Der Stahlmarkt in Europa: durch Freihandel so offen, dass wir nicht mehr ganz dicht sind

01. April 2016

In der Europäischen Union wurde der Freihandel zum Dogma erhoben. Doch die einseitige Ausrichtung auf den freien Waren und Kapitalverkehr steht zunehmend in Konflikt mit europäischen Standards bei ArbeitnehmerInnen- und Umweltschutz. Dies zeigt sich aktuell nicht nur in der Diskussion um TTIP und Co, sondern auch in den Handelsbeziehungen mit China. Europas Märkte werden derzeit mit billigem chinesischem Stahl überschwemmt. Im November 2016 will die EU China als „Marktwirtschaft“ anerkennen, damit wären auch die letzten Schutzmaßnahmen passé. Mit dieser Freihandelspolitik sind in Europa 330.000 Arbeitsplätze und über 500 Produktionsstandorte in der Stahlbranche gefährdet, mehrere tausend davon in Österreich. Anstatt europäische Standards bei ArbeitnehmerInnen- und Umweltschutz weiter auszuhöhlen ist es an der Zeit zu überlegen, wie unsere höheren Standards in die Welt exportiert werden können.

Antidumpingmaßnahmen in den USA und der EU

China ist der weltweit größte Stahlproduzent und leidet unter einer massiven Überproduktion. 2/3 der Stahlwerke sind aus ökologischer Sicht als „echte Dreckschleudern“ zu bezeichnen und müssten in Europa wohl geschlossen werden. Ohne Zollaufschläge als Ausgleich für die höheren Kosten besserer europäischer Umweltstandards drohen Verlagerungen nach außerhalb Europas. Obwohl China Mitglied der WTO (Welthandelsorganisation) ist, hat es bisher nicht den Status einer Marktwirtschaft. Laut WTO Regime können nach Artikel 6 daher Antidumpingmaßnahmen gesetzt werden. Europa und die USA tun dies in sehr unterschiedlicher Weise.

Nachdem China keine Marktwirtschaft ist, können für Berechnungen keine realen Preise herangezogen werden. Aus diesem Grund wird ein Preis konstruiert, der dann als Zollaufschlag dient. Dies gilt für die EU ebenso wie die USA. Doch während die USA ihren Markt mit Zollaufschlägen von über 265% schützt, beschränkt sich die EU auf symbolische und damit unwirksame Maßnahmen. Im Gegensatz zu den USA und den meisten anderen Ländern der Welt wendet die Europäische Kommission die sogenannte „lesser duty rule“ an. Bei dieser Regel wird der geringstmögliche Zoll berechnet. Das Ergebnis ist ein Zollaufschlag von nur 14% und die Tatsache, dass chinesischer Stahl in Europa deutlich billiger ist, als der selbst produzierte. Im Jahr verfiel der Stahlpreis von 600 $/Tonne fast um die Hälfte auf ca. 330 $/Tonne. In den USA verfiel der Preis von 700 $/Tonne um rund ein Drittel auf 500$/Tonne.

Entwicklung der Stahlpreise im Jahr 2015

Freihandel, Stahlpreise, Stahlindustrie © A&W Blog
Quelle: EUROFER © A&W Blog
Quelle: SBB steel

Maßnahmen verschiedener Länder zum Schutz der eigenen Stahlindustrie im Jahr 2015:

Freihandel, Stahlindustrie, Schutzmaßnahmen, Arbeits- und Umweltstandards © A&W Blog
Quelle: EUROFER © A&W Blog
Quelle: EUROFER

Zahnlose Antidumpingmaßnahmen der EU – Österreich blockiert

Hintergrund dieser zahnlosen Antidumpingmaßnahmen ist ein Machtkampf zwischen stahlproduzierenden und metallverarbeitenden Industrie in Europa. Teile der metallverarbeitenden Industrie nehmen ein Ende europäischer Stahlproduktion für billigeren Stahl aus China in Kauf. Dies führte dazu, dass selbst der österreichische Wirtschafsminister im Europäischen Rat bisher gegen den Vorschlag der EK zu Anhebung der Zollquoten votiert hat – auch zuletzt im Rat der Wirtschaftsminister am 29. Februar 2016 war Österreich zurückhaltend. Mit dieser Position ist der österreichische Wirtschaftsminister unter den Industriestaaten ziemlich alleine. Im Februar dieses Jahres haben sieben führende Industriestaaten einen dringenden Appell zum Erhalt der europäischen Stahlindustrie an die Europäische Kommission gerichtet (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen, Belgien und Luxemburg). Ziel des Briefs sind verstärkte Antidumpingmaßnahmen.  Österreich hat den Brief nicht unterzeichnet.

Im November 2016 wird über die Zukunft der Stahlindustrie entschieden

China beruft sich auf die WTO-Vereinbarung, welche ab November 2016 das chinesische Wirtschaftssystem als „marktwirtschaftlich“ anerkennen soll. Während weder die USA noch Russland mit rechtlichen Argumenten China diesen Status geben wollen, drängen viele Lobbys in Europa auf eine Öffnung Europas gegenüber China.

Für die europäische Stahlbranche würde ein solcher Schritt wahrscheinlich das Ende bedeuten. China leidet unter einer massiven Überproduktion von Stahl. Bereits jetzt verfügt China über 50% der weltweiten Stahlproduktion. Während die USA mit massiven Zöllen die amerikanische Stahlindustrie schützen, produziert die europäische Industrie seit einem Jahr nicht mehr kostendeckend. Das wird auf Dauer nicht gut gehen. Zusätzlich würde die Umsetzung des WTO-Regimes für China auch in sämtlichen anderen Branchen wie chemischer Industrie, Bauindustrie etc Antidumpingmaßnahmen Europas erschweren.

Freihandel kann zu Monopolen führen

Dahinterstehend erkennt man das allgemeine Dilemma der europäischen Handelspolitik. In den europäischen Eliten wurde Freihandel zum Dogma erklärt. Dies zeigen auch die Verhandlungen zu TTIP und CETA. Begründet wird dies mit dem Abbau von Handelshemmnissen innerhalb der EU, welche auch zu einem politischen Zusammenwachsen Europas geführt haben. Die Zahlen beweisen dies auch. So ist das Handelsvolumen zwischen EU Ländern von 800 Mrd. Euro im Jahr 1992 auf 2.840 Milliarden Euro im Jahr 2013 gestiegen.

Diese Erfahrung wird in der europäischen Handelspolitik auf die ganze Welt angewendet. Komplett außer Acht gelassen wird der Schutz europäischer Arbeitsplätze, hoher Umweltstandards und die eigentliche Wirtschaftsmacht, die Europa mit 500 Mio. KonsumentInnen für die Gestaltung der globalen Ökonomie hat. Ebenfalls werden geopolitische Fragestellungen außer Acht gelassen. Will Europa durch seine Handelspolitik in Zukunft wirklich von chinesischem Stahl abhängig sein?

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Freihandel kein Selbstzweck ist und nicht per se zu gerecht verteiltem Wachstum führt (sogar eher im Gegenteil, weshalb es zum Standardrepertoire von ÖkonomInnen gehört, Umverteilungsmaßnahmen von den GewinnerInnen zu den VerliererInnen von Freihandel zu fordern). Das Beispiel Stahlbranche zeigt sehr deutlich, dass Freihandel in einer globalisierten arbeitsteiligen Welt zu Monopolstellungen führt. Eine alte Krankheit des Kapitalismus. Dadurch wird Wettbewerb ausgeschaltet und Innovation verhindert. Die Wirtschaftswissenschaften auf den Universitäten liefern dazu kaum kritische Erklärungen und arbeiten weiterhin mit dem Ricardo-Theorem, dem Basisgedanken des Freihandels, aus dem Jahr 1817.

Europa stärken

Europas größte Herausforderung ist die Schaffung von Arbeitsplätzen und zwar von guten Arbeitsplätzen. Länder mit einer starken industriellen Basis sind besser durch die Krise gekommen. Die Industrie kann als Leitsektor der Volkswirtschaft dienen, Innovationen fördern und ist auch für den Dienstleistungssektor von zentraler Bedeutung. Anstatt europäische Standards bei ArbeitnehmerInnen- und Umweltschutz durch Einführung eines Tax adjustment Systems – also durch Zollaufschläge die sich an Arbeitsschutz-, Menschenrechts-, und Umweltschutzstandards orientieren – in die Welt zu exportieren, geht die Tendenz in Richtung Abbau dieser Standards.