Der Flexibilitätshype – darf’s ein bisserl weniger sein?

28. November 2013

„Arbeiten, wenn Arbeit da ist“ und „Ohne Flexibilisierung können wir den Standort nicht halten!“ sind nur 2 ausgewählte „Klassiker“ der Arbeitgeberseite, die im fast jährlich aktualisierten Diskurs zur weiteren Flexibilisierung und Deregulierung in der Arbeitswelt „hochkochen“. Lautstark wird der Untergang der heimischen Wirtschaft herbeigeredet, obwohl die Gewinne der Unternehmen wieder deutlich im Steigen begriffen sind und Managergehälter in teils obskurer Höhe ausbezahlt werden.

Wehklagen der Wirtschaft

Dem „Wehklagen“ der Wirtschaft zum Trotz – unterstützt oft noch von „profunden“ Ökonomen zB des IHS bzw von EcoAustria – stemmen sich Gewerkschaften mit aller Kraft und aus gutem Grund gegen weitere Flexibilisierungen. Wenn nämlich der grundsätzlich positiv geprägte Begriff der Flexibilität in der Arbeitswelt zum ausschließlichen Synonym für einseitige Veränderungen und Verlängerungen der Arbeitszeiten, für Einkommensverluste durch überstundenzuschlagsvermeidende neue Arbeitszeitformen wird, oder in Forderungen mündet, die eine Verschiebung kollektivvertraglicher Regelungsbefugnisse auf die Betriebsebene vorsehen, dann wird diese „Flexibilität“ jedenfalls zur Einbahnstraße zulasten der ArbeitnehmerInnen.

Dieses medial gekonnt inszenierte Wehklagen der Unternehmen über vermeintlich unflexible ArbeitnehmerInnen bringt punktuell sogar so manche/n in Versuchung, einerseits den Sinn verschiedenster gesetzlicher Schutzbestimmungen zu hinterfragen (ua gesetzlich festgelegte Arbeitszeithöchstgrenzen, Urlaubsrecht, ArbeitnehmerInnenschutz etc) und andererseits sogar überbordende Solidarität für die Unternehmen zu entwickeln. Ist Mitleid aber wirklich angebracht?

Flexible ArbeitnehmerInnen!

Betrachtet man sowohl die – durch entsprechende Erhebungen und Studien belegte – nationale als auch internationale Faktenlage zur Flexibilität der ArbeitnehmerInnen in Österreich, so kommt man rasch zu einem völlig anderen Ergebnis: Eurofound bestätigt beispielsweise in regelmäßigen Erhebungen (zB im European Working Conditions Survey 2010), dass die ArbeitnehmerInnen in Österreich „TOP“ sind – entweder überdurchschnittlich flexibel oder zu den TOP-3-Ländern hinsichtlich der Arbeitsbereitschaft gehören. Flexibilität ist damit kein Wunschdenken, sondern bereits gelebte Realität!

Neben der hohen individuellen bzw innerfamiliären Flexibilität der ArbeitnehmerInnen hinsichtlich der Lage der Arbeitszeiten – und das bei oft fehlender sozialer Infrastruktur in zentralen Bereichen (Kinderbetreuung, Pflege, Ganztagsschulformen etc) – sticht ins Auge, dass die vollzeitbeschäftigten ÖsterreicherInnen mit durchschnittlich 41,8 Wochenstunden nach Großbritannien die zweitlängsten Arbeitszeiten in ganz Europa haben.

Durch eine knappe Personaldecke wird den ArbeitnehmerInnen zusätzlich eine hohe Mehr- und Überstundenleistung (jährlich rund 300 Mio. Stunden) abverlangt. Als „Flexibilität“ wird den Beschäftigten sogar zugemutet, ein Viertel davon „gratis“ zu arbeiten. Der Intention des Arbeitszeitgesetzes folgend, dass die Normalarbeitszeit der Regelfall, Überstundenarbeit allerdings der Abdeckung eines außergewöhnlichen Arbeitsbedarfes dienen soll, wird dieses Ausmaß jedenfalls nicht mehr gerecht.

 Unflexible Arbeitgeber!

 Angesichts der Tatsache, dass die österreichischen ArbeitnehmerInnen bereits sehr flexibel arbeiten, lässt die naheliegende Frage aufkommen, wie es denn um die Flexibilität der Unternehmen steht? Dass die räumlichen und zeitlichen „Grenzen“ in der Arbeitswelt zunehmend in Auflösung begriffen sind, ist ein Faktum. Die entscheidende Frage dabei ist, ob dies das Ergebnis eines Interessenausgleichs ist oder ob einseitig Nachteile zulasten der ArbeitnehmerInnen unter dem Deckmantel der „Flexibilisierung“ verordnet werden.

Derzeit entsteht der Eindruck, dass zB innerbetriebliche Flexibilität eher nur im Kontext von „Auftragsschwankungen“ gesehen wird, statt lebenszyklusorientiert auf die Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen. Diese einseitige Interpretation zeigt sich auch in der konkreten Ausgestaltung der Arbeitsverträge.

 Einer AK/ÖGB-Befragung (2012/3) von rund 2.600 Beschäftigten zufolge, versehen Firmen die vorgelegten Arbeitsverträge bewusst und immer häufiger mit Klauseln, die grob gesagt zwei wesentliche Stoßrichtungen verfolgen: Einerseits fordern Firmen – im aufrechten Arbeitsverhältnis – völlige Flexibilität und Verfügbarkeit von den ArbeitnehmerInnen ein, andererseits bauen sie massive Hürden auf, wenn es darum geht, den Arbeitgeber zu wechseln etwa weil eine neue besser bezahlte und/oder interessantere Arbeitsstelle zur Verfügung steht.

 Viele der dabei in Frage stehenden „Vereinbarungen“ sind grundsätzlich zulässig, sie überspannen aber die Grenzen dessen, was gemeinhin als „fair“ erachtet wird. Oft finden sich auch Klauseln, bei denen für JuristInnen von vornherein klar ist, dass sie rechtlich nicht gedeckt sind. Den Betroffenen ist dies aber oftmals nicht klar, was dazu führt, dass auch diese an sich unwirksamen Klauseln für die Betroffenen unangenehme Folgen nach sich ziehen.

Einseitige Flexibilität

Die Erfahrungen aus der Praxis zeichnen hier ein Besorgnis erregendes Bild: Arbeitsplätze werden oftmals nur unter der Bedingung angeboten, dass die vom Arbeitgeber vorformulierten Bedingungen  zu 100 % akzeptiert werden. Viele beugen sich diesem „Diktat“, weil sie Angst haben, sich sonst die Chance auf den Arbeitsplatz zu verbauen. Wer heute Arbeit sucht, muss allzu oft nachgeben!

Überaus problematisch ist es auch, wenn individuelle Freiheitsgrade und Gestaltungsautonomie durch nachteilige Klauseln in Arbeitsverträgen beschnitten werden und Menschen zum Spielball der Wirtschaft werden. Etwa wenn mit Hilfe von All-In-Entgelten die korrekte Verrechnung von Überstundenentgelt ausgehebelt und Mehrleistungsverpflichtungen – oft sogar jenseits der gesetzlich zulässigen Grenzen – abverlangt werden, oder Konkurrenzklauseln, die in der von Flexibilität geprägten Welt genau selbige verhindern. Flexibilität zu Gunsten der Beschäftigten sieht anders aus!

Krankmachende Flexibilität

Regelmäßige, überlange Arbeitszeiten bzw der Umstand, dass rund 40% krank in die Arbeit gehen, ist Ausdruck der ungleichen Machtverteilung zwischen Arbeit und Kapital. Besonders in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit schaffen kaum verhandelbare und aufoktroyierte Arbeitsverträge sowie die ständige Angst um den Job(-verlust) jene Rahmenbedingungen, unter denen gesundheitsgefährdende Überbeanspruchungen, Präsentismus und Selbstausbeutung zum „leitenden“ Prinzip für die ArbeitnehmerInnen werden. Wie passt das zu Forderungen andernorts, wo länger arbeiten im Sinne der Lebensarbeitszeit eingefordert wird?

Die mangelnde Bereitschaft der Unternehmen, eine ausreichend hohe Personaldecke zu haben bzw für einen gesundheits- und qualifikationserhaltenden Ausgleich zu sorgen (zB Aus- und Weiterbildung, alternsgerechte Arbeitsbedingungen, Gesundheitsförderung, Prävention etc), verursacht letztendlich hohe gesellschaftliche Kosten und individuelles Leid, das vermeidbar wäre.

Unternehmen sind gefordert!

Mehr Flexibilität der Unternehmen ist insbesondere im Umgang mit WiedereinsteigerInnen, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Geringqualifizierten, MigrantInnen und anderen benachteiligten Gruppen notwendig. Mittel- und langfristig sind die damit verbundenen Investitionen in die Belegschaften und deren Wertschätzung jedenfalls betriebswirtschaftlich lohnend. Ein vertrauensvolles Miteinander, das Innovation und Produktivität entlang der gesamten Erwerbskarriere fördert, ist sicher nachhaltiger und erfolgversprechender als eine weitere „Entfesselung“ durch Deregulierung der Arbeits- und Sozialstandards.

Links zum Thema:

Unfaire Klauseln in Arbeitsverträgen

Flexibilisierung beschleunigt Umverteilung

Dieser Beitrag ist auch in der aktuellen Ausgabe von Arbeit&Wirtschaft enthalten, die unter dem Motto „Ober sticht Unter“ Führungs- und Managementtechniken unter die Lupe nimmt:
www.arbeit-wirtschaft.at