Uneingeschränkte Märkte tendieren dazu, universell anwendbare europäische Wertvorstellungen, wie Gerechtigkeit, Würde und Fairness, zu untergraben. In einem aktuellen Diskussionsbeitrag schlagen wir daher die Einrichtung einer europäische Regulierungsagentur vor, die grenzüberschreitenden Handel in Einklang mit den zentralen europäischen Werten bringt.
Sinkende Grenzmoral im internationalen Handel
Das Vermeiden von sozialen Verpflichtungen erzeugt in Konkurrenzsituationen einen Wettbewerbsvorteil: Jene MarktteilnehmerInnen mit den niedrigsten moralischen Werten üben daher Druck auf MarktteilnehmerInnen aus, die kostenintensivere moralische und/oder soziale Vorstellungen verfolgen. Uneingeschränkter (Markt-)Wettbewerb führt daher tendenziell zu einer Erosion moralischer und sozialer Standards.
Dieser Mechanismus, der auch als „sinkende Grenzmoral des Wettbewerbs“ bezeichnet wird, wirkt dabei im Kontext internationalen Handels auf besonders intensive Weise, da aufgrund der großen globalen Unterschiede im Bereich der Lebens- und Sozialstandards Wettbewerbsvorteile in einem größeren Maßstab zu erschließen sind. Korrespondierend dazu erhöht sich freilich die Gefahr einer Nivellierung moralischer und sozialer Standards nach unten. Die Konsequenzen dieser Abwärtsspirale sind weltweit zu beobachten: Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Lohndruck, Kinderarbeit, ökologischer Raubbau, mangelnde Verarbeitung und sinkende Qualität der (Massen-)Produkte. Günther Wallraff veranschaulichte jüngst in seinem Buch „Die Lastenträger“ wie diese Entwicklungen auch in westlichen Industrieländern zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen führen.
Im Gegensatz dazu versucht das Konzept eines „zivilisierten Marktes“ freies Unternehmer-Innentum und internationalen Handel in Einklang mit jenen universellen Werten zu bringen, die die zentralen Grundlage des europäischen Projektes bilden (etwa Gerechtigkeit, Würde, Fairness). Um dieses Ziel eines „zivilisierten Marktes“ zu erreichen, wird die Gründung einer neuen europäischen Institution vorgeschlagen.
Top-Runner Programm als Archetyp
Als Vorbild für eine derartige Institution dient das japanische Top-Runner Programm . Dieses ist seit über 14 Jahren in Japan etabliert und legt dort Energieeffizienzstandards für eine Reihe von Produkten (Kühlschränke, Klimaanlagen, Küchengeräte usw.) fest. Dabei werden gewisse (Minimum-)Standards für einen Zeitraum zwischen drei und zehn Jahren bestimmt – am Ende der Periode müssen schließlich alle angebotenen Produkte diese Kriterien erfüllen. Zur Festlegung von Standards werden jeweils die energieeffizientesten Produkte einer Produktklasse als Bezugspunkt herangezogen. Nach Ablauf dieser Periode beginnt der Prozess von neuem.
Europäische Aufsichtsagentur für Handelswaren
In Anlehnung an das Top-Runner Programm wird eine europäische Aufsichtsagentur für Handelswaren vorgeschlagen, deren Auftrag es ist, verpflichtende Mindeststandards für die auf dem europäischen Markt verkauften Güter zu setzen und so Moralität zu einer Dimension unternehmerischen Wettbewerbs zu erheben. Bei Nichteinhaltung der Standards innerhalb eines bestimmten Zeitraumes werden die Unternehmen sanktioniert; im Extremfall verlieren sie den Zugang zum europäischen Markt. Diese Agentur soll aus zwei Säulen bestehen: einer Division, die für die Einhaltung von bestimmten Arbeitsbedingungen (Mindestlohn, Arbeitszeitbeschränkungen, Sicherheitsstandards usw.) zuständig ist, und einer Division, deren Aufgabe es ist Mindeststandards hinsichtlich Nachhaltigkeit und Produktqualität zu etablieren (Energieeffizienz, Langlebigkeit, Auswirkung auf Gesundheit und Umwelt).