsgesetz für BauarbeiterInnen beschlossen (damals waren am Bau noch immer viele Frauen beschäftigt), um die spezielle Form der Saisonarbeit in dieser Branche zu berücksichtigen. Auch die HeimarbeiterInnen erhielten ihrer Arbeitssituation entsprechende Sonderregelungen für einen bezahlten Urlaub. 1964 führte ein Generalkollektivvertrag zwischen ÖGB und Wirtschaftskammer für alle den dreiwöchigen Mindesturlaub ein, und 1976 wurde endlich nach äußerst schwierigen Verhandlungen ein gemeinsames Urlaubsrecht für ArbeiterInnen und Angestellte mit dem Anspruch auf einen Mindesturlaub von vier und einem Höchsturlaub von fünf Wochen geschaffen. Seit 1983 beträgt der Mindesturlaub fünf Wochen, nach 25 Arbeitsjahren besteht der Anspruch auf sechs Wochen.
14. Monatsgehalt nur durch Gewerkschaften
Das Urlaubsgesetz von 1976 sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass die Gewerkschaften über einen Urlaubszuschuss verhandeln. Damit wurde eine längst geübte Praxis gesetzlich anerkannt. Denn „bezahlter Urlaub“ bedeutet keineswegs zusätzliches Urlaubsgeld, sondern einfach, dass Lohn oder Gehalt weiterbezahlt werden. Das Urlaubsgeld muss von den Gewerkschaften bei den Kollektivvertragsverhandlungen immer neu gesichert werden. Bis 1957 hatten nur die Angestellten und die stärksten ArbeiterInnengewerkschaften einen solchen Zuschuss erreicht, bei den Metallern betrug er zwei Wochenlöhne. Deshalb beantragte der ÖGB in der neu gegründeten Paritätischen Kommission, dem Sozialpartnerschaftsgremium, das neue Kollektivvertragsverhandlungen freizugeben hatte, die generelle Freigabe der Verhandlungen über das Urlaubsgeld. Dem Antrag wurde stattgegeben, und bis 1959 konnte für fast alle Berufsgruppen ein Urlaubsgeld durchgesetzt werden. Der öffentliche Dienst war aber schon einen Schritt weiter, hier erhielten bereits alle DienstnehmerInnen ein 14. Monatsgehalt. Nachdem in den 1980er-Jahren auch im Bereich der ArbeiterInnengewerkschaften auf Monatslohn umgestellt wurde, ist den meisten Menschen gar nicht mehr bewusst, dass es sich beim „14.“ nicht um einen Gehaltsbestandteil, sondern um eine von den Gewerkschaften immer wieder neu erkämpfte Sonderzahlung handelt.