Mit dem Fiskalpakt hat die EU wesentliche Forderungen der ideologischen Hauptgegner des Europäischen Sozialmodells, der „Schule von Chicago“, übernommen. Erstens: Der Pakt bindet die Fiskalpolitik noch enger an Regeln. Zweitens: Die Europäische Kommission (EK) schätzt das „strukturelle Defizit“ mit Hilfe des Konzepts der „natürlichen Arbeitslosenrate“ – sie ist jene, die nötig sei, damit sich der Lohnanstieg nicht erhöht (NAWRU). Drittens: Es wird unterstellt, dass Sparpolitik keine negativen Folgen für Produktion und Beschäftigung hat. Viertens: Das Staatsdefizit soll durch „Strukturreformen“ verringert werden – eine Umschreibung für den weiteren Abbau des Sozialstaats und des Arbeitnehmerschutzes.
Das Regelwerk und seine Anwendung
Der Fiskalpakt ist eine Hauptkomponente jener „Navigationskarte“, welche Wirtschaft und Gesellschaft in Europa immer tiefer in eine Systemkrise führte. Er macht eine nachhaltige Stabilisierung der Staatsfinanzen unmöglich. Dies ergibt sich nicht aus dem – richtigen – Ziel, die Staatsverschuldung einzudämmen, sondern aus dem Weg, auf dem dieses Ziel erreicht werden soll. Dieser Weg wird durch zwei Regeln festgelegt:
Jeder Vertragsstaat darf nur mehr ein strukturelles (konjunkturbereinigtes) Defizit von maximal 0,5% des BIP aufweisen (Defizitregel).
Jedes Jahr muss die Staatsschuld um ein Zwanzigstel der Differenz zwischen der aktuellen Schuldenquote und dem Zielwert von 60% reduziert werden (Schuldenregel).
Der strukturelle Budgetsaldo ergibt sich aus dem tatsächlichen Saldo nach Abzug der Konjunkturkomponente, also jenem Teil des Saldos, der durch die Abweichung des realisierten BIP vom Potentialoutput (PO) verursacht ist (zusätzlich werden auch Einmaleffekte in Abzug gebracht). Diese Differenz (in % des PO) stellt die Outputlücke dar. Die Konjunkturkomponente wird von der Europäischen Kommission (EK) auf etwa 50% der jeweiligen Outputlücke geschätzt.
Der PO wird auf Basis der Annahme geschätzt, dass Lohnsenkungen allein die Nachfrage nach Arbeit erhöhen können, weil dann Maschinen durch Arbeitskräfte ersetzt werden. Diese Annahme ist jedoch fragwürdig, da trotz mitunter drastischer Verbilligung von Arbeit relativ zu Kapital (wie Anfang der 1980er Jahre) die Kapitalausstattung je Arbeitsplatz stetig ansteigt. Dies ist der Reflex des kapitalgebundenen technischen Fortschritts und nicht der relativen Faktorpreise.
Für die Produktion verfügbar wird jene Arbeitsmenge angesehen, welche der NAWRU entspricht. Liegt die strukturelle Arbeitslosenquote etwa bei 10%, so können nur 90% der Arbeitskräfte verwendet werden. Der Logik folgend, dass jede sich verfestigende Arbeitslosigkeit strukturell bedingt sein muss, wird die NAWRU als Trend der tatsächlichen Arbeitslosenquote geschätzt.
Die Grundregel des Fiskalpakts und ihre Anwendung programmieren folgenden „Teufelskreis“, wenn ein „Schock“ (wie etwa eine Finanzkrise) eine Rezession verursachen:
Schritt 1: Das BIP schrumpft, Budgetdefizit und Arbeitslosigkeit steigen.
Schritt 2: Der gestiegene Arbeitslosigkeit wird als „natürlich“ oder „strukturell“ interpretiert, damit sinkt der Potentialoutput, die Outputlücke bleibt klein.
Schritt 3: Das durch die Rezession erlittene Defizit wird als „strukturelles“ Defizit uminterpretiert, es muss gespart werden.
Schritt 4: Die Sparpolitik dämpft das BIP > gehe zu Schritt 1.
Wie die Fiskalregeln Spanien in eine Abwärtsspirale schickten