Vor kurzem hat die Europäische Kommission ihre neue EU-Binnenmarktstrategie für die nächsten Jahre vorgestellt. Und die hat es vor allem für Beschäftigte und KonsumentInnen in sich: So wird ein Rechtsrahmen für die digitale Arbeitswelt und neue Regelungen im Bereich des VerbraucherInnenschutzes angekündigt. Den Plänen der Kommission zufolge könnte der Daseinsvorsorge-Bereich erneut unter Liberalisierungsdruck geraten. Maßnahmen, um die Nachfrage am Binnenmarkt anzukurbeln und damit für mehr Wirtschaftswachstum zu sorgen, sind in der EU-Binnenmarktstrategie leider nicht zu finden.
EU hat sich von Finanzkrise noch immer nicht erholt
Die Lage der europäischen Volkswirtschaften ist auch im achten Jahr nach Ausbruch der Finanzkrise äußerst bescheiden, in einigen Bereichen sogar nach wie vor dramatisch. Rund 120 Millionen Menschen, das ist rund ein Viertel der EU-Bevölkerung, gilt mittlerweile als armutsgefährdet. EU-weit sind 22,2 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet, das sind rund 5,5 Millionen Menschen mehr als vor der Finanzkrise. Besonders trist sieht es in der Eurozone aus: 5 der 19 Eurozonen-Länder lagen laut den Daten der EU-Kommission beim Bruttoinlandsprodukt per 2015 noch immer unter dem Niveau von 2008, weitere 4 Länder liegen in etwa auf dem BIP-Stand von 2008. Nach wie vor hinkt die EU beim Wirtschaftswachstum anderen Wirtschafträumen hinterher. Das Wirtschaftswachstum für die EU28 wurde für das Jahr 2015 mit rund 1,9% beziffert, während für die USA 2,5% und für die Weltwirtschaft 3,0% prognostiziert werden.
Keine Maßnahmen, um die Nachfrage am Binnenmarkt zu beleben
Trotz dieser katastrophalen Bilanz bei den Maßnahmen zur Überwindung der Finanzkrise, macht die Kommission nach wie vor keine Vorschläge, um für eine Belebung der Nachfrage am EU-Binnenmarkt zu sorgen. Wie bisher konzentriert sich die Kommission vor allem auf Pläne zugunsten von Unternehmen, statt die Beschäftigten in ihrer Rolle als KonsumentInnen zu stärken. Wenngleich die neue EU-Binnenmarktstrategie auch positives für ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen zu bieten hat – zumindest was die ersten Ankündigungen der Kommission angeht.
Lohn- und Sozialdumping verhindern
So kündigt die Kommission ein Arbeitskräftemobilitätspaket an: Menschen müssten sich darauf verlassen können, dass ihre Arbeitnehmerrechte nicht beschnitten werden. Daher soll die Richtlinie zur Entsendung von ArbeitnehmerInnen überarbeitet und die Sozialversicherungssysteme besser koordiniert werden. In beiden Fällen sind Maßnahmen geboten, denn oft gibt es Scheinentsendungen und die unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen für Sozialversicherungsbeiträge werden von Unternehmen zu ihrem Vorteil ausgenutzt. Beides führt zu Lohn- und Sozialdumping. Ob letztlich tatsächlich Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping getroffen werden, hängt von den konkreten Legislativvorschlägen der Kommission ab, die noch dieses Jahr veröffentlicht werden sollen. Und natürlich vom EU-Parlament und dem Rat, die als Gesetzgeber die Vorschläge in jede Richtung abändern können. Ein gesundes Maß an Skepsis ist aber angebracht, zumal die Kommission selbst schreibt, dass es ihr um mehr Arbeitskräftemobilität geht, während sie das Problem des Lohn- und Sozialdumpings nicht anspricht. Auch der Vorschlag der Kommission einen „Dienstleistungspass“ zu schaffen, der bescheinigen soll, dass DienstleisterInnen die Anforderungen im Aufnahmeland erfüllen, ist höchst problematisch. Denn ausgestellt wird dieser Pass vom Herkunftsland. Vom Pass abgedeckt wären unter anderem auch die Bestimmungen zur Entsende-Richtlinie, das heißt das Herkunftsland würde bestätigen, dass die Regeln der Entsende-Richtlinie im Aufnahmeland erfüllt werden. Eine Kontrolle der Behörden des Aufnahmelandes wäre laut Kommission damit hinfällig. Eine Überprüfung, ob eine Scheinentsendung vorliegt, wäre für das Aufnahmeland dann offensichtlich nicht möglich. Zumindest in diesem Punkt ist der Dienstleistungspass strikt abzulehnen und auch sonst ist die Idee des Passes mangels näherer Angaben der Kommission mit sehr großer Skepsis zu sehen.
Ein Rechtsrahmen für die digitale Arbeitswelt
Eine der größten Herausforderungen in der nächsten Zeit ist der digitale Wandel. Gerade für die Arbeits- und die KonsumentInnenwelt sind damit weitreichende Veränderungen verbunden. Die Kommission möchte ein klares Regelungsumfeld schaffen. Auch das ist grundsätzlich zu begrüßen, denn die ersten Erfahrungen der Beschäftigten mit der digitalen Wirtschaft fallen leider allzu oft nicht positiv aus, wie verschiedene Crowdworking-Modelle, Mikrojobs und ähnliches zeigen. Mindeststandards für die neuen Arbeitsformen müssen sichergestellt werden, um eine Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse zu verhindern. Der Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen muss erhalten bleiben. Es ist von zentraler Bedeutung, dass ArbeitnehmerInnen und ihre Interessenvertretungen in den Arbeiten zu einem Regelungsumfeld für die digitale Arbeitswelt voll eingebunden werden. Die Kommission schreibt, dass der Schutz der ArbeitnehmerInnen von Bedeutung ist, hebt aber auch hervor, dass sich „das Unternehmertum in der (so genannten) partizipativen Wirtschaft entfalten können muss“. Ob es die Kommission mit dem Schutz der Beschäftigten wirklich ernst meint oder es letztlich doch wieder nur um die Befriedigung der Wünsche aus der Wirtschaft geht, wird sich erst zeigen, wenn die entsprechenden Legislativvorschläge vorliegen. Gleiches gilt für den KonsumentInnenbereich: Auch hier müssen Regeln geschaffen werden, die dem Schutzbedürfnis der VerbraucherInnen entsprechen.
Daseinsvorsorge unter Liberalisierungsdruck
In der Kommissionsmitteilung wird auch eine Reform des Mitteilungsverfahrens im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie angekündigt. Darin enthalten ist der Plan, dass regulatorische Maßnahmen im Dienstleistungsbereich, die auf nationaler Ebene getroffen werden, der Kommission mitzuteilen sind. Die Kommission prüft dann, ob die “Eingriffe” in den freien Dienstleistungsverkehr gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. Ausdrücklich hebt die Kommission hervor, dass diese Regelung für Dienstleistungen gelten soll, die nicht vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie erfasst ist. Davon betroffen wären damit jegliche Maßnahmen im Bereich der Daseinsvorsorge. Die Kommission setzt damit Dienstleistungen der Daseinsvorsorge unter einen mittelbaren Liberalisierungsdruck was entschieden abzulehnen ist.
Vorschläge, die zu begrüßen sind
Das Kommissionspapier zur EU-Binnenmarktstrategie enthält aber auch einige Vorschläge, die klar begrüßt werden können. Zum Beispiel, wenn es darum geht, für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen. Die Kommission war zwar viele Jahre lang untätig und hat den Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten zur Kenntnis genommen, ja sogar begrüßt. Nach zahlreichen Skandalen rund um multinationale Konzerne, die die Zahlung von Unternehmenssteuern mittels aggressiver Steuerplanung auf ein absolutes Minimum reduziert haben, hat die Kommission ihre Meinung nun endlich revidiert. Steuerschlupflöcher in den nationalen Systemen sollen geschlossen, eine gemeinsame Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage geschaffen werden. Geoblocking, also die Praxis von Unternehmen, VerbraucherInnen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Standorts von der Nutzung bestimmter Dienstleistungen auszuschließen, sind den KonsumentInnen schon lange ein Dorn im Auge. Nun möchte die Kommission eine Initiative gegen Geoblocking ergreifen. Auch die von der Kommission geäußerten Bedenken im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge sind positiv zu erwähnen. Zugesagte Kosten für öffentliche Aufträge werden oft nicht eingehalten, Maßnahmen gegen diese Praxis daher dringend geboten.
Warten auf konkrete Legislativvorschläge zu den Kommissionsvorhaben
In der Kommissionsmitteilung zur neuen EU-Binnenmarktstrategie gibt es also auch Lichtblicke, die Anlass zur Hoffnung geben. Leider hat die Kommission jedoch auch im achten Jahr nach Beginn der Finanzkrise nicht dazugelernt und richtet die Strategie großteils an den Wünschen der Wirtschaft aus, statt die Nachfrage am Binnenmarkt zu stärken. Abzuwarten bleibt auch, wie die Details zu den einzelnen angekündigten Vorhaben aussehen. Denn oft hat sich bei Kommissionsinitiativen gezeigt, dass die Inhalte im krassen Widerspruch zu den Überschriften stehen. Wie die Details aussehen, wird sich schon bald sagen lassen: Denn die Legislativvorschläge zu den meisten angekündigten Vorhaben sollen bereits dieses Jahr veröffentlicht werden.