Einst war Österreich spitze bei der Familienförderung, jetzt ist es dabei den Anschluss an die internationale Entwicklung zu verlieren. Um das zu verhindern helfen weder Geldleistungen und erst recht nicht Steuervorteile für Familien, sondern einzig und allein mehr und bessere Kinderbetreuung und Elementarbildung.
Wer die aktuelle Diskussion rund um die Steuerreform verfolgt, bekommt jedoch ein anderes Bild vermittelt. Hier scheint es, als wäre eine Steuerentlastung die dringendste Maßnahme für Familien. Es stimmt zwar, dass vor allem für Familien mit niedrigem Einkommen das Leben ganz schön schwierig geworden ist, weil die Lebenshaltungskosten deutlich stärker steigen als die Löhne. Blöderweise hilft aber der Vorschlag zur Entlastung der Familien, eine Vervielfachung des Kinderfreibetrages, gerade den ärmeren Familien nicht – und den SpitzenverdienerInnen am meisten.
Freibeträge sind eine Umverteilung nach oben hin. Je höher das Einkommen, desto größer der Vorteil daraus. Zudem verschlingen sie viel Geld: Derzeit stehen Kosten von 1,1 Mrd. im Raum. Zum Vergleich: Die Gesamtausgaben für die Kinderbetreuung in Österreich belaufen sich auf knapp zwei Milliarden. Anders gesagt: Mit den Kosten für den Freibetrag könnte man das Angebot an Kinderbetreuung um mehr als die Hälfte erhöhen. Dort wäre das Geld sehr viel besser verwendet, wie ein Blick über die Grenzen zeigt – denn Österreich liegt in diesem Bereich schwer im Hintertreffen.
Österreich im Hintertreffen
Die Zeiten, wo sich Österreich als Spitzenreiter in der Familienförderung rühmen durfte, sind vorbei. 1980 lag die kleine Republik im OECD-Vergleich bei den Familien-Ausgaben auf Platz 2 (in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt; BIP), mittlerweile ist sie auf Platz 12 (2009) zurückgefallen. Der ungenügende Ausbau der Sachleistungen ist der Grund dafür, und nicht zu wenig Geldleistungen.
Bei der Kinderbetreuung hat Österreich nämlich schlicht den Anschluss verloren, was sich im Ranking deutlich zeigt: 1980 konnte es bei den Ausgaben für Kinderbetreuung noch Platz 7 besetzen, bis 2008 rasselte es jedoch auf Platz 25 hinunter. Was ist da passiert?
Zwar haben sich die Ausgaben für Kinderbetreuung gemessen am BIP seit 1980 verdoppelt. Das klingt gut, aber andere Länder waren noch wesentlich offensiver: So stiegen die Ausgaben in Frankreich um das 6-fache, in Italien und Irland um das 8-fache, in Spanien um das 9-fache und in Belgien gar um das 10-fache. Alle diese Länder lagen 1980 noch hinter Österreich. Was sich jedoch dort herumgesprochen haben dürfte, ist, dass Kinderbetreuung nicht nur essentiell für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist, sondern auch für die frühe Bildung und damit von elementarer Bedeutung für die Chancengleichheit der Kinder. Deswegen ist in fast allen Ländern auch das Bildungsministerium für die Kinderbetreuungs-Agenden verantwortlich. In Österreich sind noch immer die Länder zuständig, womit neun verschiedene Systeme bestehen. Man hat also in der Kinderbetreuung hierzulande den Anschluss an die internationale Entwicklung verloren.
Diese grundlegenden Probleme werden sich nicht mit ein paar Euros mehr für die Familien lösen lassen. Es braucht vielmehr eine dauerhafte Ausbau- und Qualitätsoffensive in der Kinderbetreuung und –bildung. Das macht auch aus budgetärer und beschäftigungspolitischer Perspektive Sinn: Bis zu 45.000 Personen könnten in Beschäftigung kommen, wenn die akuten Lücken in der Kinderbetreuung geschlossen würden, wie eine AK-Modellrechnung zeigt. Die dadurch generierten Rückflüsse würden die Kosten mittelfristig selbst bei schlechter wirtschaftlicher Entwicklung neutralisieren, im günstigeren Fall würden sogar deutliche Überschüsse erzielt.
Baustellen: Kleinkindbetreuung, Öffnungszeiten, Qualität
Es gibt drei große Baustellen in der Kinderbetreuung. Der erste Brennpunkt ist das Angebot für Kleinkinder. Bereits 2002 hat sich Österreich im Rahmen der so genannten Barcelona‑Ziele dazu verpflichtet, für ein Drittel der Unter-3-Jährigen Betreuungsplätze zu schaffen. Zeithorizont war damals 2010. Vier Jahre danach ist dieses Ziel noch immer nicht erreicht. Österreichweit haben auch unter Einrechnung der Tageseltern gerade einmal 25 % der Kleinkinder einen Betreuungsplatz, wie die Kindertagesheimstatistik zeigt. Das verdeckt allerdings die himmelweiten Unterschiede zwischen den Bundesländern. Während Wien mit 40 % die Marke schon deutlich überschritten hat und Burgenland mit 33 % eine Punktlandung macht, haben Oberösterreich (14%) und die Steiermark (17%) noch einen weiten Weg vor sich.
Auch die im internationalen Vergleich lange Karenzdauer ist kein stichhaltiges Argument, denn die arbeitsrechtliche Karenz endet mit dem 2. Geburtstag des Kindes. Wer später einsteigt verliert das Anrecht, in den alten Job zurückzukehren. Für viele Frauen ist das ein nicht zu lösendes Problem, denn für nicht einmal die Hälfte aller 2-Jährigen steht ein Krippenplatz zur Verfügung und auch die Tageseltern ändern kaum etwas an dieser Situation .
Mit dem Kindergartenalter wird es zumindest sehr viel leichter einen Platz zu finden: Fast 96 % der Kinder einen . Was aber noch lange nicht heißt, dass damit Familie und Beruf vereinbar sind. Fehlende Nachmittagsbetreuung, lange Ferienschließzeiten und sogar Mittagssperren machen es für Eltern schwer bis unmöglich, trotz Betreuungspflichten arbeiten zu gehen. Nur ein gutes Drittel der Kindergartenplätze ist auch mit einer Vollzeitbeschäftigung vereinbar.
Und nicht zuletzt mangelt es an der pädagogischen Qualität. Österreich hat im internationalen Vergleich große Gruppen und zu viele Kinder pro Betreuungsperson. In der EU ist es das einzige Land, in dem die PädagogInnen nicht an der Uni ausgebildet werden und für das mithelfende Personal gibt es nur in fünf Bundesländern Ausbildungsstandards – und die sind höchst unterschiedlich. Bundesweite Qualitätsstandards, eine stärkere Anbindung der Ausbildung an die aktuelle Forschung sowie einheitliche Bildungsstandards für die unterstützenden Fachkräfte sind dringend von Nöten.
Kinderfreibetrag verfehlt Ziel
Die Regierung ist nicht tatenlos. Immerhin wurden 350 Millionen Euro für den Ausbau und die Verbesserung der Kinderbetreuung und –bildung bis 2017 zur Verfügung gestellt – durchschnittlich knapp 88 Millionen Euro pro Jahr. Ein guter und wichtiger Schritt, aber diese Mittel dienen ‘nur’ der Anstoßfinanzierung. Es wird zusätzlich Geld brauchen, damit die Gemeinden die laufenden Kosten abdecken können. Die anvisierten 1,1 Milliarden Euro für den Kinderfreibetrag wären dort viel besser eingesetzt. Außerdem ist der Freibetrag aus verteilungs- und genderpolitischer Perspektive problematisch. Er entlastet nämlich auf Grund der Steuerprogression höhere Einkommen viel stärker als niedrige. Geringe Einkommen mit weniger als ca. 1.200 Euro Monatsbrutto gehen überhaupt leer aus – 60 Prozent davon sind Frauen.
Auch den Alleinerziehenden hilft ein Freibetrag kaum: Sie haben mit 27 Prozent eine fast doppelt so hohe Armutsgefährdung wie der Durchschnitt. Gerade diese von Armut Betroffenen würden nicht vom Kinderfreibetrag profitieren.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass den Familien mit dem Kinderfreibetrag nicht wirklich geholfen wurde. Eigentlich sollten sie im Ausmaß von 165 Millionen Euro entlastet werden, tatsächlich wurden im Jahr 2012 aber nur 68 Millionen Euro ausgeschöpft. Damit konnte der Freibetrag nicht einmal für die Hälfte aller potenziell anspruchsberechtigten Kinder in Anspruch genommen werden (Parlamentarische Anfragebeantwortung 22/AB vom 14.01.2014 zu 19/J XXV.GP).
Zukunft für Familien durch Sachleistungen und Kostenentlastung
Noch einmal, weil es so wichtig ist: Österreich braucht eine dauerhafte Ausbau- und Qualitätsoffensive in der Kinderbetreuung und –bildung. Die neuen Bundesmittel sind gut und richtig, aber zu wenig. So würden allein zwei Drittel der Mittel verbraucht, wenn nur für die 2-Jährigen genug Betreuungsplätze geschaffen würden, damit die erwerbstätigen Mütter nach der Karenz wieder in den Job einsteigen könnten.
Außerdem sind dringend bessere Öffnungszeiten an den Nachmittagen und in den Ferien von Nöten. Um aus den Kinderbetreuungs- echte elementare Bildungseinrichtungen zu machen braucht es zudem mehr Personal, kleinere Gruppen und niedrigere Betreuungsschlüssel (Verhältnis Betreuungspersonen zu Zahl der Kinder).
All das kostet Geld. Um die bestehende Dynamik in Gang zu halten und weiter zu beschleunigen werden auch in Zukunft Bundesmittel nötig sein, aber es braucht auch eine nachhaltige Finanzierung auf Gemeindeebene durch einen Einstieg in aufgabenorientierten Finanzausgleich. Zusätzliche Mittel könnten dort wesentlich besser Verwendung finden als in der Steuerreform und damit Vieles bewirken. Bessere Vereinbarkeit für die Eltern, mehr Chancengleichheit für Kinder, mehr Beschäftigung und höhere Staatseinnahmen – das sollten genug Argumente sein.