Sinkende Schüler_Innenzahlen machen die berufliche Erwachsenenbildung zum Schlüsselfaktor

25. August 2015

Bildung gilt auf persönlicher Ebene als ein sehr wichtiger Schlüssel für höhere Einkommen, Beschäftigungssicherheit, gesellschaftliche Teilhabe, Arbeitszufriedenheit und beruflichen Aufstieg. Im volkswirtschaftlichen Rahmen unserer modernen Wissensgesellschaft ist Bildung ein entscheidender „Rohstoff“, „Produktions- und Wettbewerbsfaktor“.Wir sehen uns derzeit am Arbeitsmarkt und am Bildungssektor in Österreich mit widersprüchlichen Entwicklungen konfrontiert: einerseits steigt die Arbeitslosigkeit rasant, andererseits hören wir Klagen über Fachkräftemangel. Das durchschnittliche formale Bildungsniveau der österreichischen Bevölkerung steigt seit Jahrzehnten. Demgegenüber stehen die schlechten PISA-Werte in der Sekundarstufe I und die PIAAC-Studie der OECD („PISA für Erwachsene), die ergeben hat, dass in Österreich knapp eine Million ÖsterreicherInnen nicht ausreichend sinnerfassend lesen können.

Angesichts der demografischen Veränderungen und der immer noch zunehmenden Bedeutung von Bildung lohnt sich ein Blick auf die Prognose der Schülerzahlen – vor allem auf der Sekundarstufe II. Diese bilden schließlich die Grundlage für die Planung der österreichischen Berufsausbildung und für die Vorausschau, wie viele AbsolventInnen mit welchen Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt drängen bzw. dort zur Verfügung stehen werden. Die Ergebnisse sind überraschend und machen vor allem die berufliche Erwachsenenbildung in den nächsten 10 bis 15 Jahren zum Schlüsselfaktor für Bildung und Arbeitsmarkt.

Generell sinkende Schülerzahlen, aber: die große Ausnahme Wien

Die Statistik Austria hat die Schülerzahlen für Österreich bis zum Jahr 2030 prognostiziert (Prognose der Schülerzahlen – Tabellen, regionalisierte Schulbesuchsprognose ). Der Blick auf die Sekundarstufe II mit den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen, den Berufsschulen und der AHS Oberstufe, bringt drei eindeutige Trends zu Tage:

  • Insgesamt ist in den nächsten 10 Jahren mit sinkenden Schülerzahlen zu rechnen.
  • Mit der Ausnahme von Wien, wo es zu einem kräftigen Anstieg kommt, werden alle anderen Bundesländer auf der Sekundarstufe II Rückgänge zwischen 5 und 15 Prozentpunkte auf der Basis von 2009/10 zu verzeichnen haben.
  • Innerhalb der Schultypen kommt es zu Verschiebungen der Schülerzahlen weg von der Berufsschule und Berufsbildenden mittleren Schule (BMS) ohne Matura hin zu den Berufsbildenden höheren Schulen mit Matura (BHS) und der AHS-Oberstufe.

Prognose SchülerInnenzahlen in Österreich nach Schultypen, Sekundarstufe II nach Bundesländern; 2009/10 bis 2030/31-Index: 2009/10=100

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Prognose für Österreich nach Schultypen, in absoluten Zahlen

Prognost. SchuljahrAHS OberstufeBerufsschulenBMSBHS
2009/1087.863140.25651.712147.440
2015/1683.254128.54747.071140.097
2020/2185.049123.51346.018140.910
2025/2686.837122.08644.966143.806
2030/3191.536123.94945.036151.364

 

Prognose SchülerInnenzahlen in Österreich nach Schultypen, Sekundarstufe II; 2009/10 bis 2030/31-Index: 2009/10=100

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Was heißt das für die Bildungsplanung und den Arbeitsmarkt?

Für die Planung im österreichischen Bildungssystem bedeuten diese Zahlen in erster Linie einmal, dass sich die Nachfrage verändert. Die Bedeutung der Matura als Basisabschluss nimmt weiter zu und die traditionellen Ausbildungswege für Fachkräfte wie Berufsschulen und BMS werden mit deutlich sinkenden Schülerzahlen konfrontiert sein.

Ansonsten heißt dieser Rückgang, dass wir uns dauerhaft auf 11 bis 13 Prozent weniger Lehrlinge und AbsolventInnen von BMS sowie in den nächsten Jahren auf 4 bis 5 Prozent weniger AbsolventInnen von BHS einstellen müssen. Für die Jahre 2015/16 bis 2030/31 drängen damit jährlich zwischen 6.100 und 8.600 junge Menschen (das sind in etwa jeweils 1/3 der SchülerInnen der Berufsschule und BMS sowie ca. 1/5 der BHS-SchülerInnen) weniger auf den Arbeitsmarkt – und das vor allem im Fachkräftebereich. Dabei handelt es sich um Mindestgrößen, da AbsolventInnen der AHS und BHS natürlich mit einer viel höheren Wahrscheinlichkeit ein Studium beginnen und der Eintritt in den Arbeitsmarkt sich damit weiter nach hinten verschiebt und auf einem anderen Tätigkeitsfeld erfolgt. Außerdem wird der Effekt in den Bundesländern viel stärker als in Wien zu spüren sein. Bundesländer, in denen jetzt schon Schwierigkeiten bestehen, z. B. Lehrlinge für Handwerk, Handel und Tourismus zu finden, werden diese zukünftig noch in größerem Ausmaß haben.

Angesichts der hohen und weiter steigenden Arbeitslosigkeit, tun sich hier allerdings auch große Chancen auf: Wenn weniger junge Menschen aus dem ersten Bildungsweg nachrücken, dann können ältere ArbeitnehmerInnen oder andere Personen, die auf den Arbeitsmarkt drängen, über eine Ausbildung im zweiten Bildungsweg die Lücken füllen!

Die Weiterbildungsbeteiligung in Österreich

Leider ist es so, dass in Österreich die Weiterbildungsbeteiligung der 25 bis 64-jährigen nicht sehr hoch ist. Im EU-Vergleich liegt unser Land zwar über dem Durchschnitt, verglichen mit den Spitzenreitern in Nordeuropa aber doch weit abgeschlagen. Auch das EU-Ziel einer Weiterbildungsbeteiligung in Höhe von mindestens 15 % der 25 bis 64-jährigen wird noch nicht erreicht.

Beteiligung der 25-bis 64 jährigen am lebenslangen Lernen im internationalen Vergleich

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Quelle:  Eurostat 2013. Besuch von Kursen, Schulen oder Hochschulen in den letzten vier Wochen vor der Befragung

 

Aus- und Weiterbildung in den letzten vier Wochen (% der Bevölkerung 25 bis 64 Jahre)

ÖsterreichBurgen-landKärntenNieder-österreichOber-österreichSalzburgSteier-markTirolVorarl-bergWien
1410,1131212,71313,113,414,519

Sieht man auf die Bundesländerwerte, so hebt nur Wien den Bundessschnitt. In allen anderen Bundesländern (mit Ausnahme von Vorarlberg) liegen die Werte unter dem Bundesschnitt. Damit ist der Indikator für Lebenslanges Lernen ausgerechnet dort am schlechtesten, wo auch die Schülerzahlen zurückgehen werden. Wie man deutlich erkennt, besteht hier noch viel Spielraum für Verbesserungen.

Berufliche Erwachsenbildung: Die Gunst der Stunde für Bildungsniveau und Arbeitsmarkt

Bei generellem Rückgang der Schülerzahlen verschiebt sich das Gewicht im Bildungssystem (erster Bildungsweg) einerseits in Richtung AHS und BHS und andererseits in Richtung Wien und Umgebung. Angesichts der vergleichsweise geringen Weiterbildungsbeteiligung in den Bundesländern, kann es damit zu weiteren Engpässen im Bereich der Fachkräftequalifikation kommen. Diese Engpässe möchte ich klar vom diskutierten Fachkräftemangel unterscheiden: Qualifikationsengpässe können sehr leicht durch Weiterbildung gelöst werden. Da die Arbeitslosigkeit hoch ist und immer noch Menschen auf den österreichischen Arbeitsmarkt drängen, kann die berufliche Erwachsenbildung über die Qualifizierung am zweiten Bildungsweg aber einerseits entstehende Qualifikationslücken füllen und andererseits vielen Menschen zu einer beruflichen Perspektive verhelfen. Dafür sind jedoch noch wichtige Verbesserungen der Rahmenbedingungen erforderlich:

  • Die kostenlose Möglichkeit, Lehrabschlüsse und Berufsreifeprüfung im zweiten Bildungsweg nachzuholen (wie dies derzeit z. B. im Rahmen der Initiative Erwachsenbildung bereits mit dem Pflichtschulabschluss möglich ist). Diese Maßnahme würde zum Einen die Durchlässigkeit des österreichischen Bildungssystems weiter erheblich verbessern und zum Anderen die Einkommensschranke als Hindernis beseitigen.
  • Der weitere Ausbau (statt der derzeit geplanten Sistierung) des Fachkräftestipendiums sowie eine Weiterentwicklung von Bildungsteilzeit und Bildungskarenz (z. B. wäre ein Rechtsanspruch auf Weiterbildungszeiten wünschenswert). Vor allem in Kombination mit der im ersten Punkt genannten Maßnahme wird es so auch Erwachsenen möglich, eine Fachkräfteausbildung im zweiten Bildungsweg zu absolvieren und in dieser Zeit den Lebensunterhalt sicherzustellen.
  • Der weitere Ausbau von „Lehre mit Matura“, um Attraktivität der Fachkräfteausbildung im dualen Bildungssystem zu stärken und für Fachkräfte die Perspektive eines Hochschulzugangs weiter zu öffnen.
  • Eine bundesweite Ausweitung und Vereinheitlichung der Förderung für Weiterbildung. Derzeit ist die Förderung der Weiterbildung Ländersache und sehr unterschiedlich in Förderhöhe und –bereiche geregelt.

Mit solchen verbesserten Rahmenbedingungen könnte die berufliche Erwachsenenbildung ein entscheidendes und effektives Instrument in der regionalen Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik in Österreich werden.