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Die Freiheit, die manchen missfällt
Es ist 229 Jahre und knapp fünf Monate her, dass die französische Nationalversammlung die Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte verkündet hat. Was damals Wochen und Monate gebraucht hat, um sich erst in Europa und dann weltweit zu verbreiten, ist mittlerweile Allgemeingut, möchte man meinen: Die Gedanken sind frei, und frei sind die Möglichkeiten, sie zu veröffentlichen.
Diese Freiheit hat jenen, die an der Macht waren oder an die Macht wollten, noch nie gefallen, quer durch die Jahrhunderte. Denn die Freiheit zur Meinungsäußerung – die unabhängige Zusammenstellung von Fakten und deren individuelle, kritische Bewertung – trägt die Chance in sich, machthungrige Pläne zu durchkreuzen.
Diese Formulierungen laden zunächst einmal ein, an gewissenlose Militärregierungen zu denken oder an Diktaturen anderen Hintergrunds. Sie treffen aber auch auf die verborgenen Machenschaften weitverzweigter Lobby-Netzwerke zu, die einfach nur ganz konkrete Interessen durchsetzen wollen. Koste es, was es wolle.
Gefahr braut sich früher zusammen
Es wäre allerdings ein verhängnisvoller Fehler, die Gefährdung erst dann auszumachen, wenn Pressefreiheit und die, die ihr mit konkreten Inhalten Leben einhauchen, gewaltsam bedroht werden. Die Gefahr braut sich schon viel früher zusammen und kommt oft auf samtenen Pfoten daher.
Nicht nur für JournalistInnen ist die Sprache ein besonderes Werkzeug, sondern auch für deren Feinde. Hierzulande wurden die VerfechterInnen der Pressefreiheit vor einigen Jahrzehnten aus der Selbstverständlichkeit wachgerüttelt, als kritische Medien als „Volksfrontmedien“ (aus Haider, Jörg (1993): „Die Freiheit, die ich meine“, S. 72) und JournalistInnen als „Hauptnestbeschmutzer“ (Jörg Haider in einem von Andreas Mölzer geführten Interview in der rechtskonservativen Wochenzeitung „Junge Freiheit“, 29. 10. 1999, Nr. 44) bezeichnet worden sind oder demagogisch davon die Rede war, dass dafür gesorgt werde, dass „in den Redaktionsstuben in Zukunft weniger gelogen“ werde (Zitat Jörg Haider aus APA-Meldung 0351 vom 26. 1. 1993, 00.05). Die Verbalattacken auf die Unabhängigkeit des berichteten Worts haben zugenommen und werden durch die sogenannten „sozialen Medien“ scheinbar endlos befeuert. „Fake News“ ist zur pauschalen digitalen Fliegenklatsche geworden, mit der beabsichtigt wird, kritische Berichterstattung mundtot zu machen. Aufsehen erregt hat vor einigen Monaten das Ansinnen des Innenministeriums, Informationen für kritische Medien „auf das nötigste Maß zu beschränken“ (Originalzitate in „Der Standard“ bzw. „Die Presse“). Das sei alles nicht so gemeint, wurde, gar nicht so eilfertig, abgewunken; aber die Botschaft ist von einer breiten Öffentlichkeit auch so verstanden worden: Nehmt euch ja nicht zu viel raus!
Medienbranche im Umbruch
All das läuft in einem Umfeld ab, in dem die Medienbranche (schon seit Längerem) im Umbruch steht. Sehr lange schon – nur dass die Zeichen der Zeit zu spät erkannt worden sind. Mit der rasenden Verbreitung des Internets und seiner unterschiedlichen Kanäle – eine Entwicklung, die wir schon fast ein Vierteljahrhundert erleben – haben sich die Spielregeln grundlegend geändert. Medien waren früher in der Rolle der Welterklärer und der Gatekeeper – was medial nicht stattgefunden hatte, war im Normalfall auf eine lokale Wirkung beschränkt gewesen. Damit hat das World Wide Web aufgeräumt: Weltweite Aufmerksamkeit ist jetzt auch für jedermann und jede Frau ohne dahinterstehende Medienorganisation möglich. Die Millionenzahl an Klicks wurde zur weltweiten Währung und ist es für viele heute noch. „Social Media“ wirken dabei wie ein Brandbeschleuniger.
Eine Homepage und ein Account machen schnell was her und wirken oft sehr professionell. Menschen, die sich nur rasch einmal informieren wollen, werden in die Irre geführt. Sie halten für recherchierten Inhalt, was tatsächlich bloß Wiedergabe von Gerüchten und Meinungen, manchmal auch gezielte Falschinformation oder Verschwörungstheorie ist.
Was das alles mit Medienfreiheit und deren Gefährdung zu tun hat? Nur auf den ersten Blick nichts. Denn die veränderte Umwelt hat auch den Journalismus auf den Kopf gestellt und an seinen finanziellen Fundamenten gerüttelt. Werbung ist teilweise auf Internet-Plattformen abgewandert (etwa der komplette Kleinanzeigenmarkt), und Wirtschaftskrisen haben ein Übriges beigesteuert.
Qualität braucht Zeit
Die Gefährdung des Journalismus mag in Ausmaß und Wucht für viele neu sein, sie ist es im Grundsätzlichen nicht: Denn immer schon hat es diese andere Seite gegeben, jene Quellen, die „alternative Fakten“ in die Welt gesetzt haben, um tatsächlich ihre Sicht der Dinge überproportional in eine Gesamtbetrachtung zu drücken. Es sticht ins Auge, dass in Werbe- und PR-Agenturen mehr Menschen beschäftigt sind als in Medien – und besser bezahlt werden. Dem gegenzusteuern, braucht Zeit und Personal. Damals wie heute.
Die meisten Redaktionen werden auf Sparflamme gehalten, die Kosten für Personal sind der gewichtigste Einzelposten im Budget. Vergessen wird dabei, dass es ausschließlich diese Budgetposition ist, auf deren Konto die Wertschöpfung geht. Hier darf nicht gespart, hier muss investiert werden.
Obwohl redaktionell heute ungleich mehr Kanäle zu füttern sind (es gibt eben nicht nur die Printausgabe), ist gegenwärtig viel zu oft der Rotstift angesagt. Und das bewirkt, dass weniger in den Köpfen, aber umso stärker in der täglichen Arbeitspraxis ein Kompromiss geschlossen wird, ein Kompromiss mit den Umständen, mit dem Mangel an Zeit. Zeit, die nötig ist, um sich in ein Thema einzuarbeiten; Zeit, die unabdingbar ist, um nachzudenken; Zeit, deren Verfügbarkeit zur Zahl der Köpfe direkt proportional ist. Letztlich ist es diese Zeit, die Qualität erst möglich macht und die Entfaltung einer echten Medienfreiheit bewirken kann.
Pressefreiheit beginnt bei den Arbeitsbedingungen von JournalistInnen. Die Gefährdung der Pressefreiheit auch.