Verfolgt man die Printmedien in letzter Zeit, wird den aufmerksamen LeserInnen suggeriert: unser Land ist überbürokratisiert, überverwaltet und überreguliert. Die Menschen werden in ihren persönlichen Freiheiten eingeschränkt und die Unternehmen in ihrer Tätigkeit behindert – so stellen zumindest die Wirtschaftstreibenden die Bürokratie gerne dar. Tatsache ist: unbedachter Bürokratieabbau kann die Gesundheit massiv gefährden. Denn was gerne als unnötige Lasten dargestellt wird, sind wichtige Vorschriften, die dem Schutz der ArbeitnehmerInnen dienen. Das wird aber gerne verschwiegen.
Deckmantel “Verwaltungskosten senken”
Der Grundstein für die gesamte Diskussion wurde bereits vor mehreren Jahren in Brüssel unter dem Titel „Better Regulation“ gelegt. Die sogenannte High Level Group unter der Leitung von Edmund Stoiber erarbeitete ein Papier zur Deregulierung der Wirtschaft. In Österreich wurde dieses Ziel unter dem Begriff „Verwaltungskosten senken“ übernommen.
Ende 2012 folgte das REFIT-Programm (Regulatory Fitness). Damit solle EU-Recht vereinfacht und besonders Klein- und Mittelunternehmen entlastet werden. Denn gerade für sie stellen viele Regelungen angeblich große Belastungen dar. Damit sollen, unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus Gesetze harmonisiert oder gestrichen werden. Letzteres wird generell bevorzugt. Die Kommission ist vor allem an einer Erleichterung der unternehmerischen Tätigkeit interessiert.
Somit birgt der Ansatz der Kommission auch große Gefahren für die Rechte von ArbeitnehmerInnen. Viele der bestehenden Regulierungen sind jedoch keine bloßen rechtlichen Hürden, sondern schützen ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen. Nach massiver Kritik und Änderungsanträgen hat das Europäische Parlament sich zumindest dafür ausgesprochen, dass die Größe von Unternehmen kein Kriterium für die Anwendung von ArbeitnehmerInnenrechten sein darf. Ebenfalls wurde beschlossen, dass das Impact Assessment Board, welche Gesetze im Sinne der REFIT-Initiative prüfen soll, sich mit den Sozialpartnern zu beraten hat.
Mindeststandards und interne Beauftragte abschaffen
In Österreich wird die Senkung und Aufhebung von Standards im Bereich von Sicherheit und Gesundheit von den Interessenvertretungen der ArbeitgeberInnen unter dem Deckmantel „Bürokratieabbau“ weiter vorangetrieben.
Ins Visier geraten sind hier auch die erfolgreichen nationalen ArbeitnehmerInnenschutz-Strukturen in den Betrieben. So sollen die sogenannten „Beauftragten“ in ihren Ausbildungszeiten und Rechten beschnitten oder am besten gleich abgeschafft werden. Dass gerade ihr Wirken mit ein Grund für die sinkenden Arbeitsunfallzahlen (ein Drittel weniger im Vergleich mit 1994) darstellt, wird bewusst verschwiegen.
Was jedoch übersehen wird ist, dass Beauftragte im Betrieb als Fachkräfte direkt vor Ort einen wichtigen Beitrag zum ArbeitnehmerInnenschutz leisten. Beauftragte sind beispielweise Sicherheitsvertrauenspersonen, Sicherheitsfachkräfte, ArbeitsmedizinerInnen, ErsthelferInnen oder Brandschutzbeauftragte. Mit ihrer fachlichen Expertise unterstützen sie ArbeitgeberInnen bei der Umsetzung und praktikablen, betriebsspezifischen Anwendung von Rechtsvorschriften zu ArbeitnehmerInnenschutz, Umweltschutz und Verkehrssicherheit. Ohne Beauftragte im Betrieb wäre eine Einzelperson – in der Regel der/die ArbeitgeberIn selbst – fachlich und zeitlich völlig überfordert. Fakt ist, Beauftragte stellen keine bürokratischen Hindernisse dar. Ganz im Gegenteil. Nur durch sie wird die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten im Unternehmen gewährleistet. Das Konzept, Beauftragte zu bestellen, hat sich viele Jahrzehnte bewährt. Eine bessere Alternative dazu ist nicht in Sicht. Zum Senken der „Verwaltungskosten“ hat die Wirtschaft noch jede Menge weiterer Vorschläge, welche den Entfall verschiedenster Informations- und Aufzeichnungsverpflichtungen beinhalten.
Kontrollen durch die Arbeitsinspektion – beraten statt strafen!
Kommt es zu Kontrollen durch die Arbeitsinspektion gilt generell das Motto: „Angriff ist die beste Verteidigung.“ Da die meisten Wirtschaftstreibenden von „Schikanen“ sprechen, ist die Forderung nach „beraten statt strafen“ der Leitsatz, der auch im Blogbeitrag von Roland Spreitzer bereits beleuchtet wurde.
Personelle und finanzielle Ressourcen schrumpfen
Eine andere Variante die Wirtschaftstreibenden zu schonen wird ebenfalls fleißig praktiziert. Die Behörden werden mit anderen Tätigkeiten eingedeckt bzw. die personellen und finanziellen Ressourcen werden systematisch entzogen. Dies geschieht bei der Arbeitsinspektion vor allem auf personeller Ebene. Der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) wurden wiederum die Beiträge gekürzt.
Der Rechnungshof (RH) zeigte in seinem Bericht von 2013 bereits in vielen Punkten Reformbedarf auf. Prüfungsziel war unter anderem die Beurteilung der Wirksamkeit und Effizienz der Arbeitsinspektion.
Hier ein paar Beispiele:
- Im Jahr 2009 fiel die bundesweite Kontrollquote der durch die Arbeitsinspektorate überprüften Arbeitsstätten auf rd. 14,7 %. Im Jahr 2006 waren es noch 21,6 %.
- Gemäß einem neuen, vom Sozialministerium entwickelten, Ressourcenmodell wären zur Gewährleistung eines einjährigen Überprüfungsintervalls bei sämtlichen Arbeitsstätten statt derzeit rd. 300 – bis zu 2.020 ArbeitsinspektorInnen notwendig.
- Fast die Hälfte der MitarbeiterInnen der Arbeitsinspektorate ist älter als 50 Jahre. Aufgrund von Pensionierungen und der laut Sparprogramm der Bundesregierung geplanten Einsparungen von Planstellen würde sich bis 2016 bei den Arbeitsinspektoraten eine Personallücke von 24 MitarbeiterInnen ergeben.
- Bei einer schwerwiegenden Übertretung war es möglich, ohne vorausgehende Aufforderung an die ArbeitgeberInnen eine Strafanzeige bei der Bezirksverwaltungsbehörde durch die Arbeitsinspektorate zu erstatten. Der Strafrahmen lag zwischen 41 Euro und 4.140 Euro. Bundesweit gab es keine einheitliche Regelung (Strafkatalog) zur Bemessung des vom Arbeitsinspektorat zu beantragenden Strafausmaßes der Arbeitsinspektorate.
Der RH-Bericht unterstützt somit insgesamt langjährige Kritikpunkte von Gewerkschaften und Arbeiterkammern, insbesondere hinsichtlich Ressourcenbedarf, -einsatz und Wirksamkeit der Arbeitsinspektion. In der Arbeitsinspektion betrachtet man es jedoch schon als Erfolg, in den letzten Jahren vom Aufnahmestopp im öffentlichen Dienst ausgenommen worden zu sein.
Vereinfachung statt Deregulierung!
Es braucht nicht weniger Vorschriften, wie die ArbeitgeberInnenvertretungen behaupten, sondern eine starke Vereinfachung der bestehenden Kontrollen. Denn das hätte durchaus überlegenswerte Aspekte. Zum Beispiel wäre es reizvoll die Arbeitsinspektion in der Durchsetzung ihrer Strafen von den Instanzenwegen zu befreien. Derzeit kann nach den einzelnen Schritten des Verfahrens (Begehung, Beratung, schriftlicher Aufforderung zur Behebung der festgestellten Mängel bis hin zur Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht) viel Zeit vergangen sein, ohne dass sich an den festgestellten Mängeln etwas geändert hat.
Die Arbeitsinspektion hat 2013 insgesamt nur 2.060 Strafanträge (von knapp 48.000 besuchten Arbeitsstätten) gestellt. Von der „überbordenden“ Bestrafung der Betriebe kann wohl wirklich keine Rede sein. Die im Antrag geforderten Strafhöhen wurden im Durchschnitt sogar nochmals um ca. 33% abgesenkt. Wie die untenstehende Grafik veranschaulicht sind von dem beantragten Strafausmaß von 3.780.336 Euro tatsächlich nur Strafen in der Höhe von 2.519.239 Euro verhängt worden. Von den 2.060 Strafanzeigen sind bis zur Berichtsveröffentlichung im August 2014 1.655 Verfahren abgeschlossen worden. UnternehmerInnen, die offensichtlich bestehende Gesetze nicht einhalten und sowohl nach Begehung, Beratung, schriftlicher Aufforderung und nochmaliger Begehung es nicht notwendig finden einen ordnungsgemäßen Zustand herzustellen, werden also geschont.