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Im Zentrum der Kritik steht das bei der WTO verankerte TRIPS-Abkommen (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums). Das Abkommen hindert Produzent:innen seit über einem Jahr daran, die Impfstoffe auf globaler Ebene schneller und billiger herzustellen.
Obwohl seit Oktober 2020 ein Vorschlag von Südafrika und Indien vorliegt, die geistigen Eigentumsrechte auszusetzen (der sogenannte TRIPS-Waiver), blockieren besonders Industrieländer wie die EU, die Schweiz und Norwegen den Vorschlag. Der Vorschlag zum TRIPS-Waiver von Südafrika und Indien wird mittlerweile von über 105 Ländern unterstützt. Dafür sprechen sich außerdem das EU-Parlament, 140 ehemalige Regierungschefs und Nobelpreisträger:innen, Hunderte NGOs, Hunderttausende Europäer:innen, österreichische Gesundheitsexpert:innen aus.
EU zentrale Blockiererin der Impfgerechtigkeit
Obwohl mittlerweile auch große Industriestaaten wie die USA und Australien den TRIPS-Waiver unterstützen, blockiert die EU weiterhin den Vorschlag und versucht darüber hinaus sogar mit wenig konstruktiven Gegenvorschlägen von ihrer egoistischen Haltung abzulenken. Die EU vertritt an der WTO eine gemeinsame Position, weswegen auch die klare Befürwortung Spaniens zum Waiver zu wenig ins Gewicht fällt.
In Österreich bleibt die Koalition zum Beginn der Verhandlungen gespalten: Während sich Gesundheitsminister Mückstein für den Waiver ausspricht, bleibt Wirtschaftsministerin Schramböck, die für WTO-Angelegenheiten zuständig ist, eine klare Gegnerin des Waivers.
Diese Blockade ist besonders zynisch, wenn man einen Blick ins eigene Land wirft: Als Novartis drohte, die Penicillinproduktion aus Tirol nach Asien abzuziehen, nahm Schramböck 50 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln in die Hand, um den Standort zu halten. Das Anliegen, die Kontrolle über die Produktion von überlebenswichtigen Medikamenten in Österreich und der EU zu halten, ist mit und ohne Pandemie im öffentlichen Interesse. Unverständlich ist jedoch, warum Schramböck mit ihrer Blockade des TRIPS-Waivers den Ländern im globalen Süden genau jenes Recht verweigert.
E-Commerce-Abkommen für Big-Tech-Konzerne
Trotz Absage der Konferenz wollen die WTO-Mitglieder ihre Verhandlungen zu den am Tisch liegenden Themen fortführen. Während die einzige Forderung (der TRIPS-Waiver), hinter der viele Länder des globalen Südens stehen, von der EU blockiert wird, treiben die Industriestaaten bei anderen Themen ihre Forderungen voran: Besonders weitreichende negative Konsequenzen wird die Agenda zu E-Commerce haben.
„Daten sind das neue Öl“, heißt es in letzter Zeit immer öfter. Aktuell sammeln Konzerne Daten ohne demokratische Kontrolle oder Mitsprache von Arbeiter:innen und der gesamten Bevölkerung. Dieses Privileg wollen sie einzementieren, bevor die Zivilgesellschaft zu eigenen Schlüssen gekommen ist, wie sie mit ihren Daten umgehen wollen.
So begann vor vier Jahren eine Untergruppe von hauptsächlich Industriestaaten – entgegen den allgemeinen WTO-Regeln, dass alle gemeinsam verhandeln müssen – Gespräche zu einem Abkommen zu digitalem Handel („E-Commerce-Verhandlungen“). Offizielle Verhandlungen konnten aufgrund des Widerstands aus dem globalen Süden nicht starten. Wie kaum ein anderes Feld sind diese Verhandlungen von den Wünschen der Big-Tech-Konzerne wie Amazon, Google oder Facebook geprägt.
Katastrophale Auswirkungen für den Arbeitsmarkt
In einem eigenen Abkommen zu E-Commerce sollen Freiräume für Big-Tech-Konzerne gesichert und staatliche Handlungsspielräume minimiert werden. Dies hätte katastrophale Auswirkungen in allen Bereichen von Arbeitnehmer:innenrechten und Datenschutz bis zur Schwächung unserer Demokratien, Zerschlagung kleinbäuerlicher Landwirtschaft und wirksamen Klimaschutzmaßnahmen.
Besonders auf dem Arbeitsmarkt hätte ein solches Abkommen negative Auswirkungen: Während die meisten unter diesen Vorzeichen neu geschaffenen Jobs prekär sind, werden aufgrund fehlender Niederlassung den Arbeiter:innen die Möglichkeiten genommen, für ihre Rechte zu kämpfen. Große Konzerne könnten auch einfach in den öffentlichen Sektor vordringen, von Angeboten im Gesundheits- und Bildungsbereich bis zum Eingriff in den Mobilitätsbereich wie beispielsweise Uber. Die demokratiepolitischen Auswirkungen werden hier ganz besonders deutlich: Der Gesetzgeber verliert an allen Fronten Gestaltungsmöglichkeiten. Ergänzend würde ein solches Abkommen zu einer noch schärferen Monopolisierungstendenz führen und kleine und mittelständische Unternehmen zusätzlich unter Druck setzen.
Absage erhöht Druck auf den Waiver und verschafft Zeit für Debatten
Die Absage aufgrund der neuen Omikron-Mutation erhöht den Druck auf die WTO: Im Angesicht der Gefahren durch neue Mutationen müssen WTO-Mitglieder, die den TRIPS-Waiver bislang blockierten, endlich umdenken. Auch ohne Konferenz kann der WTO General Council jederzeit einen TRIPS-Waiver beschließen und den Weg für globale und faire Produktion von Impfstoffen freigeben. Besonders die EU-Staaten sind jetzt gefragt, endlich Menschenleben vor Profitinteressen der Pharmaindustrie zu stellen.
Auch in den anderen Bereichen, besonders dem digitalen Handel, hat die Zivilgesellschaft nun Zeit gewonnen. Noch ist unklar, wann die nächste WTO-Minister:innenkonferenz stattfinden wird. In der Zwischenzeit könnte die Gelegenheit im Rahmen eines öffentlichen Diskurses genutzt werden, eine Einzementierung Richtung eines Abkommens für digitalen Handel nach den Wünschen der Big-Tech-Konzerne zu verhindern.
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