13 Jahre nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention steht es in Österreich immer noch schlecht um die Situation von Menschen mit Behinderungen. Weniger als 50 Prozent haben eine Arbeit, und viele bleiben ihr Leben lang in Werkstätten beschäftigt – ohne Arbeitnehmer*innenstatus und ohne Perspektive auf einen Übergang in den regulären Arbeitsmarkt. Das ist gegen die Konvention. Hoffnung macht ein Entschließungsantrag: Sozialminister Mückstein und Arbeitsminister Kocher sollen bis zum Ende 2021 ein Konzept zur Erhöhung der Arbeitschancen, insbesondere zur Frage der Arbeitsfähigkeit, vorlegen. Zwei zentrale Probleme sind zu lösen.
Problem 1: Originäre Invalidität nach § 255 Abs 7 ASVG
Eine 2018 eingebrachte Bürgerinitiative brachte den Stein ins Rollen. Der Entschließungsantrag ist dem Umstand geschuldet, dass immer wieder junge Menschen mit Behinderungen gegen ihren Willen als originär invalid und damit arbeitsunfähig eingestuft werden. Der Begutachtungsprozess zu § 255 Abs 7 ASVG ist fremdbestimmt und defizitorientiert.
Bei ihnen erhält sich lebenslang die Kindeseigenschaft mit den daraus resultierenden Ansprüchen. Sie erhalten Familienbeihilfe, Angehörigenversicherung, Unterhalt durch die Eltern oder Waisenrente. Aber die Betroffenen sind keine Kinder mehr.
Das mittlerweile veraltete Unikum in der EU-Rechtslandschaft bewirkt, dass junge Menschen mit Behinderungen, die eigentlich arbeiten wollten, jeden Anspruch auf Unterstützung durch das AMS verlieren. Sie haben keinen Zugang zu beruflicher Qualifizierung oder Unterstützung bei der Jobvermittlung. Selbst wenn ein Arbeitsversuch klappt, erwerben sie vorerst keine Pensionsansprüche.
Die Bestimmung der originären Invalidität, die eigentlich als Schutz gedacht war, wird zur größten rechtlichen Hürde im Hinblick auf die Durchlässigkeit der sozialen Sicherungssysteme. Offen stehen nur mehr die Eingliederungs- und Beschäftigungsmaßnahmen der Sozial- und Behindertenhilfe der Länder.
Problem 2: Arbeiten für ein Taschengeld
Über 23.500 arbeitsunfähig eingestufte Menschen arbeiten in Sonderbeschäftigungsmaßnahmen der Sozial- und Behindertenhilfe der Länder. Obwohl sie arbeiten, haben sie keinen Arbeitsvertrag, keinen Lohn, von dem sie leben können, keine sozialversicherungsrechtliche Absicherung und keine betriebliche Interessenvertretung. Es gibt dort weder die Möglichkeit, eine anerkannte Berufsausbildung zu erlangen, noch bietet das System wirkungsvolle Übergänge ins Erwerbsleben an. Auch mit Therapie haben diese Maßnahmen bei vielen Betroffenen nichts zu tun. Sonderbeschäftigungssysteme in diesem Ausmaß gibt es nur mehr in Österreich und in Deutschland. Viele unserer europäischen Nachbarn haben solche Systeme abgeschafft. Es lohnt sich der Blick in die Niederlande, nach Belgien, Schweden, Irland oder Spanien.
Die Eingliederungs- und Beschäftigungsmaßnahmen der Sozial- und Behindertenhilfe sollten eigentlich Übergangseinrichtungen sein; nur sofern das Arbeiten am regulären Arbeitsmarkt nicht (mehr) geht, sollten sie auch Arbeitsplätze mit entsprechendem Lohn und Arbeitnehmer*innenstatus bereitstellen.
Inklusiver Arbeitsmarkt als Ziel
Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention fordert das gleiche Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen, unabhängig von Art der Behinderung und Ausmaß des Unterstützungsbedarfs; „dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird“. EU-Parlament und EU-Kommission arbeiten an Rahmenbedingungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt. Es liegt aber an der nationalen Regierung, den inklusiven Arbeitsmarkt zu verwirklichen.
Damit das möglich ist,
– müssen gesetzliche Barrieren beseitigt und ein ressourcen- und fähigkeitsorientiertes Assessmentverfahren zur Feststellung des Unterstützungsbedarfs eingeführt werden, das für alle Lebensbereiche gilt;
– müssen Arbeitsplätze geschaffen werden. Öffentliche Einrichtungen und sozialwirtschaftliche Unternehmen sind mit den notwendigen Rahmenbedingungen (steuerrechtliche Vorteile, personenbezogene Lohnkostenzuschüsse, öffentliche Aufträge) auszustatten;
– müssen die notwendigen unterstützenden Dienstleistungen des Supported Employment für alle, die sie brauchen, überall zur Verfügung stehen;
– müssen sich Bund und Länder einigen, Übergänge von der Sozial- und Behindertenhilfe in sozialversicherungsrechtlich abgesicherte Arbeitsverhältnisse zu schaffen und gleichzeitig Ersatz von behinderungsbedingtem Mehraufwand und Lohnausgleich sichern.
Deutschland und Österreich sind Schlusslichter bei der Umsetzung des Menschenrechts auf Arbeit. Fest steht, es braucht Änderungen auf Systemebene. Ein inklusiver Arbeitsmarkt ist durchlässig, und ein Arbeitnehmer*innenstatus kann auch mit erweiterten Schutzrechten ausgestattet sein. Es ist an der Zeit, neue Wege zu finden, wie Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenarbeiten können.