Die Europäische Kommission will um jeden Preis privilegierte Investitionsschutzbestimmungen und Investor-Staat-Streitverfahren (ISDS) auch im Handels- und Investitionsabkommen mit den USA (TTIP) verhandeln. Daher hat sie das neue Modell „ICS“ vorgelegt. Soll mit einem neuen Kürzel das in Misskredit geratene ISDS neu legitimiert werden? Oder ist es ein strategisches Ablenkungsmanöver?
Die Zivilgesellschaft kann wohl einen großen (Zwischen-)Erfolg für sich verbuchen: Das althergebrachte Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) ist nicht mehr akzeptabel. Die breite Öffentlichkeit weiß, dass es den rechtsstaatlichen Prinzipien wie Transparenz, Unabhängigkeit der SchiedsrichterInnen und Berufungsmöglichkeit nicht gerecht wird. Daher hat die Europäische Kommission reagieren müssen und einen neuen Vorschlag vorgelegt, den sie nun mit den USA verhandeln will.
Das Internationale Investitionsgerichtssystem (ICS)
Die Kommission ist in ihrem Vorschlag zu einem Investitionsgerichtssystem (Investment Court System = ICS) auf wesentliche Kritikpunkte an der gängigen Praxis der privaten Ad-hoc-Schiedsgerichte im ISDS eingegangen. Ein ständiges Investitionsgericht mit PräsidentIn, VizepräsidentIn und 21 RichterInnen bzw. JuristInnen (paritätisch besetzt von USA, EU und Drittstaaten) und Berufungsinstanz soll eingerichtet werden. In Streitfällen wird dann ein ad hoc Tribunal mit drei SchiedsrichterInnen ernannt. Gegen deren Schiedsurteil kann dann auch berufen werden. Die für das Schiedsgericht maximal zwölf Jahre fix nominierten RichterInnen haben Qualifikationsanforderungen zu erfüllen. Ein Verhaltenskodex untersagt parallele anwaltliche Tätigkeiten. Auch Transparenzregeln (u.a. öffentliche Verfahren), klare Zeitabläufe und die Rechte Dritter als Partei verbessern das Schiedsverfahren.
Dennoch, schwerwiegende Kritikpunkte wie Interessenskollisionen von SchiedsrichterInnen, enorm hohe Streitwerte sowie Zweiklassen-Justiz und Sondergerichtsbarkeit, die durch die Investor-Staat-Streitschlichtung geschaffen wird, werden nicht angegangen. Nach wie vor richten sich die Tagessätze und der Spesenersatz der SchiedsrichterInnen nach dem Streitwert, was zu einem materiellen Interesse an hohen Schadenersatzforderungen führt. Schon allein das einseitige Investorenklagerecht bewirkt einen Bias bei den SchiedsrichterInnen, im Interesse der Investoren zu handeln, um Streitfälle attraktiv zu machen. Darüber hinaus ist eine Amtsenthebung nicht vorgesehen, womit der Verhaltenskodex zahnlos wird. Die von den RichterInnen zu erfüllenden Qualifikationsanforderungen sind so gestaltet, dass wiederum nur jene ExpertInnen in Frage kommen, die bereits heute in den privaten Ad-hoc-Schiedsgerichten tätig sind. Daher ist die Unabhängigkeit der SchiedsrichterInnen nach wie vor zu hinterfragen.
Keine Entwarnung: Investitionsschutzregime gefährden Demokratie und öffentliches Interesse
Grundsätzlich bleibt die Kernkritik am Investitionsschutzregime – trotzt neuem Schiedsverfahren – unberührt: Ausländische Investoren können mit den Sonderklagerechten nationale Gerichte umgehen und Staaten direkt klagen, was andere in der Gesellschaft nicht können (Zwei-Klassen-Justiz). US-amerikanische Investoren sollen bessergestellt werden als inländische Unternehmen. Diese können bei sogenannter „indirekter Enteignung“ keine Schadensersatzklagen auch für entgangene künftige Gewinne erstreiten. Auch sind die SchiedsrichterInnen nicht dem öffentlichen Interesse verpflichtet, sondern haben nur die Bestimmungen des Abkommens auszulegen, die ausschließlich dem Investorenschutz, nicht aber dem Schutz des Gemeinwohls oder der Menschenrechte dienen.
Das staatliche Regulierungsrecht ist keineswegs abgesichert. Denn auch wenn sensible Bereiche wie Gesundheit, Soziales, Umwelt- und KonsumentInnenschutz als Allgemeinwohlinteressen angesprochen werden, stehen Regulierungsmaßnahmen nach wie vor im Spannungsverhältnis zwischen Allgemeinwohlinteressen und wirtschaftlichen Eigeninteressen der ausländischen Investoren. Die Schiedsgerichte prüfen von Fall zu Fall, ob neue Gesetze und sonstige Regulierungen, die die Profiterwartungen von ausländischen Unternehmen schmälern, im legitimen Interesse der Allgemeinheit und notwendig sind und ob diese auch verhältnismäßig umgesetzt werden. Der Staat hat die Beweislast. Und selbst wenn die Maßnahme als legitim, verhältnismäßig und notwendig erachtet wird, kann das Schiedsgericht Entschädigungsansprüche festlegen, weil die Erwartungen des Investors frustriert wurden.
Kommission nimmt Verhandlungen zu Investitionsschutz und ISDS bzw. ICS in TTIP wieder auf
Die Kommission übt Zeitdruck aus, um die breite Widerstandsbewegung gegen ISDS in TTIP mundtot zu machen und will ihre Pläne ohne weitere öffentliche Debatte durchziehen. Kritische Stimmen waren nur unmittelbar nach der Präsentation des Kommissionsvorschlages Mitte September zu hören. Aber vieles spricht dafür, dass die USA das ICS-Modell erst gar nicht ernsthaft verhandeln will. Die US-Handelskammer hat ICS schlicht als indiskutabel abgetan und U.S.-Chefverhandler Froman spricht sich gegen eine Berufungsmöglichkeit aus. Da die USA – schon gut ein Dutzend Mal verklagt – noch nie gegenüber einem Investor ein Schiedsverfahren verloren hat, fragt Froman: „why you would want to give companies a second bite of the apple?“! Die Reformideen der Kommission werden wahrscheinlich die Verhandlungen nicht überleben.
Die Kommission will mit neuen Vorschlägen wie „ICS“ den KritikerInnen nur „Sand in die Augen streuen“. Doch diese lassen sich nicht täuschen: Nach wie vor sollen sich die Staaten dazu verpflichten, hohe Schadensersatzzahlungen zu leisten, wenn sich ausländische Investoren durch neue Regulierungen ungerecht behandelt sehen. Das selbstverständliche Regulierungsrecht von Staaten kann ungemindert durch Klagen bedroht und auch ausgehöhlt werden. Daher lehnt die Zivilgesellschaft nach wie vor Investitionsschutz und damit auch Investor-Staatstreitverfahren ab.