Migration und Geschlecht am Arbeitmarkt: Warum eine gleichstellungspolitische Perspektive wichtig ist

22. Dezember 2016

Allzu oft werden Menschen mit „Migrationshintergrund“ oder „Migrant_innen“ homogenisiert, obwohl diese Gruppen in sich sehr heterogen sind: Abhängig vom Herkunftsland, (Aus)Bildung und Alter gibt es unterschiedliche Erfahrungen und Barrieren am Arbeitsmarkt. Neben der Nicht- Unterscheidung zwischen den verschiedenen Gruppen wird die Geschlechterperspektive oft im gesellschafts- und arbeitsmarktpolitischen Diskurs marginalisiert. Dieser Beitrag richtet daher den Blick sowohl auf die Geschlechterdimension als auch auf die Unterscheidung der verschiedenen Gruppen: insbesondere auf Frauen und Männer mit Migrationshintergrund und jene, die in den Vorjahren einen positiven Aufenthaltsstatus erhalten haben.

Die Abteilung Arbeitsmarktpolitik für Frauen des AMS Österreich veröffentlichte dieses Jahr einen Spezialbericht „Migrations- und Gleichstellungskennzahlen im AMS“, der die Situation von Personen ohne österreichische Staatsbürger_innenschaft, Personen mit Migrationshintergrund (der 1. Generation) und Personen mit positiver Asylberechtigung und subsidiären Schutz beleuchtet.

Sichtbarkeit von asylberechtigten/subsidiär schutzberechtigten Frauen und Frauen mit Migrationshintergrund

Integrative Maßnahmen sollten immer einen Gleichstellungsfokus beinhalten, nachdem nachweislich die Beteiligung von Frauen mit Migrationsgeschichte am Arbeitsmarkt langfristig positive Effekte, sowohl auf sie selbst, als auch das gesamte Familienumfeld haben. Gerade Frauen, welche aus einem anderen Land nach Österreich gekommen sind und hier leben und arbeiten, sind aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft häufig mehrfachen Diskriminierungen ausgesetzt. Deshalb ist es wichtig, den Gleichstellungsblick zu schärfen, welche unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig von der Migrationsgeschichte und dem Geschlecht am Arbeitsmarkt vorhanden sind und zu überprüfen inwieweit AMS Angebote und Förderungen die einzelnen Zielgruppen erreichen. Wichtig war daher auch die Unterscheidung in „Personen mit Migrationshintergrund“ und in „asyl- und subsidiär schutzberechtigte Personen“. Bei Personen mit Migrationshintergrund wird zwischen zwei Generationen unterschieden: Personen, die eine andere Staatsbürger_innenschaft als die österreichische haben oder in der Vergangenheit hatten (erste Generation) und Personen, die bei Personen mit Migrationshintergrund der ersten Generation als Kinder mitversichert sind bzw. waren (zweite Generation). Das Personenmerkmal „Migrationshintergrund“ wird beim AMS erst seit 2007 statistisch erfasst und ist somit in den Daten untererfasst. Daher und aufgrund der Vermeidung einer Etikettierung über Generationen hinweg wird im Bericht nur auf die erste Generation eingegangen.

Beschäftigung und Erwerbsarbeitslosigkeit

2015 waren 328.729 Frauen und 424.249 Männer mit Migrationshintergrund unselbständig beschäftigt. Der Anteil der Frauen mit Migrationshintergrund lag mit 43,7% deutlich unter dem Frauenanteil ohne Migrationshintergrund (47,7%). Interessant ist auch der Blick darauf, wie viele der in Österreich unselbständig Beschäftigten einen Migrationshintergrund haben:  So hat jede fünfte unselbständig beschäftigte Frau hat einen Migrationshintergrund und unterliegt dem Risiko einer Mehrfachdiskriminierung.

Personen mit Migrationshintergrund sind wesentlich stärker von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen: 2015 lag die Erwerbsarbeitslosenquote von Frauen mit Migrationshintergrund bei 15% – bei Frauen ohne Migrationshintergrund hingegen nur bei 6,4%. Auch bei den Männern gab es deutliche Unterschiede: Männer mit Migrationshintergrund sind doppelt so häufig von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen (16,1%), als Männer ohne Migrationshintergrund (7,8%).

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: AMS

Bei den Asyl- und Subsidiär Schutzberechtigten stehen dem AMS keine Daten über die Beschäftigung zur Verfügung, daher kann auch keine Aussage über die Erwerbsarbeitslosenquote getroffen werden. Im Monatsdurchschnitt waren 2015 3.172 Frauen und 9.183 Männer mit einem positiven Asylbescheid beim AMS als arbeitslos vorgemerkt. Der Frauenanteil lag bei anerkannten Flüchtlingen nach der Genfer Konvention bei 27,6%, bei den subsidiär Schutzberechtigten bei 17,8%. Insgesamt machten asylberechtigte Frauen 2015 nur 2,1% des Gesamtarbeitslosenbestands des AMS aus, bei den Männern waren es 4,5%.

Faktor Bildung und Migration

Ein Grund für die höhere Erwerbsarbeitslosenquote bei Personen mit Migrationshintergrund ist die im Schnitt niedrigere Bildungsstruktur, dennoch kann man eine gewisse Bipolarität zwischen sehr niedrigen und sehr hohen Qualifikationen feststellen: So hatten 2/3 der beim AMS vorgemerkten Personen mit Migrationshintergrund keine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung. Am höchsten war der Pflichtschulanteil allerdings bei den Asyl- und Subsidiär Schutzberechtigten mit 84%. Im Vergleich dazu besaßen nur 47,4% der beim AMS vorgemerkten Frauen und 33,7% der Männer ohne Migrationshintergrund einen Pflichtschulabschluss. Ein Grund für den hohen Pflichtschulanteil, könnte sein, dass Ausbildungen aus dem Herkunftsland in Österreich nicht anerkannt werden oder die Personen mit vielen Barrieren bei der Anerkennung konfrontiert sind und es deshalb gar nicht erst zur Anerkennung kommt.

Ein zweiter Grund wird durch die deutliche Lücke bei den Lehrausbildungen bei beiden Gruppen sichtbar:  Dies könnte daran liegen, dass das duale Ausbildungssystem vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitet ist. Die überbetriebliche Lehrausbildung kann einer dieser Hebel sein, das Ausbildungsniveau auf einen formalen Lehrabschluss zu erhöhen.

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Quelle: AMS

Trotz des hohen Pflichtschulanteils, war der Frauenanteil bei den AkademikerInnen bei Frauen mit Migrationshintergrund um 2,6 Prozentpunkte höher bei den Männern. Auch bei den Asyl- und Subsidiär Schutzberechtigten lag der Akademikerinnenanteil mit 4% leicht über dem Akademikeranteil (3,6%).

Faktor Gender Gap bei den passiven Leistungen des AMS

Bei der Höhe des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Männer kommen einerseits aus besser entlohnten Bereichen und andererseits sind sie auch weitaus weniger häufig teilzeitbeschäftigt. Der Gender Gap beim Erwerbseinkommen bildet sich somit auch bei den passiven Leistungen des AMS ab. Bei Betrachtung der Dimensionen Geschlecht und Migrationshintergrund lassen sich drei Dinge feststellen: Erstens erhalten Frauen und Männer mit Migrationshintergrund niedrigere passiven Leistungen (Arbeitslosengeld und Notstandshilfe zusammen gerechnet) als Personen ohne Migrationshintergrund, was daran liegt, dass Personen ohne Migrationshintergrund ein höheres Einkommen haben.

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Quelle: AMS

Zweitens zeigt sich, dass der Gender Gap bei Personen mit Migrationshintergrund mit 17% nochmals größer ist als bei Personen ohne Migrationshintergrund (15,1%). Die Mehrfachdiskriminierung am Arbeitsmarkt aufgrund des Geschlechts und der Herkunft wird hierbei deutlich sichtbar.

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Drittens wird deutlich, dass die Diskriminierung aufgrund des Geschlecht sich stärker auswirkt als die Herkunft: Frauen mit UND ohne Migrationshintergrund verdienen weniger als Männer unabhängig von der Herkunft, d.h. sie bekommen niedrigere Leistungen als Männer sowohl ohne als auch mit Migrationshintergrund.

Förderungen nach Geschlecht und Herkunft

Das Fördersystem des AMS verfolgt das Ziel Benachteiligungen am Arbeitsmarkt von Frauen durch verstärkten Zugang zu Förderungen auszugleichen. Dieser Mechanismus wird auch bei Frauen mit Migrationshintergrund sichtbar. Die Förderquote von Frauen mit Migrationshintergrund betrug 41,4% (Frauen gesamt 37,9%), jene der Männer mit Migrationshintergrund lag bei 32,3% (Männer gesamt 29,8%). Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wirken damit zum Teil antidiskriminierend und ausgleichend.  Allerdings wurde auch hier – aufgrund der etwas niedrigeren Anzahl vorgemerkter Frauen bzw. aufgrund günstigerer Förderinstrumente – das Frauenförderbudget-Ziel von 50% mit 46,9% nicht erreicht.

2015 erhielten insgesamt 5.199 Frauen und 14.794 Männer mit einem positiven Asylstatus eine Förderung des AMS. Der Frauenanteil betrug 26% und ist damit vergleichbar mit ihrem Anteil an den beim AMS vorgemerkten asyl- und subsidiär schutzberechtigen Personen.

Der Besuch von Deutschkursen ist ein wesentlicher Bestandteil auf dem Weg zur Partizipation von Asyl- und Subsidiär Schutzberechtigten am österreichischen Arbeitsmarkt. Im Jahr 2015 besuchten 2.301 asylberechtigte Frauen und 7.571 asylberechtigte Männer einen Deutschkurs. Der Frauenanteil war in den Deutschkursen im Vergleich zu ihrem Anteil an beim AMS vorgemerkten asyl- und subsidiär schutzberechtigen Frauen unterdurchschnittlich (23,3%).

Pilotprojekt Kompetenzcheck

Das AMS führte 2015 in den Bundesländern Wien und Niederösterreich erstmalig Kompetenzchecks für in Österreich neu ankommende Personen durch. Der Kompetenzcheck ermöglicht eine Standortbestimmung der Potenziale, Stärken und Fähigkeiten in den drei Kompetenzfeldern fachliche, persönliche und soziale Kompetenz. Arbeitserprobungen unterstützen bei der Einordnung und Validierung der genannten Kompetenzen und Fertigkeiten. Seit 2016 gibt es dieses Angebot bundesweit. Der Frauenanteil lag seit dem bundesweiten Ausbau bei 18,6%. Das entspricht dem Frauenanteil bei den Neuzuerkennungen des Jahres 2015. Im Vorjahr ist der Frauenanteil bei den geflüchteten Personen gesunken, weshalb es hier besonderer Anstrengungen bedarf, diese Gruppe von Frauen zu unterstützen.

Fazit

Das Arbeitsmarktservice spielt eine zentrale Rolle bei der Unterstützung der Teilhabe von Personen mit Migrationsgeschichte am Arbeitsmarkt, denn in den meisten Fällen ist das AMS die Erstinformationsstelle hinsichtlich der Möglichkeiten am Arbeitsmarkt. Das AMS setzt Förderungen für diese benachteiligten Gruppen zwar verstärkt ein, doch in Anbetracht der niedrigeren Bildungsstruktur von Personen mit Migrationshintergrund und Asylberechtigten/subsidiär Schutzberechtigten wird weiterhin ein sehr hoher Qualifizierungsbedarf sichtbar. Der „Kompetenzcheck“, der seit 2016 bundesweit eingeführt wurde, ist eines jener Instrumente, um in Österreich angekommene Personen für die berufliche Laufbahn vorzubereiten und ihre Kompetenzen einzuschätzen. Neben dem Kompetenzcheck besteht ein großer Teil der Weiterbildungen aus Deutschkursen, die zentral für die Teilhabe der Personen mit Migrationsgeschichte sind. Trotzdem bedarf es einer genaueren Analyse, welche Angebote abseits von den Deutschkursen und der Kompetenzerhebung die Qualifizierung fördern. Darüber hinaus wäre es notwendig, die fachliche Kompetenzprüfung der Nostrifizierungsverfahren von den Sprachkenntnissen zu trennen, um Nostrifizierungsverfahren schneller abschließen zu können und damit der Dequalifizierung in Österreich entgegenzuwirken. Mithilfe einer schnelleren Anerkennung wäre auch die Existenzsicherung in dieser Zeit leichter zu gewährleisten und Personen werden nicht unter ihrer eigentlichen Qualifikation vermittelt.

Beim arbeitsmarktpolitischen Frauenprogramm des AMS ist eine etwas niedrigere Beteiligung von Frauen mit Migrationsgeschichte zu beobachten im Vergleich zu ihrem Anteil an den von Arbeitslosigkeit betroffenen Frauen. Hier gibt es noch Aufholbedarf. Da beide Gruppen einen geringen Anteil an Lehrausbildungen aufweisen, ist die Teilnahme an den überbetrieblichen Lehrausbildungen besonders für jene Personen mit fachlichen Vorerfahrungen und für junge Menschen eine gute Möglichkeit der beruflichen Ausbildung. Hier braucht es neben der überbetrieblichen Lehrausbildung einen verstärkten Einsatz von „Kompetenz mit System“, dem „Fachkräftestipendium“ und eine intensivere Kooperation mit Unternehmen.

Obwohl der Frauenanteil bei den kürzlich nach Österreich gekommenen Personen eher niedrig ist, bedarf es spezieller Angebote, um diese Frauen in ihrer ökonomischen Unabhängigkeit und Berufslaufbahn zu stärken. Dazu gehört, dass – auch wenn wenige Frauen in einzelnen Bundesländern vorgemerkt sind – spezifische Beratungsangebote vorhanden sind. Insgesamt bemüht sich das AMS, Frauen zu stärken und ihnen einen Raum für Austausch zu bieten, wie z. B. in frauenspezifischen Kompetenzchecks wie in Wien. Viele der geflüchteten Frauen bringen hohe Ausbildungsabschlüsse mit; diese in adäquate berufliche Positionen zu bringen, muss eines der Ziele des AMS sein. Die Beteiligung von Frauen mit und ohne Migrationsgeschichte am Arbeitsmarkt bietet langfristig positive Effekte, daher bietet hier das AMS maßgeschneiderte Angebote.