Innovation ist das unübertroffene Modewort in wirtschaftspolitischen Debatten. Der ehemalige Chef des WIFO, Karl Aiginger wurde nicht müde, unter diesem Schlagwort Investitionen in Forschung und Bildung einzufordern, und auch der nicht mehr ganz neue Bundeskanzler Christian Kern setzt auf dieses Schlagwort. Wie schon Aiginger betont er die grundsätzliche Verantwortung des Staates nicht nur Forschungsfinanzierung und Investitionsanreize bereitzustellen, sondern selbst Risiko zu übernehmen und die Entwicklungsrichtung zu gestalten. Damit beruft er sich auf neue Erkenntnisse der Ökonomin Mariana Mazzucato, lehnt sich aber auch am aktuellen Diskurs um eine Renaissance der Industriepolitik an.
Zwei Zugänge
Was ist Innovation? Aus ökonomischer Sicht geht es hier um die Realisierung einer neuartigen, fortschrittlichen Lösung für ein bestimmtes Problem, insbesondere die Einführung eines neuen Produkts. Die Entwicklung neuer Produkte soll für Wachstum und damit nachhaltige Beschäftigung sorgen, innovative Wirtschaftsräume gelten zudem als besonders wettbewerbsfähig, allen voran das US-amerikanische Silicon Valley.
Aber woher kommen diese Innovationen? Im standardökonomischen Ansatz, der heute noch in Managementseminaren, aber auch an Hochschulen gelehrt wird, sind sie das wundersame Resultat des Zusammenspiels von Risikokapital, Konsum und Marktkräften. EntrepreneurInnen erkennen Probleme, kombinieren existierende oder entwickeln neue Technologien und bieten Lösungen oder versorgen uns mit noch nie dagewesen Konsumgütern.
Der Privatsektor ist in dieser Sichtweise nicht nur imstande, Neuerungen hervorzubringen, sondern auch den Innovationsprozess in die richtige Richtung zu lenken. In der besonders dogmatischen Auslegung gilt der Staat sogar als ein Übel, das “gute” Forschung verdrängt. Immerhin sind die Erträge aus staatlichen Forschungsprogrammen vernachlässigbar klein, vor allem wenn sie mit den Entwicklungen wie im Silicon Valley verglichen werden.
In ihrem im Vorjahr auf Deutsch erschienenen Buch „Das Kapital des Staates“ setzt die US-Ökonomin Mariana Mazzucato diesem Ansatz die historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts entgegen. Sie zeigt, dass nahezu alle großen technologischen Revolutionen ohne staatliche Investitionen erst gar nicht möglich gewesen wären. Bahnbrechende Erfindungen, etwa das Internet, GPS, Halbleiter oder der Touchscreen sind allesamt Resultat staatlich finanzierter Forschung. Die Apples und Googles dieser Welt sind Unternehmen, die die Ergebnisse jahrzehntelanger staatlich finanzierter Grundlagenforschung zur Marktreife entwickeln konnten. Hätten öffentliche Einrichtungen und Fonds sie nicht zu ihrer Mission erklärt und investiert, wäre die IT-Revolution nicht möglich gewesen.
Eine ähnliche Herausforderung ist aktuell der Umstieg auf erneuerbare Energien. Auch in diesem Bereich gelten Staaten mit ihren Institutionen als Innovationsführer und fördern Projekte, auf denen in Zukunft zahlreiche weitere aufbauen werden – auch privatwirtschaftliche. So können heute Windparks entstehen, weil bereits vor Jahrzehnten staatliche Mittel in die Entwicklung entsprechender Turbinen geflossen sind und der Strommarkt speziell reguliert ist.
Neue Ideen
Mazzucato räumt auch mit der herrschenden ökonomischen Meinung auf, dass sich die Rolle des Staates auf die Bereinigung von Marktversagen beschränken solle. Dieser Sicht zufolge sorgt der Staat nur für die Bedingungen, die Innovationen ermöglichen. Somit wird dem Staat eine passive Rolle als bloßer Unterstützer zugeschrieben. Dabei wird aber missachtet, dass der Staat vor allem auch als Risikoträger auftritt, so Mazzucato. Denn Staaten sind dazu in der Lage und bereit, Risiken zu tragen, welche privatwirtschaftliche Unternehmen nicht eingehen. Dies bezieht sich vor allem auf Projekte, die von großer Unsicherheit geprägt sind, bei denen nicht abschätzbar ist, ob sie jemals in marktreife Produkte münden werden, geschweige denn wann.
Sind derartige staatliche finanzierte oder geförderte Investitionen allerdings erfolgreich, sollten die daraus erzielten Gewinne nicht leichtfertig den privaten Unternehmen überlassen werden, welche die Innovation umsetzen. Ganz im Gegenteil, der Staat soll aktiv den Innovationsprozess fördern, lenken und folglich auch an den Gewinnen beteiligt sein. Damit geht es auch darum, die Begriffe im Diskurs um staatliche Investitionen mit neuen Inhalten zu besetzen.
Heterodoxer Hintergrund
Mazzucato erhielt ihr PhD an der in heterodoxen Kreisen einschlägigen aber auch abseits der Heterodoxie anerkannten New Yorker „New School for Social Research“ und ist Teil des Institute for New Economic Thinking, das sich der Förderung alternativer Ansätze verschrieben hat.
Theoretisch basieren ihre Ideen auf einer Verknüpfung der Arbeiten von Josef Alois Schumpeter zum UnternehmerInnentum mit den dynamischen Konzeptionen nach John Maynard Keynes. Schumpeter sah die Funktion ökonomischen Wettbewerbs nicht bloß in der Herausbildung einheitlicher Preise, sondern stellte die dynamische Wirkung auf technologische und soziale Entwicklung in den Vordergrund. Die post-keynesianische Theorieschule betont die Bedeutung eines umfassenden und aktiv eingreifenden öffentlichen Sektors für die wirtschaftliche Stabilität. Das erklärt auch die klare Abgrenzung zur ökonomischen Orthodoxie. Beide Theoriestränge werden heute dem Gebiet der sogenannten Heterodoxen Ökonomie zugeordnet, die – wie u.a. die Gesellschaft für Plurale Ökonomik häufig kritisiert – um akademische Anerkennung und in der Folge auch um Forschungsgelder und bezahlte Forschungsstellen ringen muss.
Das zeigt, dass die Verantwortung des Staates bei Produkt-Innovationen nicht endet. Mittel- bis langfristig müssen alternative, kritische und progressive Ansätze zur Wirtschaftswissenschaft gefördert werden, damit derartige wirtschaftspolitische Erkenntnisse gewonnen werden können, aber auch die ihnen zustehende Beachtung finden.
Die Gesellschaft für Plurale Ökonomik freut sich Mariana Mazzucato und Christian Kern am 18. November an der Wirtschaftsuniversität Wien zu begrüßen.