Das stille Bedürfnis – zwischen Dienst und Not­durft …

19. November 2024

Der regelmäßige Gang zur Toilette, eigentlich ein selbstverständliches Grundbedürfnis, gleicht an manchen Arbeitsplätzen einem Hürden- oder Marathonlauf. Der heutige „Welttag der Toilette“ bietet daher den passenden Anlass, um genauer auf die diesbezüglichen Probleme in einigen Branchen hinzuweisen und mögliche Lösungsansätze anzubieten.

Für Aufmerksamkeit sorgen immer wieder internationale Medienberichte von menschenunwürdigen Lebensrealitäten von Arbeitnehmer:innen, die sogar Windeln tragen, um den Arbeitsplatz während ihrer Schicht nicht verlassen zu müssen oder weil sie ihn schlicht nicht verlassen können. In der Schweiz ist ein Streit darüber entbrannt, ob der Toilettengang als Teil der Arbeitszeit zu sehen ist. In Österreich herrscht die Rechtsmeinung, dass die Toilettennutzung als Arbeitszeit gilt. Da es sich um ein menschliches Grundbedürfnis handelt, darf dieses nicht eingeschränkt werden. Aber auch an österreichischen Arbeitsplätzen ist es nicht selbstverständlich, jederzeit eine Toilette aufsuchen zu können. Das betrifft vor allem Berufsgruppen wie Busfahrer:innen oder Triebfahrzeugführer:innen, also jene die viel oder ständig auf Achse sind. Aufgrund des engen Zeitkorsetts oder wegen nicht vorhandener WC-Anlagen haben diese Beschäftigten während ihres ganzen Arbeitstages sehr beschränkte oder gar keine Zeit, eine Toilette aufzusuchen. In anderen Bereichen, wo Toiletten zwar vorhanden sind, entstehen in der betrieblichen Realität immer öfter Diskussionen rund um deren Hygienestandards, Geschlechtertrennung und mangelnde Barrierefreiheit. Offensichtlich bedarf es dringend einer Anpassung der gesetzlichen Regelungen, um aus einem Grundbedürfnis ein gelebtes Grundrecht zu machen.

Ganze Arbeitstage ohne Toilette – geht sich das aus?

Wie soll ein ganzer Arbeitstag ohne Toilette funktionieren, fragen sich Arbeitnehmer:innen und Gewerkschafter:innen regelmäßig. Von Arbeitgeber:innen kommen immer wieder unausgegorene Angebote, wie etwa Fahrer:innen Urinflaschen „für die Unterstützung in Notsituationen“ zur Verfügung zu stellen – nur dass der Toilettengang eben keine Notsituation, sondern ein Grundbedürfnis darstellt. Probleme mit Toiletten begrenzen sich nicht nur auf deren Erreichbarkeit. Es ist offenkundig, dass es „generelle und zeitgemäße Mindeststandards“ für das „Problemfeld Toilette am Arbeitsplatz“ braucht. Dabei geht es auch um grundlegende Hygiene, Ausstattung, Geschlechtertrennung und Barrierefreiheit. Beschwerden aus dem Beratungsbereich der Arbeiterkammern zeigen, dass dieses Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und Problemfelder immer wieder aufzuzeigen sowie Lösungsansätze zu erarbeiten und endlich zeitnah umzusetzen sind.

Die gesetzlichen Regelungen für Toiletten am Arbeitsplatz:

  • in Arbeitsstätten

Viele Arbeitsplätze befinden sich in klassischen Arbeitsstätten, also in Büros, Produktionsbetrieben oder in Verkaufslokalen. Die Arbeitsstättenverordnung befasst sich in § 33 mit sanitären Anlagen und legt hier die Mindestanzahl und die Ausführung der Toilettenzellen fest. Darüber hinaus finden sich Regelungen, wie etwa die Vorgabe, dass maximal 15 Arbeitnehmer:innen auf eine Toilette angewiesen sein dürfen und sich diese Anlagen in der Nähe der ständigen Arbeitsplätze befinden müssen. Eine Geschlechtertrennung ist dann vorzunehmen, wenn – so der Gesetzeswortlaut der Arbeitsstättenverordnung – von beiden Geschlechtern je fünf Personen im Betrieb beschäftigt sind. Die Anzahl der Toiletten und die geschlechterspezifische Aufteilung sorgen in vielen Betrieben immer wieder für Unmut. Neben der Hygienefrage gibt es vermehrt auch Diskussionen darüber, welche Toilette nicht-binäre Arbeitnehmer:innen benutzen können. Auch fehlende Kundentoiletten sorgen immer wieder für Diskussionen, denn Kund:innen dürfen Mitarbeiter:innen-WCs nicht nutzen. Aber gerade in kleinen Dienstleistungsgeschäften ist das gelebte Praxis. Oft müssen die dort Beschäftigten diese Toiletten auch reinigen, was in den meisten Fällen als arbeitsrechtlich unzulässig einzustufen ist. Tatsächlich barrierefreie Toiletten bleiben bisher als Ausnahmeerscheinung auf größere Betriebe beschränkt.

  • auf Baustellen

Auf Baustellen ist die Bauarbeiterschutzverordnung für sogenannte „Aborte“ anzuwenden. Diese bestimmt, dass auf jeder Baustelle oder in deren Nähe entsprechend ausgestattete „Abortanlagen“ zur Verfügung stehen müssen, die den diesbezüglichen sanitären Anforderungen entsprechen und mit Wasserspülung oder einer gleichwertigen Ausstattung versehen sind. Weiters finden sich hier auch Vorgaben über die Mindestanzahl von Toiletten und Pissständen, ähnlich der Arbeitsstättenverordnung. Über unhygienische Zustände, meist aufgrund fehlender Reinigungsintervalle, wird von Arbeitnehmer:innen immer wieder berichtet.

  • an auswärtigen Arbeitsstellen (unterwegs, bei Kund:innen usw.)

Arbeitnehmer:innen, die nicht in Arbeitsstätten oder auf Baustellen arbeiten – also etwa regelmäßig im Freien tätig bzw. unterwegs oder bei Kund:innen/Klient:innen vor Ort sind –, befinden sich auf einer „auswärtigen Arbeitsstelle“. Rechtlich gibt es für diese Arbeitsplätze keine konkrete Toilettenregelungen, es gelten hier lediglich die allgemeinen Schutzvorgaben des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes und die allgemeine Fürsorgepflicht der Arbeitgeber:innen. Im Zuge der Arbeitsplatzevaluierung bzw. der Arbeitsvorbereitung wäre dieses Thema ebenfalls zu bearbeiten bzw. müssten sinnvolle und lebensnahe Lösungen gefunden werden.

Ein Bedürfnis, aber keine Toilette – was tun?

Laufend berichten beispielsweise Busfahrer:innen oder Triebfahrzeugführer:innen der Eisenbahn, die ständig auf Achse sind, davon, dass sie während ihres Dienstes keine Zeit haben oder kaum eine Möglichkeit vorfinden, um eine Toilette zu nutzen. Dort, wo es möglich ist, erleichtern sich Fahrer:innen notfalls am Straßenrand oder im Straßengraben. Hier gab es bereits Fälle, in denen sie gefilmt oder fotografiert wurden. Zu diesem „Weg ins Grüne“ muss auch angemerkt werden, dass das Urinieren in der Öffentlichkeit in Österreich grundsätzlich eine Verwaltungsübertretung darstellt. Diese kann je nach Bundesland bis zu 700 Euro Bußgeld nach sich ziehen. Bei anderen Arbeitnehmer:innen führt diese Situation wiederum dazu, dass sie Windeln tragen oder während des Tages kaum etwas trinken. Von manchen Berufsgruppen können teilweise öffentliche Toiletten genutzt werden, an denen sie bei der Arbeit vorbeikommen. Jedoch gibt es diese Anlagen nicht flächendeckend und bei Alternativen im öffentlichen Raum (Bahnhöfe, Geschäfte usw.) entstehen und summieren sich die Kosten.

Gesundheitliche Auswirkungen fehlender Toiletten

Fehlt die Möglichkeit, eine Toilette aufzusuchen, ergeben sich für die Arbeitnehmer:innen zwei Möglichkeiten: entweder ausreichend zu trinken und anschließend den Harndrang über Stunden zu unterdrücken oder möglichst wenig zu trinken. Medizinisch ist klar, dass das ständige Unterdrücken des Harndrangs genauso gesundheitlich negative Auswirkungen hat wie die Minimierung der Flüssigkeitszufuhr. Die Konsequenzen reichen von Harnwegs- und Blasenerkrankungen bis hin zu schweren Nierenerkrankungen. Gerade einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr kommt im Zusammenhang mit dem Klimawandel und den steigenden Temperaturen aber eine bedeutende Rolle zu. Besonders hohe Temperaturen belasten beispielsweise auch Kranführer:innen an ihren hochgelegenen Arbeitsplätzen. Diese berichten, dass sie für einen kurzen Toilettengang den zeitaufwendigen Weg von der Kabine zum Boden nicht auf sich nehmen können. Hier sind Urinflaschen gelebte Realität.

Hygienestandards für Toiletten fehlen

Die Arbeitsstättenverordnung fordert zwar, dass Toiletten „hygienisch zu halten sind“, jedoch gibt es keine Angaben von Reinigungsintervallen oder von konkreten Hygienestandards. Die deutsche Arbeitsstätten-Richtlinie (ASR A4) dagegen legt klar, dass Toiletten bei täglicher Nutzung auch „einmal täglich“ zu reinigen sind. Wenn bis zu 15 Personen eine Toilette benützen, sollte der Bedarf einer täglichen Reinigung selbstverständlich sein. In Österreich wird dieses Intervall lediglich als unverbindliche Empfehlung angesehen. Vorgaben oder Sanktionen der Kontrollbehörde sind daher nicht möglich. Zur Einhaltung und Kontrolle der regelmäßigen und gründlichen Reinigung empfiehlt die deutsche Arbeitsstätten-Richtlinie das Anbringen eines Reinigungsplanes im Toilettenraum mit kontinuierlicher Abzeichnungspflicht durch das verantwortliche Reinigungspersonal.

Toiletten für alle Bedürfnisse – ein Mehrwert für alle

Die Anforderungen, die an Toiletten gestellt werden, variieren je nach Geschlechterverteilung im Betrieb. Einerseits gibt es bei Frauen eine vermehrte Notwendigkeit von Toilettengängen (Menstruation), wodurch gefühlt oft zu wenige Damentoiletten im Verhältnis zu anderen Toiletten zur Verfügung stehen. Herren-WCs sind zudem teilweise mit Pissoirs ausgestattet, wodurch mehr Anlagen auf der gleichen Fläche Platz finden. Augenscheinlich wird dieses Missverhältnis bei vielen Veranstaltungen. Hier ist die übliche Schlange vor dem Damen-WC kaum zu übersehen, während nebenan das Herren-WC fast leer steht. Weiters gibt es in Betrieben, in denen bewegungseingeschränkte Arbeitnehmer:innen beschäftigt sind, auch sogenannte barrierefreie WCs, die meist noch unter dem veralteten Begriff „Behinderten-WCs“ bekannt sind. Der Beigeschmack von „behindertengerecht“ führt aber dazu, dass sie von sehr vielen Arbeitnehmer:innen prinzipiell nicht genutzt werden, wobei diese Art von Toiletten eigentlich viele Vorteile vereinen. In öffentlichen Bereichen und Einrichtungen wurden diese Vorteile bereits erkannt. Daher werden auch immer öfter Kombinationen mit geschlechtsneutralen WCs oder Unisextoiletten umgesetzt. In anderen europäischen Ländern sind diese Anlagen schon länger üblich. Durch diese Toilettenausführung lässt sich ein mögliches Missverhältnis zwischen den Geschlechtern kompensieren. Durch eine barrierefreie Ausführung wird gleichzeitig älteren und bewegungseingeschränkten Personen der Zugang und die Nutzung erleichtert.


© A&W Blog


Klare Mindeststandards und mehr Handlungsspielraum sind gefragt

Diskussionen rund um menschliche Grundbedürfnisse wie den Toilettengang während der Arbeit sollten im Europa des 21. Jahrhunderts eigentlich der Vergangenheit angehören. Der Welttoilettentag bietet daher den passenden Anlass, um notwendige Verbesserungen zu fordern und den Weg dahin zu zeigen. In Zukunft muss es zum Mindeststandard für alle Beschäftigten werden, dass sie während der Arbeit jederzeit eine Toilette nutzen können. Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, etwa mit Windeln oder Urinflaschen oder dem Weg ins Grüne, müssen durch bauliche und organisatorische Maßnahmen ersetzt werden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen dazu so angepasst werden, dass allen Erfordernissen einer diversen Arbeitswelt nachgekommen wird. Neben Toiletten für weibliche und männliche Arbeitnehmer:innen können mit barrierefreien und geschlechtsneutralen Toiletten verschiedenste Bedürfnisse abgedeckt werden.

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