In den vergangenen Monaten wurde immer wieder über die mangelnde Mobilitätsbereitschaft von ArbeitnehmerInnen berichtet. Im Raum stehen Forderungen nach einer Ausweitung der Zumutbarkeit von Arbeitswegen. Für PendlerInnen bedeutet dies jedoch massive Eingriffe in ihre Lebensrealitäten und es wird dabei auch außer Acht gelassen, wie viel sie jetzt schon in ihre Arbeitswege investieren.
Befeuert wurde die Debatte unter anderem auch durch Daten des Arbeitsmarktservice zum überregionalen Pendeln. Dabei kam man zu dem Ergebnis, dass ArbeitnehmerInnen aus Niederösterreich, Oberösterreich und dem Burgenland sehr häufig überregional pendeln und dass Salzburger, Tiroler und Wiener am wenigsten mobil seien. Basis für die Messung des Pendelns war dabei das Überschreiten von Bezirksgrenzen.
Für die Darstellung, wieviel PendlerInnen in ihre Arbeitswege investieren, gibt es aber auch andere Messgrößen. In der einschlägigen Literatur werden neben Zeit und Geld auch die Gesundheit von ArbeitnehmerInnen genannt. Im Folgenden soll daher anhand weiterer Datenquellen ein etwas weiterer Blick auf die Pendelmobilität in Österreich, ihre Folgen und Rahmenbedingungen geworfen werden.
Pendeldistanzen in Österreich
Daten der Statistik Austria zeigen, dass PendlerInnen aus dem Burgenland und Niederösterreich mit Abstand die weitesten Pendeldistanzen haben, hier decken sich also die Ergebnisse mit der AMS-Auswertung. Anders der Befund beispielsweise aber für Salzburg: Die Pendeldistanzen in Oberösterreich sowie Salzburg zeigen sich in dieser Darstellung (Statistik Austria) ähnlicher, als bei der Betrachtung der Querung von Bezirksgrenzen. Insbesondere bei Distanzen über 40 Kilometern zeigen sich mit 7,5 Prozent der OberösterreicherInnen und 6,9 Prozent der SalzburgerInnen keine wesentlichen Unterschiede. Wiener PendlerInnen legen die kürzesten Distanzen zurück, diese Aussagen lassen sich jedoch generell für den städtischen Bereich treffen, wie auch die neue österreichweite Mobilitätserhebung (z.B. Seite 99) zeigt. Steigende Distanzen bedeuten für die ArbeitnehmerInnen auch steigenden Kostenaufwand, generell müssen daher Haushalte in ländlicheren Regionen mehr für ihre Mobilität ausgeben als im städtischen Bereich.
Zeitaufwand fürs Pendeln zum Arbeitsplatz
Die Betrachtung des Zeitaufwandes am Arbeitsweg ergibt ein ganz anderes Bild der Pendelmobilität: Wie in der untenstehenden Abbildung ersichtlich ist, können nur 20 Prozent der WienerInnen ihren Arbeitsplatz in 15 Minuten erreichen, bei den PendlerInnen aus den beiden “Pendel-Bundesländern” Niederösterreich und Burgenland sind es mehr als doppelt so viele. Wiener ArbeitnehmerInnen haben laut Arbeitsklimaindex mit wöchentlich im Durchschnitt rund fünf Stunden am Weg zur Arbeit und wieder nach Hause den höchsten Zeitaufwand aller PendlerInnen. Eine Analyse der AK Wien zeigt, dass nur 16 Prozent der WienerInnen ihren Arbeitsplatz im Wohnbezirk haben und dass es auch innerhalb der Stadt Gruppen von ArbeitnehmerInnen gibt, die einen beträchtlichen zeitlichen Aufwand in ihre Arbeitswege investieren müssen. Vor allem PendlerInnen aus den peripheren Bezirken (21, 22 und 23) kommen im Durchschnitt auf 45 Minuten pro Wegstrecke. Auch die SalzburgerInnen sind länger unterwegs als die NiederösterreicherInnen und BurgenländerInnen (Daten der Statistik Austria, Volkszählungen 1971 und 2001). Ein Hauptgrund für die Zeitunterschiede dürfte darin liegen, dass in Niederösterreich der öffentliche Verkehr und das zu Fuß gehen bzw. Radfahren am Arbeitsweg weniger genutzt wird als in den anderen Bundesländern und mit dem Pkw in kurzer Zeit längere Distanzen zurückgelegt werden können.
Längere Pendeldauer: Erschwerte Vereinbarkeit, höherer Zeitdruck und mehr Stress
Neben der Distanz des Arbeitsweges, die bei Zunahme mehr Kosten bedeutet, ist vor allem die Zeit, die auf der Strecke bleibt, ein Problem für PendlerInnen. Mehr Zeit am Arbeitsweg bedeutet, dass der Arbeitstag insgesamt länger wird und für andere Lebensbereiche weniger Zeit übrig bleibt, wie auch die AK Oberösterreich berichtet. Tatsache ist, dass etwa 40 Prozent aller Erwerbstätigen Betreuungspflichten für Kinder haben und/oder Angehörige pflegen. Es zeigt sich, dass mit zunehmendem Zeitaufwand für die Arbeit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie abnimmt und davon sind überwiegend Frauen betroffen.
Dass lange Arbeitswege auch die Lebensqualität und Gesundheit der Betroffenen beeinträchtigen ist hinlänglich bekannt. Die AK Niederösterreich berichtet in einer Sonderauswertung des Arbeitsklimaindex, dass Beschäftigte, mit einem Zeitaufwand von 30 Minuten oder länger, stärker durch „Zeitdruck“, „seelisch belastender und aufreibender Arbeit“ und „schlechte Gesundheitsbedingungen“ belastet zu sein scheinen. Andere Studien weisen auch auf negative Auswirkungen auf Paarbeziehungen durch erhöhte Trennungsraten von PendlerInnen hin.
Fazit
In Wien waren im Jänner 2017 etwas mehr als 140.000 Personen als arbeitslos gemeldet und gleichzeitig finden etwa 260.000 EinpendlerInnen aus den Bundesländern – fast 190.000 davon aus Niederösterreich – ihren Arbeitsplatz in Wien. Alleine die Gegenüberstellung dieser Zahlen verdeutlicht, dass es ein Bündel an Maßnahmen in Bezug auf die angespannte Wiener Arbeitsmarktlage braucht. Zu diskutieren wären aber neben arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auch die Attraktivierung des ländlichen Raums mit dem Bemühen mehr Arbeitsplätze in der Nähe der Wohnorte zu schaffen. Statt einer eher oft nur „optischen Dorferneuerung“ bräuchte es eine tatsächliche Anhebung der Qualität des Lebens und Arbeitens in den Gemeinden, etwa durch den Ausbau der Kinderbetreuuung, des Pflegeangebots, des öffentlichen Nahverkehrs und auch der Nahversorgung. Konzepte von Nachbarschaftsbüros und Telearbeit könnten im Zuge des Breitbandausbaus wieder interessanter werden.
Aber eines ist klar: Den Ausgleich der Disparitäten zwischen Angebot und Nachfrage alleine den WienerInnen umzuhängen greift entschieden zu kurz. Denn es geht nicht einfach nur darum, halt ein bisschen länger durch die Gegend zu fahren. Die Forderung einen hohen Zeitaufwand am Arbeitsweg in Kauf nehmen zu müssen stellt vielmehr einen weitreichenden Zugriff auf die gesundheitlichen, sozialen und finanziellen Ressourcen von ArbeitnehmerInnen dar.