In Deutschland sinkt die Arbeitslosenquote. Das ist vor allem die Folge des Rückgangs der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Im Anstieg von Reallöhnen und Konsumnachfrage zeigen sich die positiven Wirkungen einer Verknappung von Arbeitskräften: Sie ermöglicht benachteiligten Bevölkerungsgruppen den Zugang zum Arbeitsmarkt, belebt Inlandsnachfrage und Import und sorgt so nicht nur für wachsenden Wohlstand in Deutschland, sondern in der gesamten Eurozone. Alle Länder mit einem Überschuss in der Außenwirtschaft, darunter Österreich, sollten eine ähnliche Strategie einschlagen: Verkürzung der Arbeitszeit zur Verknappung des Angebots an Arbeitskräften, Ausweitung von Löhnen und Inlandsnachfrage, Abbau der Leistungsbilanzüberschüsse. Das wäre ihr wichtigster Beitrag für den Zusammenhalt der Währungsunion.
In der Eurozone ist die Wirtschaftsleistung im II. Quartal 2013 zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren wieder gestiegen. Die Frühindikatoren lassen auch für das zweite Halbjahr 2013 eine leichte Zunahme des Bruttoinlandsproduktes erwarten. Die vorsichtige Erholung wird – besonders in Deutschland – von steigender Industrieproduktion getragen. Das hat Hoffnungen auf einen Aufschwung aus dem tiefen Konjunkturtal genährt. Doch leider besteht wenig Anlass, die Finanzkrise als überwunden zu betrachten. So lange das Banken- und Finanzsystem so labil bleibt, ist eine Rückkehr zu wirtschaftlicher Stabilität unwahrscheinlich.
Massenarbeitslosigkeit in der Eurozone
Noch immer liegt das reale Bruttoinlandsprodukt der Eurozone um etwa 2% unter dem Wert von 2007, den es eigentlich bei einem „normalen“ Konjunkturverlauf um mehr als 10% übersteigen hätte sollen. Wir befinden uns weiterhin in der Krise, wie nicht zuletzt die besorgniserregenden Arbeitsmarktdaten zeigen: Die Arbeitslosenquote hat sich in der Eurozone von 7% der Erwerbspersonen Anfang 2008 auf 12% nahezu verdoppelt. Die Zahl der Arbeitslosen liegt heute in der Währungsunion um acht Millionen und in der EU um 10,5 Millionen über dem Niveau vor der Krise. Vor allem die südeuropäischen Länder befinden sich in einer Depression, deren Ende nicht absehbar ist. Selbst wenn sich die Wirtschaft in absehbarer Zeit erholen sollte, kann es ein Jahrzehnt und mehr dauern, bis die von der Finanzkrise verursachte Massenarbeitslosigkeit bewältigt ist.
Deutschland: Arbeitslosigkeit sinkt durch Bevölkerungsrückgang
Doch es gibt auch Lichtblicke: In Deutschland liegt die Wirtschaftsleistung (so wie in Österreich) bescheiden aber doch über dem Niveau von 2007 und die Arbeitslosenquote ist sogar um zwei Prozentpunkte auf 5,5% der Erwerbspersonen gesunken. Wie kommt es, dass der bis zur Finanzkrise „kranke Mann Europas“ plötzlich zumindest im Vergleich mit den anderen EU-Ländern halbwegs gesund wirkt?
Dahinter steht viel Glück, aber auch die eine oder andere richtige Entscheidung der Politik: Während des dramatischen Produktionseinbruchs im Herbst 2008 hat die rasche Verkürzung der durchschnittlich geleisteten Arbeitszeit entscheidend zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes beigetragen: Staatlich subventionierte Kurzarbeit, der Abbau von Plusstunden und Urlaubspölstern hat die Kündigung von hunderttausenden Industriebeschäftigten verhindert und eines neuerlich unter Beweis gestellt: Innovative Formen der Arbeitszeitverkürzung können Beschäftigung erhalten. Der deutschen Industrie hilft zudem ihre Spezialisierung: Sie produziert primär Investitionsgüter und konnte deshalb von der raschen Überwindung der Wirtschaftskrise in Asien und anderen Schwellenregionen profitieren.
Ein wesentlicher Teil des Erfolges auf dem Arbeitsmarkt ist aber auch reines Glück: In Deutschland schrumpft die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter. Seit dem Jahr 2000 ist sie um etwa zwei Millionen zurückgegangen. Die Bevölkerungsprognosen lassen für die nächsten zehn Jahre einen weiteren Rückgang in ähnlicher Größenordnung erwarten. Ein Rückgang des Arbeitskräfteangebots entlastet den Arbeitsmarkt, ermöglicht es Arbeitslosen frei werdende Jobs anzunehmen und hat positive gesamtwirtschaftliche Effekte. Arbeitskräftemangel wirkt v.a. positiv, weil er die Verhandlungsposition der ArbeitnehmerInnen verbessert: In Deutschland ist die Zahl der Erwerbstätigen von 2007 bis 2013 kumuliert um knapp 5% gestiegen (Österreich +4%, EU 27 -2%), die Reallöhne pro Kopf sind um 3,5% gewachsen (Österreich und EU 27 +1%), die Konsumnachfrage der privaten Haushalte ist real um etwa 5% gestiegen (Österreich +5%, EU 27 -1%).