Was ist gute Pflege? Das sagen die Beschäftigten

24. März 2016

Es ist nicht neu, dass Österreichs Pflegelandschaft vor großen Herausforderungen steht. Zumeist wird dabei das Augenmerk auf Kosten und Finanzierbarkeit gelegt, doch ebenso zentral ist die Frage der Qualität. Denn es geht eben nicht nur um billige, sondern vor allem auch um gute Pflege. Dabei ist allerdings keineswegs klar, was genau “gute Pflege” ist. Eine neue Studie befasst sich mit dieser Frage aus der Perspektive von Menschen, die zentral für die Qualität in der Pflege sind: die dort Beschäftigten.

 

Ohne Frage gibt es in der Pflege in den kommenden Jahren vielfältige Herausforderungen zu bewältigen. Die oft diskutierten Ursachen dafür liegen in der älter werdenden Bevölkerung, der wachsenden Zahl von Mehrfach- und Demenzerkrankungen, sowie im Rückgang der informellen Pflege und Betreuungsleistung durch (meist weibliche) Angehörige. Aber auch die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens, in dem immer größeres Augenmerk auf Kosten gelegt wird, stellt die österreichische Pflegelandschaft vor Herausforderungen. Die Qualität der Pflegedienstleistungen trotz des Spardrucks auf gutem Niveau zu halten setzt die Beschäftigten physisch und psychisch zunehmend unter Druck. Verschärft wird die Situation durch die Zersplitterung der Kompetenzbereiche und Finanzierung zwischen Bund und Ländern, einem immer noch erheblichen Anteil informell pflegender Angehöriger und Unschärfen in der Abgrenzung der Zuständigkeit von Gesundheits- und Sozialressort.

Keine einheitliche Definition von guter Pflege

Für „gute Pflege“ eine Antwort zu finden, ist schwierig, sind doch die Ansprüche von Berufsangehörigen mit denen von Pflegebedürftigen nicht zu vergleichen. Auch Angehörige von Betroffenen haben oft andere Qualitätsansprüche an die Versorgung ihrer Lieben, als diese selbst. Solange nicht klar ist, was Qualität in der Pflege ausmacht, kann eine zufriedenstellende Lösung zB in der Frage einheitlicher Personalschlüssel nicht gefunden werden. Es fehlen Messkriterien für Qualität, nicht nur im stationären Bereich (Pflegeheim) oder mobilen Bereich (Pflege zuhause). Ebenso betrifft es die Schnittstellen, etwa zwischen Krankenhaus und mobiler Pflege. Die Möglichkeit der Befragung Betroffener selbst ist durch verschiedene Umstände, wie zB kognitive Einschränkungen demenzkranker Pflegebedürftiger, limitiert. Hier stellt die Entwicklung geeigneter Messkriterien eine besondere Herausforderung dar. Den hier dargestellten Ergebnissen liegt die Wahrnehmung durch Berufsangehörige zugrunde.

Befragung der Beschäftigten

Im Auftrag der AK Wien ist das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in einer Studie der Frage nachgegangen, wie gute Pflege und Betreuung für pflegebedürftige Personen gewährleistet werden kann. Befragt wurden Beschäftigte aller Berufsgruppen im Bereich Pflege und Betreuung aus allen Bereichen – mobil, teilstationär und stationär. Abgerundet wurde das Bild durch die Befragung von Angehörigen und 24-Stunden BetreuerInnen.

Das Ergebnis der Studie bestätigt die bekannten Problemfelder: Zeitdruck, (Un-)Vereinbarkeit von Beruf und Familie, kaum Raum für Beziehungen zu KlientInnen, körperliche und psychische Belastung. Es gibt also viel Verbesserungspotential im Bereich der Arbeitsbedingungen.

Gute Pflege braucht gute Arbeitsbedingungen

„Gute Pflege“ kann nur auf Basis geeigneter Arbeitsbedingungen erbracht werden – von der Lage und Dauer der Arbeitszeit über die Organisation, Kooperation im Team, Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten bis hin zu angemessener Bezahlung. Als Grundvoraussetzung sollte genug gut qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen, das auch entsprechend seiner Ausbildung eingesetzt wird.

In der Praxis gibt es dabei jedoch grobe Mängel. Unterschiedliche oder fehlende Personalschlüssel je nach Bundesland und Einrichtung führen zu Engpässen: Die Errichtung und der Betrieb von Alten- und Pflegeheimen fallen in den Wirkungsbereich der Länder. Daher gibt es in Österreich sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen bei der Personalausstattung. Grundsätzlich wird der Berechnung des Personalbedarfs die durchschnittliche Anzahl der BewohnerInnen je Pflegestufe zugrunde gelegt. Die Pflegestufe bildet jedoch nicht den tatsächlichen Personalbedarf ab. Die Folge sind Personalknappheit und belastende Arbeitsbedingungen. In der täglichen Praxis muss durch Krankenstände und sonstige Abwesenheiten beinahe grundsätzlich mit Personalmangel gerechnet werden. Fach-SozialbetreuerInnen in der Altenarbeit und Diplom-SozialbetreuerInnen, die eigentlich ideal für die Langzeitpflege ausgebildet werden und dort optimal eingesetzt wären, werden kaum beschäftigt bzw. nur als PflegehelferInnen eingestellt – und bezahlt.

Weitere Probleme sind Lücken in Pflege- und Betreuungsprozessen, ineffiziente Prozeduren und ein genereller Mangel an Gelegenheiten zum Austausch zwischen den beteiligten Berufsgruppen und Organisationen. Kooperation, Kommunikation und Multidisziplinarität können aus Sicht der Beschäftigten für die Lösung der anstehenden Probleme von zentraler Bedeutung sein.

Holprige Schnittstellen

Vor allem der Schnittstelle am Übergang zwischen Akutpflege und Betreuung zuhause bzw. im Alten- und Pflegeheim kommt in der extramuralen Pflege besondere Bedeutung zu. Ohne eine funktionierende Informationsweitergabe bei der Entlassung an die sozialen Dienste zu Hause kann optimale Weiterversorgung nicht gewährleistet werden und das führt zu einem „Drehtür-Effekt“. Innerhalb kurzer Zeit finden sich Pflegebedürftige im Krankenhaus wieder. Die Weiterentwicklung der organisatorischen Rahmenbedingungen sowie die Rolle von Entlassungsmanagement und Case-und Care-Management im System der Langzeitpflege kann hier eine wesentliche Rolle spielen, um integrierte Betreuungspfade zu ermöglichen.

Ein gutes Beispiel bietet der elektronisch geführte Entlassungsbrief der Pflege im AKH Wien, der für die direkte und unmittelbare Kommunikation mit dem Fonds Soziales Wien (FSW) verwendet wird und damit eine durchgehende Betreuung nach einer Entlassung aus dem Spital sichert. Die eingegebenen Daten werden vollelektronisch an den FSW übermittelt und dort ebenso vollelektronisch bestätigt. Der Status der Kommunikation ist für jede Pflegeperson jederzeit direkt am Arbeitsplatz einsehbar und transparent. Auch auf kurzfristige Änderungen des geplanten Pflegebedarfs kann so jederzeit reagiert werden.

Sinnvoll scheint ein Case-Management im umfassenden Sinn, das über die Koordination von Diensten hinaus auch die gezielte Vernetzung mit den unterschiedlichen AkteurInnen und Ressourcen rund um die pflegebedürftige Person ermöglicht.

Entscheidungsspielräume und Autonomie

Größere individuelle Handlungsspielräume, mehr Verantwortung und die Unabhängigkeit von ärztlichen Vorgesetzten waren und sind für viele Beschäftigte Hauptgründe für die Entscheidung, in der Langzeitpflege zu arbeiten. Das wird allerdings in der Praxis durch Managementvorgaben und Standardisierung konterkariert und stellt viele Beschäftigte vor allem durch die wachsenden Dokumentationspflichten vor die Herausforderung, in der gleichen Zeit zunehmend mehr bürokratischen Aufwand bewältigen zu müssen, was zwangsläufig auf Kosten der Zeit mit den KlientInnen geht.

Sehr wichtig ist den befragten Beschäftigten auch die Autonomie der Pflegebedürftigen. Die Autonomie von Betroffenen bemisst sich u.a. daran, unter verschiedenen Betreuungsarrangements, Anbietern und Pflegesettings die für sie beste Pflege auswählen zu können. Diese Wahlfreiheit ist oft eingeschränkt, weil Pflegebedürftige und Angehörige über mögliche Pflegearrangements nicht ausreichend informiert sind bzw. weil in bestimmten Gebieten Österreichs diese Alternativen gar nicht existieren. Auch hinsichtlich der Höhe des Pflegegeldes stößt die Autonomie an ihre Grenzen, denn oft reicht es nicht, die erforderliche Leistung zuzukaufen.

Auch PflegerInnen werden älter

Angesichts alternder Belegschaften sind Prävention und Gesundheitsförderung zunehmend in den Vordergrund zu rücken, um „gute Pflege“ auch durch MitarbeiterInnen mit längerer Dienstzeit sicherzustellen. Dazu gehören u.a. die Bereitstellung geeigneter Pflegehilfsmittel sowie insgesamt eine mitarbeiterorientierte bzw. altersangepasste Organisation der Dienstleistungserbringung. Eine Möglichkeit wäre der Einsatz älterer MitarbeiterInnen entsprechend ihrer erfahrungsspezifischen Fähigkeiten z.B. im Wissensmanagement oder in anderen Bereichen des Managements, der Verwaltung bzw. in der Fortbildung.

Insgesamt wäre es wichtig, mehr Raum für Kooperation und Kommunikation zwischen allen beteiligten AkteurInnen zu schaffen, um die Autonomie von Beschäftigten und Pflegebedürftigen zu stärken und Qualität in der Pflege – aus jeder Perspektive – zu sichern. 

Dieser Blog-Beitrag basiert auf der Studie Gute Pflege aus Sicht der Beschäftigten – Bedingungen, Ziele und Perspektiven der Qualitätsverbesserung in der Langzeitpflege von Kai Leichsenring, Katharine Schulmann, Katrin Gasior, unter Mitarbeit von Michael Fuchs, die im Auftrag der Arbeiterkammer Wien 2015 erstellt wurde.