Schon lange streiten sich ÖkonomInnen über die Bestimmungsgründe der deutschen Handels- und Leistungsbilanz-Überschüsse. 2016 verzeichnete Deutschland einen Überschuss von 8,5 % des BIP, also weit entfernt vom Ziel einer ausgeglichenen Leistungsbilanz oder auch der entsprechenden EU-Vorgabe (max. 6 %). Weil die Deutschen Überschüsse verzeichnen, haben viele andere Länder – etwa die USA – Defizite. Und die finanzieren sie mit neuen Schulden. Deswegen haben nicht nur der neue US-Präsident Donald Trump, sondern auch schon die Obama-Regierung vor ihm die deutschen Überschüsse scharf kritisiert. Aber wie sind die Überschüsse entstanden? Und wie lassen sie sich wieder abbauen?
Exportboom durch preisliche Konkurrenzfähigkeit? Viele Ökonomen betonen die Bedeutung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit. So hätten die Deutschen durch ihre Lohnzurückhaltung ihre Exporte verbilligt und damit anderen Ländern besonders im Euroraum Exportmarktanteile abspenstig gemacht. In dieser Sicht erklärt sich der hohe deutsche Außenhandelsüberschuss – also die Differenz aus Exporte und Importen – vor allem durch die wegen Preisdumping gestiegenen Exporte.
Diese These deckt sich aber kaum mit den Daten: Zwischen 1999 und 2007 sind Deutschlands nominale Exporte zwar stark gestiegen, aber noch stärker haben sie in den beiden Krisenländern Irland und Griechenland zugenommen – obwohl die ja viel höhere Preis- und Lohnstückkostensteigerungen verzeichnet haben.
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Datenquelle: EU-Kommission (AMECO-Datenbank). © A&W Blog
Datenquelle: EU-Kommission (AMECO-Datenbank). Auch nach der Krise waren die Zuwächse des deutschen Exports nicht Spitze. Zwischen 2008 und 2015 stiegen die Exporte wieder in Irland stärker. Und auch Portugals Exportzuwächse waren nach der Krise stärker als die Deutschlands.
Entscheidender für die Salden ist der Import: Griechen und Iren exportierten vor Ausbruch der Krise zwar viel, aber sie importierten noch mehr. Das verschlechterte ihre Leistungsbilanz. Deutschlands Defizit kam vor allem durch seine vergleichsweise schwachen Importe zustande.
Diese Entwicklungen sprechen gegen die Wettbewerbsthese: Wie konnten die nominalen Exporte Griechenlands und Irlands stärker steigen als die Deutschlands, obwohl ihre Löhne so viel stärker gestiegen sind und sich ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit relativ zu Deutschland so stark verschlechtert hat? Und warum waren ihre Importe so stark, die Deutschlands aber so schwach?
Leistungsbilanz durch Preis und Mengeneffekte bestimmt Zentral zur Beantwortung der starken Exportentwicklung in Griechenland und Irland ist, dass in der Leistungsbilanz Exportwerte verbucht werden – also das Produkt aus Menge und Preis. Wie genau eine Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit auf die Export- und Importwerte wirkt, ist ambivalent, denn eine Preisänderung hat zwei Effekte auf den Wert: Preissenkungen führen zwar dazu, dass mehr gekauft wird und Preissteigerungen, dass weniger gekauft wird. Das ist der Mengeneffekt. Aber Preissteigerungen steigern auch direkt den Wert (und Preisverringerungen senken den Wert). Das ist der Preiseffekt. Weil Preis- und Mengeneffekt in die entgegengesetzte Richtung wirken, verändert sich der Wert je nachdem, welcher der beiden Effekte dominiert.
Empirisch findet man in der Zeit, in der sich die Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz aufgebaut haben – also zwischen 1999 und 2007 – gar keinen Zusammenhang zwischen Lohnstückkosten und Exporten . Das heißt, dass der Preiseffekt etwa so stark gewesen sein dürfte wie der Mengeneffekt: Die Deutschen haben zwar eine steigende Menge an Gütern exportiert, aber zu fallenden Preisen; umgekehrt hat die exportierte Menge von griechischen, irischen oder auch spanischen Exporten nicht so stark zugenommen, dafür aber die Preise. Die Werte der Exporte sind damit in all diesen Ländern in etwa gleich stark gestiegen. Das spricht erst mal dagegen, dass vor allem Unterschiede in der preislichen Wettbewerbsfähigkeit die Leistungsbilanz-Salden verändert haben.
Unterschiedliche Importentwicklung für Ungleichgewichte zentral Wenn die Exporte ähnlich stark in Ländern mit unterschiedlichen Preisentwicklungen zugenommen haben, fällt es den Importen zu, die stark auseinanderlaufenden Salden zu erklären. Die Importe hängen vor allem von der Entwicklung der Binnenwirtschaft ab. In Ländern mit einem boomenden Immobiliensektor wie Irland oder Spanien oder stark steigenden Staatsausgaben wie in Griechenland wurde die Binnenwirtschaft befeuert, was die Importe getrieben hat. In Deutschland hat sich die Binnenwirtschaft vor allem vor 2007 durch eine restriktive Fiskalpolitik, einen Rückgang der Bauinvestitionen und die Lohnstagnation schwach entwickelt. Das hat die Importe gebremst.
Auch in der Krise hat wieder vor allem die Entwicklung der Importe die Leistungsbilanz-Salden bestimmt: Durch die Austeritätspolitik sind die Binnenwirtschaften in den Krisenländern abgewürgt worden und somit auch die Importe. Die Exporte haben trotz fallender Lohnstückkosten in allen Krisenländern deutlich schwächer zugenommen als vor der Krise. In Griechenland sind die Exporte sogar gefallen. Auch in der Krise war der Export nicht dominierend für die unterschiedliche Entwicklung der Leistungsbilanz-Salden.
Welche Rolle haben bei all dem die Lohnstückkosten gespielt? Sie dürften weniger die treibende Kraft bei den Ungleichgewichten gewesen sein als vielmehr ein Ergebnis der Wirtschaftsentwicklung: In den Krisenländern sind die Löhne sehr viel stärker als die Produktivität gestiegen, weil die starke wirtschaftliche Entwicklung die Beschäftigung und damit auch die Löhne erhöht hat; in Deutschland hat die schwache binnenwirtschaftliche Entwicklung Beschäftigung und Löhne gedrückt. Die Löhne sind also weniger Treiber als mehr Ergebnis der Konjunktur.
Im Umkehrschluss bedarf es deshalb für einen Abbau der deutschen Leistungsbilanz-Überschüsse eine Stärkung der Nachfrage im Inland, die entsprechend höhere Importe nach sich zieht. Das ist besonders effektiv, wenn die importintensiveren Nachfragekomponenten gestärkt werden, also insbesondere Ausrüstungsinvestitionen und der private Konsum.
Datenquelle: Destatis. © A&W Blog
Datenquelle: Destatis. Was sind die wirtschaftspolitischen Implikationen? Generell wird die Rolle der Löhne bei der Debatte um die Leistungsbilanz überbetont . Erstens gibt es neben den Löhnen noch viele andere Kostenfaktoren – etwa Gewinne, Steuern oder Vorleistungen –; zweitens sind die Kosten nicht die einzige Größe, die Exporte und Importe beeinflussen. Daneben gibt es noch viele andere Politiken wie die Fiskalpolitik oder die Geld- und Kreditpolitik, die Exporte und Importe treiben. Vor allem auf letztere muss sich die Wirtschaftspolitik konzentrieren, um die Leistungsbilanz-Ungleichgewichte abzubauen.
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